Moskaus Massenüberwachung hat Hilfe aus Holland​

Toloka aus den Niederlanden hat die sanktionierten russischen Unternehmen NTechLab und Tevian dabei unterstützt, Gesichtserkennung zu verbessern.​

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Halbes Gesicht einer weißen Frau, darüber gelegt symbolische Rasterung

(Bild: Fractal Pictures/Shutterstock.com)

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Russland baut auf Crowd- und Clickworker, um Software für automatisierte Gesichtserkennung zu trainieren und Videoüberwachung vor allem in Moskau schlagkräftiger zu machen. Unterstützt wird der militärisch-industrielle Komplex dabei von der niederländischen Firma Toloka, wie eine journalistische Recherchegruppe eruiert hat. Demnach sind über Toloka Systeme der in der EU seit Juli 2023 sanktionierten russischen Ausrüster NTechLab und Tevian trainiert worden, was einen Rechtsverstoß darstellen könnte.

Toloka ist eine Tochter des russischen Suchmaschinen-Konzerns Yandex, die auch einen Ableger in der Schweiz hat. NTechLab und Tevian liefern Software für das öffentliche Überwachungssystem Moskaus, das mit geschätzten 227.000 Kameras zu einem der umfangreichsten der Welt zählt. Die elektronischen Augen, die in der ganzen Stadt und der U-Bahn verteilt sind, scannen vorbeikommende Gesichter und suchen nach Übereinstimmungen mit Beobachtungslisten.

Die Recherchegruppe, die die Verbindungen in die Niederlande und die Schweiz aufgedeckt hat, besteht aus The Bureau of Investigative Journalism (TBIJ), Follow the Money und Paper Trail Media in Kooperation mit dem Spiegel und dem ZDF. Nach Angaben der russischen Bürgerrechtsorganisation OVD-Info sollen allein nach der Beerdigung des Kreml-Kritikers Alexei Nawalny Anfang März 649 Personen im ganzen Land verhaftet worden sein. Mindestens 19 seien festgehalten worden, nachdem ihre Gesichter auf Basis einschlägiger Aufnahmen identifiziert worden seien.

Schon seit 2017 ist bekannt, dass Bilder der damals rund 170.000 Überwachungskameras der russischen Hauptstadt mit Software zur biometrischen Gesichtserkennung ausgewertet werden sollten. Die Verwaltung der Metropole setzte schon damals auf Technik von NTechLab. Das Unternehmen hat auch die vor allem in Sozialen Netzwerken populäre einschlägige App FindFace entwickelt. 2020 gab das russische Innenministerium bekannt, dass das Netzwerk von damals 178.000 Kameras in Moskau während der Covid-19-Beschränkungen etwa 200 "Quarantäneverletzer" erfasst habe.

TBIJ fand nun, unter anderem in YouTube-Videos, zahlreiche Beispiele von Gig-Arbeitern, die seit 2019 für NTechLab und Tevian Aufgaben über Toloka erledigt haben. Dabei ging es etwa darum, Fotos von Menschen mit der ethnischen Zugehörigkeit "Afro, Latino, Asiat" ausfindig zu machen beziehungsweise zu labeln. So sollte die Leistung der Erkennungssysteme bei bestimmten ethnischen Gruppen gesteigert werden, bei denen diese sonst oft versagen. Die von Tevian geposteten Aufgaben betrafen hauptsächlich die Erkennung der "Lebendigkeit des Gesichts". Dabei handelt es sich um eine Funktion, die beide Ausrüster als Kernbestandteil ihrer einschlägigen Produkte verkaufen. Sie dient dazu, eine reale Person von einem Bild oder Video beziehungsweise Deepfakes zu unterscheiden. Die Kooperationen gehen über den Juli 2023 hinaus. Yandex hat bestätigt, bis dato mit NTechLab zusammenzuarbeiten.

"Wenn diese Unternehmen sanktioniert werden, ist es verboten, ihnen Ressourcen zur Verfügung zu stellen", wittert ein EU-Diplomat daher einen Regelverstoß. "Sobald sie Zahlungen von einem sanktionierten Unternehmen erhalten, also sobald dieser Transfer in ein EU-Bankensystem gelangt, sollte er eingefroren werden." Als Schlupfloch könnte Yandex Sanktionsexperten zufolge Geschäfte zwischen dem zweiten Toloka-Ableger in der Schweiz und NTechLab genutzt haben. In der Alpenrepublik ist der Softwarelieferant bisher nicht sanktioniert.

In Yandex, das unter anderem eine Suchmaschine betreibt, haben auch westliche Banken und Vermögensverwalter wie UBS, JP Morgan Chase und Goldman Sachs investiert. Yandex findet sich in der EU oder in den USA auf keinen Sanktionslisten – im Gegensatz zu drei seiner früheren Manager. Toloka erklärte, NTechLab habe nur einen Vertrag mit der russischen Firma Toloka RU LLC gehabt. Auch diese gehörte laut den Berichten zum fraglichen Zeitpunkt aber einem niederländischen Unternehmen.

(ds)