Das Unvollendete

Seite 3: Das Unvollendete

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Nein. Ein menschlicher Assistent besitzt eine Form von Intelligenz, die wir nicht nachahmen. Er hat die Fähigkeit des menschlichen Geistes, plötzlich auf Zusammenhänge quer durch sein ganzes Erfahrungsspektrum zu kommen. "Ich habe Ihre Reise über Tiawicha gebucht, weil an diesem Wochenende dort das Blumenfest ist, und ich dachte, das gefällt Ihnen vielleicht", so läuft ein menschlicher Gedankengang. Das semantische Web ist, als gäbe man Ihnen ein Programm, das alles kann, was die IT-Abteilung Ihres Unternehmens programmieren könnte, wenn sie die Zeit hätte. Aber es ist immer noch ein Programm, wie das World Wide Web noch immer ein Dokument ist. In Zukunft wird das semantische Web ein großartiger Ort sein, um künstliche Intelligenz (KI) im engen Sinn zu entwickeln. Aber im Moment machen wir etwas ziemlich Mechanisches - selbst wenn wir Teile der Werkzeuge benutzen, die von der KI-Gemeinde entwickelt wurde.

Technology Review: Die Aufgabe scheint unlösbar groß. Wie funktioniert die Technologie?

Die Technologie des semantischen Webs geht das Problem auf zwei Stufen an. Die banalere ist ein allgemeines Datenformat. Sie können eine Datenbank, einen Kalender, ein Adressbuch, eine Bankanweisung oder eine Wetterbeobachtung nehmen - eigentlich alles mit harten Daten - und es vom Rechner in die Grundsprache des semantischen Webs übertragen lassen, statt in irgendein spezielles Format. Das löst das "syntaktische" Problem. Doch es löst nicht das "semantische". Dazu benennt das semantische Web zunächst die Grundbegriffe der Daten: Uhrzeit und Datum, ein Ereignis, ein Scheck, eine Transaktion, Temperatur und Luftdruck, Position. Sie alle sind so definiert, dass ihre Bedeutung genau ihrer Rolle im System entspricht - etwa "Transaktionsdatum, so wie es auf einer Bankanweisung steht". Die Gesamtheit dieser Begriffe nennt man eine Ontologie. Wenn Zusammenhänge zwischen Ontologien bestehen, wenn also Zeit und Datum eines Fotos begrifflich dem Zeitpunkt einer Wetterbeobachtung entsprechen, legen wir Regeln fest, die diese Zusammenhänge ausnutzen. Das ermöglicht es etwa, einen Agenten im semantischen Web nach Fotos suchen zu lassen, die an sonnigen Tagen aufgenommen wurden. Bit für Bit, Link für Link werden die Daten verwoben. Spannend dabei ist die Wiederverwendung der Daten: Jemand stellt sie für einen bestimmten Zweck ins Netz, der Nächste nutzt sie für einen anderen.

Technology Review: Sie sagten, dass "Phase eins" des semantischen Webs vollendet ist. Können Sie das erklären?

Das semantische Web funktioniert, indem es neue Sprachen definiert, in denen Computer Daten austauschen können. Phase eins war, die Syntax und Semantik der ersten dieser Sprachen so weit zu bringen, dass sie von den Mitgliedern des W3C als Standards unterstützt werden. Denn Kompatibilität ist der Schlüssel: Kein Programm kann als Anwendung des semantischen Webs gelten, wenn es nur in seinem eigenen Datenformat arbeitet, ohne Daten mit anderen Programmen austauschen zu können. Jetzt gibt es diese Grundlage. Jeder, der neue Anwendungen entwickeln oder Daten veröffentlichen will, kann es tun. Jedes andere Programm kann die Daten lesen.

Technology Review: Welche Anwendungen des semantischen Webs werden für die nächste Phase entwickelt?

Spannende Dinge geschehen in den Lebenswissenschaften. Die großen Herausforderungen wie Krebs, Aids und die Entdeckung von Wirkstoffen gegen neue Viren verlangen das Zusammenspiel riesiger Datenmengen aus überlappenden Gebieten - Genomik, Proteomik, Epidemiologie und so weiter. Einige dieser Daten sind öffentlich, einige gut gehütet von Konzernen und andere gehören zur Privatsphäre eines Patienten. Die Herausforderung des semantischen Webs, die Kompatibilität über diese Felder hinweg zu gewährleisten, ist gewaltig, aber verspricht großen Nutzen.

Technology Review: Aber geht es nicht bloß darum, Daten zwischen vielen Gebieten auszutauschen?

Nein. Es muss auch gelingen, Privatsphäre und geistiges Eigentum zu wahren und zugleich Informationen effizient zu nutzen - wenn man zum Beispiel einen neuen Wirkstoff sucht, könnte man epidemiologische Daten mit externen Faktoren wie Wetter, Reisetätigkeit oder Demografie vereinen, um herauszufinden, wie eine Krankheit übertragen wird und welche Menschen besonders anfällig sind. Dann könnte man versuchen, sie auf eine genetische Eigenschaft zurückzuführen, und fragen, welche Proteine dabei im Spiel sind und was sie in der menschlichen Zelle auslösen oder hemmen. Schließlich könnte man die an diesen Wirkwegen beteiligten Substanzen mit den Symptomen der Krankheit verknüpfen und mit Wirkstoffkandidaten. So kann man viel gewinnen, weshalb viele Leute sich dafür begeistern, in den Lebenswissenschaften mit Anwendungen des semantischen Webs zu arbeiten.

Technology Review: Existieren schon Anwendungen, die zeigen, wie das semantische Web solche Verknüpfungen bilden kann?