60 Jahre UKW-Stereo in Deutschland: Raumklang im Schneckentempo

Seite 2: Aufpreis für den Raumklang

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Ein weiterer Nachteil des Verfahrens: Es ist aufwendig. Zu einer Zeit, als Unterhaltungselektronik mit Elektronenröhren betrieben wurde, war der Schaltungsaufwand (und damit auch der Preisaufschlag) für UKW-Stereo beträchtlich. Der Youtuber "Xraytonyb" zeigt in diesem Video die Innereien eines frühen MPX-Dekoders.

Und noch etwas konnte den Raumklang trüben: Die meisten Erwachsenen hören den 19-kHz-Pilotton zwar nicht – aber sofern ihn der Stereodekoder nicht sauber filtert, ist er da. Das führte im Verbund mit Tonbandgeräten und Kassettenrekordern immer wieder zu Problemen: Das Signal sättigt das Band mit nutzlosen Informationen; es kann im Verbund mit dem für die Vormagnetisierung der Bänder benutzten Signalgenerator Interferenzen produzieren und führt Rauschunterdrückungssysteme wie Dolby in die Irre. Deshalb gibt es an fast allen Aufnahmegeräten mit Dolby einen Schalter für den MPX-Filter – und dort, wo der fehlt, ist es immer aktiv.

Dennoch zeigten viele Untersuchungen, dass das US-System für UKW-Stereo das beste ist. Die öffentlich-rechtlichen Sender der damaligen Bundesrepublik taten sich aber mit der Einführung der Stereophonie schwer. Wie immer ging es ums liebe Geld. Die Umrüstung der eigentlichen Sender war dabei der geringste Posten. Die komplette Aufnahme- und Studiotechnik in allen Funkhäusern musste für Stereo erneuert werden. Mono-Archivaufnahmen ließen sich zwar weiterhin problemlos senden – es war aber absehbar, dass sie mit dem Siegeszug der Stereophonie bei den Hörern so unbeliebt würden wie später Schwarzweiß-TV-Sendungen bei den Besitzern von Farbgeräten.

Anlässlich der 1965 in Stuttgart ausgerichteten Funkausstellung präsentiert der damalige Süddeutsche Rundfunk den ersten stereotüchtigen Ü-Wagen der ARD unterm dortigen Sendeturm.

(Bild: SWR)

Petra Witting-Nöthen, Archivarin beim Westdeutschen Rundfunk (WDR), schildert die Stimmung im Papier "Die Einführung der Stereophonie im Rundfunk": "Die Intendanten standen der Sache eher abwartend, ja zum Teil ablehnend gegenüber. Doch konnten sie sich darauf einigen, eine Kommission 'Stereophonie' einzuberufen." Diese empfahl, UKW-Stereo auf der Funkausstellung 1963 anzukündigen. "Im Oktober 1962 sprach sich die ARD-Intendantentagung eindeutig dagegen aus." Und dann mäkelte noch Karl 0. Koch, seinerzeit Leiter der WDR-Hauptabteilung Musik: "Ihm schienen die stereophonen Aufnahmen unnatürlich, weil beispielsweise die Opernaufnahmen eine merkwürdige 'Entfernung der Sänger vom Orchester' hören ließen. Im Übrigen hielt Koch im Gegensatz zu seinem Stellvertreter Kruttge lediglich die E-Musik und die 'kammermusikkonzertante Tanzmusik' – damit gemeint war hochwertige Jazzmusik –, für eine stereophone Übertragung geeignet. 'Berieselung' wie Tanzmusik und Frühmusik sollten ohne Einschränkung in Monoqualität gesendet werden."

Erst Monate nach der SFB-Premiere auf der IFA (und der des DDR-Radios Anfang August), am 18. Dezember 1963, begann etwa beim WDR die Experimentierphase. Es dauerte Jahre, bis bei den damals – bis auf die Soldatensender der West-Alliierten – konkurrenzlosen Wellen der ARD ein substantieller Programmanteil in Stereo produziert und gesendet wurde. Auf Schallplatte war Stereo spätestens seit den späten 1960ern Standard, auf der Compact Cassette ging es in den frühen 1970ern los – in der ARD schaffte der Süddeutsche Rundfunk den ersten stereotauglichen Übertragungswagen 1965 an, also zwei Jahre nach dem offiziellen Start. Der benachbarte Südwestfunk ließ sich noch weitere zwei Jahre länger Zeit. Seine damals beliebte Popwelle SWF 3 (heute SWR 3) funkte gar erst seit 1980 in Stereo.

Blick in die Regie des SWF-Stereo-Ü-Wagens. Die Spezifikationen der Technik lesen sich nach heutigen Maßstäben bescheiden: Ein Frequenzgang von 40 Hz bis 15 kHz bei ± 2 dB Abweichung und ein Störabstand von 75 dB würden im Jahr 2023 kaum akzeptiert.

(Bild: SWR)

Insbesondere das Hörspiel wurde durch Stereo massiv aufgewertet – nicht zuletzt, weil es in den 1970ern viele Produktionen in Kunstkopf-Stereophonie gab, die eine besonders realistische Wiedergabe erlaubte – leider nur für Kopfhörernutzer.

Mit der Transistorierung wurde UKW-Stereo erschwinglich und trat seinen Siegeszug an. Bevor ab den 1980ern auch die ersten TV-Sender in Stereo sendeten, hatte es gelegentlich Parallelübertragungen von TV-Konzerten mit stereophonem UKW-Ton ("Simulcast") gegeben. Lange Jahre hatten Heimvideorecorder die entsprechende Möglichkeit, das Bild vom TV-Sender und den Ton von einem externen Radioempfänger aufzuzeichnen. In den USA experimentierte man in den 1970ern erfolgreich mit vierkanaliger ("quadrophoner") UKW-Übertragung – dem Vorläufer der aktuellen Surround-Formate – sowie Stereo auf Mittelwelle. Die Quadrophonie schlief nicht nur auf UKW ebenso schnell ein, wie sie gekommen war – und für die Mittelwelle konnte man sich nicht auf ein Stereo-System einigen. Ebenfalls in den 1970ern testete man für UKW Varianten von Rauschunterdrückungssystemen, Dolby B in den USA und Telefunkens HighCom in Deutschland. Durchsetzen konnte sich keines.

UKW wurde in Deutschland schon mehrfach totgesagt und ist in einigen unserer Nachbarländer tatsächlich abgeschaltet. Aus den deutschen Kabelnetzen ist UKW zwar verschwunden, terrestrisch wird es aber nach wie vor gesendet und genutzt. Für öffentlich-rechtliche wie private Sender sind allerdings die stark gestiegenen Stromkosten sowie das Geschachere mit den Sendemasten ein Problem. Dennoch, sagt ARD-Sprecherin Stefanie Germann zu heise online, ändert sich vorerst nichts. "Der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland, Programmangebote für alle Menschen in Deutschland zu unterbreiten, kann momentan im Hörfunk nur über den Simulcast der analogen und digitalen Empfangswege sichergestellt werden."

(dahe)