Die Revolution der Reproduktion

Seite 3: Reproduktion umprogrammiert

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Ergebnisse aus Mäuseversuchen sind nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragbar. Trotzdem ist sich Georg Griesinger, Leiter der Universitären Kinderwunschzentren Lübeck und Großhansdorf (Manhagen), sicher, dass man die Faktoren und die Bedingungen herausfinden wird, "welche die Entwicklung einer menschlichen Stammzelle in Richtung Keimzelle steuern". Aus Griesingers Sicht ist das nur eine Frage der Zeit: "Irgendwann werden Keimzellen im Labor unbegrenzt herstellbar sein. Das wird die Fortpflanzung revolutionieren."

Diese Einschätzung teilt Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. "Solch ein Szenario könnte disruptive Konsequenzen für die Fortpflanzungsmedizin und das grundlegende Verständnis menschlicher Reproduktion haben." Denn es würde nicht nur Frauen ermöglichen, unabhängig von ihrem Eizell-Reservoir Kinder zu bekommen. Auch lesbische und schwule Paare könnten auf diese Weise leiblichen Nachwuchs zeugen. Noch wären Männer allerdings auf die Hilfe einer Leihmutter angewiesen – was hierzulande verboten ist. Aber der Bedarf ist da. Auch Mats Brännström erhält Anfragen von homosexuellen Paaren.

Denkbar scheint mittlerweile sogar ein noch radikalerer Weg: Magdalena Zernicka-Goetz, Entwicklungsbiologin an der University of Cambridge, arbeitet bereits daran, Embryos komplett außerhalb der Gebärmutter heranreifen zu lassen. Ihr Team mischte embryonale Stammzellen mit jenen Stammzellen, die später die Plazenta bilden, in einer dreidimensionalen gelatineartigen Kultur. Es entwickelte sich eine Zellformation, die einem natürlich entwickelten Embryo stark ähnelte. Außerdem stießen die Wissenschaftler nach eigenen Angaben auf frühe Vorläufer der Keimzellen.

Die Ergebnisse erschienen im renommierten Journal "Science" und zogen sofort Kritik auf sich. Viele Forscher bezweifeln, dass es sich bei den entwickelten Zellaggregaten bereits um Embryos handelt. Sollte dem aber tatsächlich so sein, zöge das Verfahren gewaltige ethische und gesellschaftliche Diskussionen nach sich. Zur Verteidigung der Forscherin muss man zwar anfügen, dass es bei ihren Versuchen nicht darum geht, die Menschwerdung außerhalb des Mutterleibs durchzuspielen – sondern um mehr über die Hürden bei der frühen menschlichen Embryonalentwicklung zu erfahren. Trotzdem weisen die Arbeiten der Briten die Richtung, die diese Forschung nehmen könnte. Vielleicht wird es eines Tages möglich sein, dass sich Embryos außerhalb des menschlichen Körpers entwickeln. Falls es irgendwann einmal so weit sein sollte, wäre die künstliche Gebärmutter aus Philadelphia sicher von Nutzen.

Der neue Code der menschlichen Fortpflanzung wäre fertig, die Reproduktion umprogrammiert. Wann Unfruchtbarkeit und ungewollte Kinderlosigkeit wirklich der Vergangenheit angehören, ist zwar noch nicht abzusehen. Aber die Fortschritte der zurückliegenden Jahre zeigen, dass eine Umwälzung auf die Gesellschaft zukommt, die die In-vitro-Fertilisation in den Schatten stellen wird. Denn der medizinische Druck ist da. Das Leid der Betroffenen ist groß genug, um beinahe jede Chance zu ergreifen – und sei sie noch so ethisch umstritten und medizinisch unausgereift.

Letzteres zeigen die Versprechen von Medizinern, die künftige Möglichkeiten schon jetzt als Realität verkaufen. Sie werben etwa damit, die Menopause der Frau zurückdrehen zu können. Gerade hat der New Yorker Arzt John Zhang das Start-up Darwin Life gegründet, um unfruchtbaren Frauen jenseits der 40 Nachwuchs zu ermöglichen. Dafür will er ihr Genmaterial in eine Eizelle übertragen, die eine junge Frau gespendet hat. 100000 Dollar soll das Verfahren kosten. Auch Konstantinos Sfakianoudis, Gynäkologe an der privaten griechischen Fertilitätsklinik Genesis Athens, will Frauen helfen, die frühzeitig vom Klimakterium überrascht wurden.

