Es lebe der Sport

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Und wahrscheinlich weil das so ist, kenne ich nur Sportfahrer, die Spott sehr robust annehmen. Das liegt daran, dass es im Sport kaum eine Möglichkeit gibt, die "Suspension of Bullshit" (Expertenbegriff) aufrechtzuhalten. Wer mit seinen Freunden die ganze Zeit Kaffee trinkt, kann seine Heldengeschichten mit der Schlagsahne des Dazudichtens ins Mystische aufspritzen, weil sie so unnachprüfbar wie die Existenz Gottes sind. Wer dagegen im nächsten Turn in Oschersleben von seinen Freunden alle zehn Minuten überrundet wird, hat sich mit egal welcher vorheriger Mystik selber so ins Lächerliche gezogen, wie es selbst seine besten Freunde nicht schaffen könnten. Deshalb gibt es im Sport so entspannend wenig Bullshit.

Statt Geschichten in der Art "wie ich früher mal voll das Sport-As war, bevor ich 150 kg wog" gibt es fit gehaltene Körper in jeder Altersklasse, denn fit fühlt sich besser an und ist stabiler beim Sturz. Am Touristen-Stammtisch ist jeder Beisitzer eigentlich James Bond in fett und in Polyester eingewickelt. Sichtbare Realität und Erzählung beißen sich tollwütig. Die Boxengasse dagegen ist voller in sich ruhender Männer, die gut wissen, was sie können oder nicht können, was die anderen können, und dass sie eben keine Rennfahrer sind, denn sonst hätten sie Kaviar-Catering und einen Truck voller Masseurinnen. Wenn ich mich entscheiden muss, wo ich lieber sitze, dauert das in etwa so lange wie diese Reflexreaktion mit dem Gummihammer aufs Knie. Boxengasse. Normale Leute.

Ich stelle jetzt die Theorie auf, dass viele bis die meisten der Motorradfahrer, die über Sportfahrer lästern, insgeheim einige Bewunderung für sie hegen, oder nehmen wir das weniger belastete Wort "Respekt". Denn obwohl immer weniger Superbikes verkauft werden, bleiben sie der Maßstab schlagsahneschwangerer Heldengeschichten der Art "wen ich heute alles überholt habe". Wenn ein Tourenfahrer Kudos für seine Überholvorgänge haben will, kann er schlecht damit angeben, wie viele noch gemütlicher cruisende Dschobberisten er überholt hat, denn die sind wahrscheinlich selbst bei landschaftssichtendem Touring-Tempo nicht von stehenden Dschobberisten zu unterscheiden. Sogar ein überholter GS-Fahrer taugt nicht für die Heldengeschichte, obwohl jedem klar ist, dass es unter den Kunden des meistverkauften Motorrads auch viele schnelle Fahrer geben muss.

Helden aus dem Joghurtglas

Nein, die Heldengeschichte enthält stets den "Joghurtbecher", der mal so richtig abgeledert wurde. Kollege Maik zeigte mir vor langer Zeit einmal ein Video, in dem ein Mann mit seinem 1200-ccm-Zweizylinder einen Jugendlichen auf einem Sportmotorrad entlang einer schönen Bergstrecke überholte, nach minutenlangem Ringen im Quasi-Duett. Bezeichnend war, dass ihm beim Sichten und Posten des Videos nicht aufgefallen war, dass er eine der raren 400-ccm-Maschinen aus Japan getroffen hatte. Die Heldengeschichte dieser Fahrt würde ich gern beim Kaffee hören und mit dem Video vergleichen. Sie muss episch sein. Einen egal wie unsicheren Sportmotorradfahrer auf einem egal wie schwach motorisierten Sportmotorrad zu überholen, das gilt immer noch als große Tat. Von daher erfüllt die 300er-Ninja meiner Freundin wahrscheinlich viele Egos mit Freude auf die gleich beim Kaffee zu erzählende Heldengeschichte, wenn sie mit ihren viermal so großen Hubräumen an ihr vorbeiziehen. Und wenn umgekehrt sie überholt: Hey, geschenkt, war ja eine Rennfahrerin auf einem SPORTmotorrad.