Softwarepatentgegner werfen Brüssel Verlogenheit vor

Nach dem "Ja" des EU-Rats zur Richtlinie für "computerimplementierte Erfindungen" gerät vor allem die Bundesregierung in die Schusslinie der Kritik.

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Das knappe "Ja" im Rat der Europäischen Union zur heftig umstrittenen Softwarepatentrichtlinie der irischen Ratspräsidentschaft sorgt für heftige Reaktionen. So halten sich gerade Verbände, die der Open-Source-Szene nahe stehen, und Mittelständler mit ihrer Kritik nicht zurück. "Europa ist im Begriff, sich endgültig vom Ziel der Staats- und Regierungschefs zu verabschieden, bis 2010 'wettbewerbsfähigste wissensbasierte Region' zu werden", fürchtet etwa Georg Greve, Präsident der Free Software Foundation Europe (FSFE). Markus Beckedahl vom Netzwerk Neue Medien sieht derweil die Gefahr, dass europäische klein- und mittelständische Unternehmen bald nur noch von der Gnade der Inhaber der Patentmonopole existieren können."

Mitten in die Fronten des Patentkrieges ist die Bundesregierung aufgrund ihres Schlingerkurses geraten. Ein leitender Beamter hatte auf einer Demonstration der Softwarepatentgegner zunächst starke Vorbehalte gegen die von den Iren überarbeitete Richtlinie zur Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" vorgebracht. Deutschland werde dem Vorstoß nicht zustimmen, hatte es geheißen. Diese Linie bestätigte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) noch einmal gegenüber c't aktuell und mahnte gleichzeitig umfangreichen Nachbesserungsbedarf an.

Nichtsdestoweniger reichten am Dienstag wenige kosmetische und rhetorische Änderungen, um den deutschen Verhandlungspartnern die Richtlinie schmackhaft zu machen. "Offensichtlich waren die bisherigen Aussagen des Justizministeriums, sich gegen die Legalisierung von Softwarepatenten einzusetzen reine Lippenbekenntnisse", schimpft Oliver Moldenhauer vom Attac-Koordinierungskreis über die Abgabe der letztendlich entscheidenden deutschen Stimmen. Denn "der so genannte Kompromiss des Rates ist ein klares Votum pro Softwarepatente", stellt Andy Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club (CCC) klar. Er sieht Software-Entwickler in ihrer Existenz bedroht, sollte der Beschluss Gesetz werden.

"Es ist schade, dass der Zweckoptimismus und das Vertrauen in die deutsche Regierung etwas voreilig gewesen zu sein scheinen", zeigt sich auch Greve enttäuscht. Deutschland und die EU hätten "zum wiederholten Male demokratisch versagt". Seiner Meinung nach ging es in den vorherigen Regierungsverhandlungen "zu keinem Zeitpunkt um die Festlegung von innovativ sinnvollen Grenzen der Patentierung". Vielmehr sollen die etwa 30.000 vom Europäischen Patentamt bereits auf schwankendem rechtlichen Boden erteilten Softwarepatente endgültig legalisiert werden. Florian Müller vom Open-Source-Hersteller MySQL wirft den EU-Regierungen daher vor, mit gespaltener Zunge zu reden: "In den USA sagt man wenigstens ganz ehrlich, dass man Software patentiert. Hier in Europa geht man den verlogenen Weg über das Alibi eines technischen Zusammenhangs", erklärte er gegenüber heise online. Dabei werde diese vermeintliche Anforderung jedoch nirgends vom aktuellen Richtlinientext definiert. So könnten bereits Bedienoberflächen als technisch gelten, weil der Bildschirm ein technisches Gerät sei. Dasselbe träfe für Datenbanken zu, weil auch die Datenspeicherung ein "technischer Vorgang" sei. Als nicht-patentierbarer Bereich bleibe da nichts mehr übrig.

Ihre Hoffnung setzen die Kritiker nun erneut auf das Europäische Parlament, das in erster Lesung schon einmal deutliche Grenzen für die Patentierbarkeit von Software vorgegeben hatte. Für die zweite Lesung, die nach der Neuwahl der Volksvertreter vermutlich im Herbst ansteht, rät Greve den Abgeordneten, "sich nicht wider besseres Wissen auf den aktuellen Vorschlag einzulassen". Ohne eine klare Technikdefinition käme die Richtlinie nicht aus: "Das wäre sonst, als baute man ein Haus auf Rädern und ohne Bremsen in der Annahme, die späteren Bewohner würden es nicht vom Fleck bewegen, obwohl eine solche Bewegung ihnen große Profite verspricht." Laut Müller komme es in der nächsten Runde ferner stärker darauf an, "dass gerade Unternehmen die wirtschaftlichen Argumente gegen Softwarepatente herausstellen." (Stefan Krempl) (gr)