Er nutzt dazu thrombozytenreiches Plasma aus dem Blut der Patientinnen. Normalerweise wird die Therapie etwa zur Wundheilung eingesetzt. Sfakianoudis' Team injizierte das Plasma in die Eierstöcke von Frauen, die keine Menstruation mehr hatten. Bei 75 Prozent der ungefähr 60 behandelten Frauen soll die Therapie angeschlagen haben. Den Ärzten zufolge setzte die Menstruation wieder ein, neun Frauen konnten schwanger werden.

Jetzt planen die Mediziner im kalifornischen Carlsbad gemeinsam mit den Berkeley-Forschern Irina und Michael Conboy eine weitere Pilotstudie mit 50 Frauen – die Inovium Ovarian Rejuvenation Trials. Interessierte Frauen können sich auf der Webseite anmelden: Die Verjüngungskur für die Eierstöcke kostet zwischen 5000 und 7800 Dollar, für die gesamte In-vitro-Fertilisation werden 24000 bis 29000 Dollar veranschlagt. Offiziell als klinische Studie angemeldet ist das Projekt nicht – für den Lübecker Gynäkologen Griesinger ein zentraler Kritikpunkt: "Solche Behandlungskonzepte sollten nicht einfach – und auch noch gegen Geld – ausprobiert werden." Ob sie wirklich zum Erfolg führten, könne auch nach den durchgängig unkontrollierten Studien niemand sagen. "Ich habe keine echte Vergleichsgröße, um einzuschätzen, was ein zufälliges Phänomen und was tatsächlich der Therapieeffekt ist", sagt Griesinger.

Ähnliche Beanstandungen muss sich auch das US-Unternehmen OvaScience gefallen lassen. Mit seinem Hauptprodukt Augment wollte es die Fruchtbarkeit bei älteren Frauen erhöhen und erzielte ein gewaltiges Medienecho. Für das Verfahren entnahm OvaScience den Vorläuferzellen von Eizellen die Mitochondrien, die Kraftwerke der Zelle. Diese wurden anschließend im Rahmen einer künstlichen Befruchtung zusammen mit Spermien in die Eizellen injiziert und sollten für zusätzliche Power sorgen.

In Japan, Kanada und den Vereinigten Arabischen Emiraten war die Methode zugelassen, nicht aber in den USA. Trotzdem droht ihr in der amerikanischen Heimat eine Sammelklage von Anlegern. Sie werfen dem Unternehmen vor, die Therapie nicht wissenschaftlich validiert zu haben. In der Tat wurden nie klinische Studien über Augment veröffentlicht. Inzwischen hat die Firma das Verfahren auf Eis gelegt.

Überzeugt hat Georg Griesinger dagegen der Ansatz von Forschern der kalifornischen Stanford University und der St. Marianna University School of Medicine im japanischen Kawasaki. Für die in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" publizierte Studie behandelten Aaron Hsueh und Kazuhiro Kawamura ebenfalls unfruchtbare Frauen mit nicht funktionierenden Eierstöcken. Im ersten Teil fügten sie den Eierstöcken in einem operativen Eingriff mehrere kleine Schnitte zu. Außerdem entnahmen die Mediziner Eierstockgewebe, das sie zerstückelten und in der Petrischale mit einem Medikament behandelten, das ein Enzym blockiert.

Anschließend implantierten sie die Zellen zurück in die Ovarien der Patientinnen. Von den 27 Teilnehmerinnen gebar eine ein gesundes Kind. So gering die Erfolgsquote war, für den Reproduktionsmediziner Griesinger ist das Verfahren derzeit "fast das kurzfristig erfolgversprechendste". Er mahnt jedoch zur Vorsicht – wie viele andere Experten.

Guido de Wert, der an der Maastricht University Ethik in der Reproduktionsmedizin und Genforschung lehrt, sagt: "Von größter Bedeutung ist, dass jede neue experimentelle Reproduktionstechnologie erst dann in die Klinik eingeführt wird, wenn in umfangreichen vorklinischen Studien die Sicherheit hinreichend erforscht wurde." Ob sich alle daran halten werden, darf nach den bisherigen Erfahrungen allerdings bezweifelt werden. (inwu)