60 Jahre UKW-Stereo in Deutschland: Raumklang im Schneckentempo

Vor 60 Jahren begann in Deutschland-West wie -Ost das Zeitalter von UKW-Stereo – wenige Jahre, nachdem Schallplatten zweikanalig wurden.

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Der erste Stereo-Tonwagen des Südwestfunks in Baden-Baden 1967 vor offensichtlich winterlicher Kulisse.

(Bild: SWR)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Karl-Gerhard Haas
Inhaltsverzeichnis

Nicht nur beim Sandmännchen war Deutschland-Ost Deutschland-West eine Nasenlänge voraus. Auch beim Zweikanalton im UKW-Radio war die untergegangene DDR schneller. Am 2. August 1963 sendete das ostdeutsche Staatsradio zum ersten Mal stereophon, also im Zweikanalton. Auf der Westseite folgte der öffentlich-rechtliche Sender Freies Berlin (SFB, heute Teil des RBB) erst zum 30. des Monats – zur Eröffnung der dortigen Funkausstellung. Apart: Ost wie West entschieden sich für dasselbe, von den US-Firmen General Electric und Zenith entwickelte System.

Stereophonie bedeutet räumliche Aufnahme und Wiedergabe und ist seit den späten 1960ern der Standard in der Musikproduktion. Stereo kommt aus dem Griechischen und bedeutet: fest, solide. Prinzipiell erschließt sich daraus in der Aufnahme- und Wiedergabetechnik keine Kanalzahl. In der Praxis wird es meist mit zwei Kanälen – Links und Rechts – produziert, die über ebenso viele Lautsprecher wiedergegeben werden, was im Gegensatz zum nur einkanaligen Mono die Akustik des Aufnahmeraums (oder die am Mischpult entstandene virtuelle) wesentlich klarer und spektakulärer abbildet.

Mit der Technik beschäftigte sich der Erfinder Clement Ader (1841-1925) bereits im späten 19. Jahrhundert. Am 11. August 1881 übertrug er stereophon eine Aufführung der Pariser Opernbühne in deren Nebenräume. Der Berliner Rundfunk – Vorgänger von SFB und RBB an der dortigen Masurenallee – produzierte von 1942 bis 1944 zwischen 300 und 400 Stereoaufnahmen, die allerdings ins heutige Polen ausgelagert wurden und größtenteils verschollen sind. In Großbritannien forschte der britische Ingenieur Alan Blumlein schon 1933 an damals "binaural" genannten Aufnahmen. Mangels anderer Medien nutzte er chemischen Film als Tonträger, diesem Umstand hat die Welt ein cineastisches Kleinod namens "Walking and Talking" zu verdanken. Blumlein erfand auch gleich noch die bis heute gängige Art, Stereoton auf Langspielplatten zu verewigen. Dessen Einführung 1958 durch Mercury Records erlebte er allerdings nicht mehr: Er starb 1942 bei einem Radar-Erprobungsflug.

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Der Umstiegstermin der Schallplatte zeigt schon: Richtig Fahrt nahm das Thema Stereophonie in der westlichen Welt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf. Die für Normalverbraucher erreichbaren Medien waren neben der Schallplatte das Radio, zu einem geringeren Anteil Tonbandgeräte. Deutschland hatte das Glück, nach dem Zweiten Weltkrieg viele seiner Lang- und Mittelwellenfrequenzen zu verlieren. Das forcierte den Umstieg auf die klanglich deutlich überlegene Ultrakurzwelle (UKW). Die wesentliche Verbesserung gegenüber der Mittelwelle ist nicht der verwendete Frequenzbereich, sondern die Modulationsart: Mittelwelle und Langwelle nutzen Amplitudenmodulation (AM), UKW Frequenzmodulation (FM). Der Unterschied: Aufs AM-Signal wirken sich elektrische und atmosphärische Störungen aller Art unmittelbar aus, das FM-Signal hingegen bleibt unbeeindruckt.

Auch UKW war zunächst mono. Aber bereits 1958 experimentierte der SFB mit Stereo – der 26. Dezember des Jahres gilt als Tag der ersten Stereo-Radioübertragung in Deutschland. Dazu schaltete man einfach zwei UKW-Sender und -Empfänger parallel. Für einen Versuch hinnehmbar – aber allen Beteiligten war klar, dass ein alltagstauglicher und wirtschaftlicher Stereo-Sendebetrieb nur möglich wäre, wenn man es schaffte, die Töne auf nur einer Frequenz zu senden – und zwar so, dass Monoempfänger ein einwandfreies, vollständiges Signal erhalten. Denn Wellenreiter, die zufällig eine der beiden Versuchsfrequenzen erwischten, hörten nur den linken oder rechten Kanal.

Blick in den ersten Stereo-Regieraum im sogenannten Unterhaltungskomplex des damaligen Südwestfunks in Baden-Baden. Er wurde 1967 in Betrieb genommen.

(Bild: SWR/G.A. Castagne)

Also: Wie packt man zwei Signale möglichst sauber und kompatibel in eines? Den Technikern kam entgegen, dass das Kanalraster des UKW-Bandes großzügig bemessen ist. Das Mono-Nutzsignal belegt nur einen Frequenzbereich bis 15.000 Hertz (Schwingungen pro Sekunde, Hz) oder 15 kHz, das UKW-Basisband ist aber deutlich breiter – mit dem ursprünglichen Mono-Signal ist der Kanal also bei Weitem nicht voll.

Schematische Darstellung der Signalanteile von UKW-Stereo.

(Bild: JaynfM, CC BY-SA 3.0)

Der erste und einfachste Schritt für den Übergang auf Stereo: Man bildet auf Senderseite aus linkem und rechtem Kanal ein Summen- (L+R) und ein Differenzsignal (L-R). Aus beiden lässt sich durch Addieren und Subtrahieren das vollständige Stereosignal wiederherstellen. L+R entspricht dem bisherigen Monosignal. Es ist, wie gehabt, auf 15 kHz begrenzt. Mit L-R amplitudenmoduliert man einen Träger bei 38 kHz. Die dadurch entstehenden unteren und oberen Seitenbänder werden Teil des Signalgemischs (Multiplex / MPX). Vorteil des Umwegs über AM und zwei Seitenbänder: Deren Signalpegel ist deutlich niedriger als der des Summensignals (oder eines direkt übertragenen Differenzsignals) – man braucht also weniger zusätzliche Sendeleistung.

Deswegen unterdrückt man auch den Träger bei 38 kHz, setzt ihn aber parallel als Pilotton auf 19 kHz herab. Der Pilotton hat nur etwa zehn Prozent der Amplitude des höchstmöglichen Summensignalpegels – der Träger bei 38 kHz hingegen verbrauchte auch dann tüchtig Senderleistung, wenn gar kein Nutzsignal übertragen wird. Der 19-kHz-Pilotton signalisiert dem Empfänger eine Stereoübertragung und garantiert stabile Phasenbeziehungen zwischen Summen- und Differenzsignal – nur dank ihrer lassen sich Links und Rechts wieder sauber dekodieren. Erst dieses mit seinen Seitenbändern bis 53 kHz reichende Signalgemisch (und RDS-Infos auf 57 kHz) wird jetzt frequenzmoduliert auf den Sender geschickt. Das gegenüber Mono (15 kHz) deutlich breitbandigere MPX-Signal ist schuld daran, dass man für einen rauscharmen Stereoempfang eine zehnmal höhere Antennenspannung als für Mono braucht.