EU will weiter Verschlüsselung bekämpfen – Ungarn prescht voran

Laut einem Entwurf der Ratsspitze sollen die EU-Staaten die Empfehlungen der "Going Dark"-Expertengruppe zum Knacken des "Verschlüsselungsproblems" umsetzen.

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Zwei Hände halten Smartphone, im Vordergrund Linien als Symbol für soziale Verbindungen

Eine Expertengruppe der EU arbeitet weiterhin an einem Plan gegen verschlüsselte Kommunikation, wie eine Enthüllung von Statewatch zeigt.

(Bild: issaro prakalung/Shutterstock.com)

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Die ungarische Ratspräsidentschaft der EU hat vorgeschlagen, die heftig umstrittenen Überlegungen der Hochrangigen Expertengruppe der EU zum Datenzugang für eine wirksame Strafverfolgung (HLEG) zur "Basis der politischen und praktischen Ausrichtung" der EU-Politik zu machen.

Dies geht aus einem als vertraulich eingestuften Entwurf des Vorsitzes für strategische Leitlinien des Ministergremiums für den Bereich Inneres und Justiz hervor, den die Bürgerrechtsorganisation Statewatch veröffentlicht hat.

Die HLEG hat im Rahmen der Crypto Wars hinter verschlossenen Türen an Lösungen für das von Innenpolitikern und Ermittlern ausgemachte "böse Problem" der Verschlüsselung ("Going Dark") erarbeitet. Im Kern geht es darum, bei durchgängig verschlüsselten Diensten wie WhatsApp, Signal und Threema einen Zugriff auf Meta- und Kommunikationsdaten möglichst in Echtzeit zu ermöglichen.

Die belgische Bundespolizei etwa drängt dabei auf ein Verfahren über den "Vordereingang", das keine Hintertüren in verschlüsselten Produkten erfordere. Eine Strafverfolgungsbehörde stelle dabei eine standardisierte Anfrage an den Dienstleister, der dann im Klartext die begehrten Daten schicken müsse.

Die EU-Telekommunikationsnormungsbehörde ETSI machte sich im Rahmen der HLEG aber auch Gedanken über eine "vertrauenswürdige authentifizierte Stelle", die einen Zugangsschlüssel erhalten und verwalten soll. Der Einbezug solcher Drittparteien gilt IT-Sicherheitsexperten als indiskutable Sollbruchstelle.

"Die Bekämpfung der Online- und Offline-Kriminalität ist ein zentrales Anliegen der Wahrung der inneren Sicherheit der EU", schreibt der Ratsvorsitz dazu in dem Papier. Daher sollten die Ergebnisse der Arbeit der HLEG den Grundstein "der europäischen Vision eines wirksamen Datenzugriffs für Strafverfolgungszwecke bilden".

Die EU-Kommission will laut dem durchgesickerten Protokoll einer Sitzung des ständigen EU-Ausschusses für die operative Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit von Ende Mai ihrerseits einen Fahrplan zur Umsetzung des Plans gegen "Going Dark" vorlegen.

Die Öffentlichkeit solle mit "extremen Entscheidungen" inklusive einer Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung konfrontiert werden, "die bereits hinter verschlossenen Türen getroffen worden sind", warnte indes der frühere EU-Abgeordnete Patrick Breyer. Dieser Big-Brother-Plan dürfe "schon deshalb nicht Realität werden, weil er von einer völlig einseitigen, demokratisch nicht legitimierten Geheimgruppe von Überwachungsfanatikern insgeheim ausgeheckt wurde".

Die EU soll der ungarischen Regierung zufolge auch "einen entschlosseneren Ansatz zur Verhütung und Bekämpfung von Terrorismus, Radikalisierung, Desinformation, gewalttätigem Extremismus und antidemokratischen Tendenzen im Internet und offline verfolgen".

Es gelte, die "gemeinsamen Werte und die europäische Lebensweise" hochzuhalten. Man werde weiter gegen die Finanzierung des Terrorismus in allen seinen Formen vorgehen und "den Informationsaustausch stärken", heißt es in dem Dokument. "Um unseren entschlossenen Ansatz zu untermauern, ist es an der Zeit, eine neue Agenda zur Terrorismusbekämpfung zu entwickeln, die ein umfassendes Spektrum an Strategien und Maßnahmen umfasst".

Ferner soll die EU die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten sowie die internationale Kooperation in diesem Bereich stärken. Das Einschränken hybrider Bedrohungen durch externe Akteure und ausländischer Informationsmanipulation sei von zentraler Bedeutung.

"Interoperabilität fördert den gegenseitigen Informationsaustausch und trägt auch wesentlich zur Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung und Verfolgung von Terrorismus und schwerer Kriminalität bei", hebt die Präsidentschaft hervor.

Die EU halte daran fest, die IT-Systeme zur Verwaltung der Außengrenzen ("Smart Borders") sowie die dezentralen Datenbanken zur Kooperation im Bereich der Strafverfolgung im Sinne eines automatisierten Transfers virtuell zusammenzuführen und weiter zu verbessern. Diese Systeme würden "durch die schrittweise Einführung der verschiedenen Komponenten einer vollständig interoperablen und grundrechtskonformen IT-Architektur noch leistungsfähiger".

Ungarn spielt damit auf die IT-Großbaustelle hin, auf der die EU seit 2019 sämtliche bestehenden und sich im Aufbau befindlichen europäischen Datenbanken in den Bereichen Sicherheit, Grenzmanagement und Migrationssteuerung zu verknüpfen versucht. Dazu kommen soll ein übergeordneter "Speicher für Identitätsdaten". Unter dem Aufhänger "Interoperabilität" entsteht so praktisch eine Biometrie-Superdatenbank.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hat ihren designierten neuen Innenkommissar, Magnus Brunner, aufgefordert, "die Arbeit an einer neuen Agenda zur Terrorismusbekämpfung" zu leiten sowie die "Instrumente der Strafverfolgungsbehörden für den Zugang zu digitalen Informationen und die Vorschriften zur Datenspeicherung" zu aktualisieren.

(nen)