Der Billionen-Dollar-Organismus

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Venter hat vergangene Woche im US-Magazin Free Republic betont, es handele sich lediglich um ein „Verfahrenspatent“. In der Voranmeldung, die sein Institut auch bei der World Intellectual Property Organization WIPO eingereicht hat – in der über 100 Staaten Mitglied sind – würden in den Claims 20, 21 und 23 jedoch auch explizit „frei lebende Organismen, die wachsen und sich replizieren“ auf der Basis des zuvor aufgelisteten Minimalgenoms erfasst, hält Jim Thomas dagegen. „Es ist einfach nicht wahr, dass dieses Patent nur technische Verfahren betrifft“, sagt er. „Wir glauben, dass ‚Synthia’, wie wir Venters Bakterium getauft haben, eine sehr viel größere Sache sein wird als das Klonschaf Dolly.“

Die ETC Group wirft dem Venter-Institut vor, mit ihrer Patentanmeldung eine gesellschaftliche Grenze überschritten zu haben, ohne dass die Öffentlichkeit vorher in einer Debatte über die ethischen und ökologischen Konsequenzen synthetischer Lebensformen einbezogen worden sei. Ein Vorwurf, den Institutssprecherin Heather Kowalski zurückweist: „Wir haben mit zwei anderen Gruppen eine Technikfolgen-Studie erstellt, die nächsten Monat publiziert wird. Und die ETC Group hat an einer offenen Session zu diesem Thema im Mai selbst teilgenommen.“

Die Aufgabe für Mycoplasma laboratorium – wenn es irgendwann „funktioniert“ – ist zumindest gut gemeint: Es soll mit Hilfe zusätzlicher Gene irgendwann Wasserstoff und Ethanol zu produzieren. Damit will das Venter-Institut einen Beitrag zu einer nachhaltigen Energieversorgung leisten. „Energie ist wahrscheinlich das drängenste Problem auf unserem Planeten“, sagte Venter kürzlich in einem Interview mit dem US-Magazin Newsweek. Er wolle mit seinen Kollegen Kraftstoffe designen, die viel besser seien als heutige Kraftstoffe, weil sie nicht auf Öl oder Kohle basieren. Aber dann kam der Geschäftsmann zum Vorschein, als er hinzufügte: „Wenn wir einen solchen Kraftstoff produzierenden Organismus machen würden, wäre das der erste Milliarden- oder Billionen-Dollar-Organismus.“ Ein Philanthrop wie etwa Tim Berners-Lee ist Venter dann doch nicht.

Ob sein Institut irgendwann in den Genuss eines weltweiten Patentschutzes kommt, ist allerdings fraglich. Derzeit läuft beim Europäischen Patentamt (EPO) in München für die WIPO eine Begutachtung der Patentschrift. Die bereits durchgeführte Recherche zum Stand der Technik listet unter anderem zwei ältere wissenschaftliche Veröffentlichungen auf, die mit dem Prädikat „X“ bewertet sind. Will heißen: Sie stellen die behauptetete Neuheit von Mycoplasma laboratorium ernsthaft in Frage. Eine zweite Bewertung, im patentrechtlichen Jargon „Erstkommunikation“ genannt, ist bereits erstellt worden, aber noch nicht veröffentlicht. So könnte die Vision des J. Craig Venter vom globalen Billionen-Dollar-Organismus doch noch scheitern.

Das wäre nicht ohne Ironie, denn das EPO hat – anders als die ETC Group und viele Zeitgenossen – keine grundsätzlichen oder ethischen Einwände gegen Biopatente. „Lebende Materie ist zu keinem Zeitpunkt von der Patentfähigkeit ausgeschlossen worden“, sagt EPO-Sprecher Rainer Osterwald. Das europäische Patentrecht schreibt aber auch vor, dass „Ausführungsbeispiele“ genannt werden müssen, die ein Fachmann nacharbeiten kann. Wie es aussieht, könnte es auch hier Schwierigkeiten geben. Der mögliche Alptraum eines auch nur teilweisen Monopols auf künstliches Leben wäre dann – zumindest in Europa – aus rein juristischen Gründen erst einmal ausgeträumt. (nbo)