Die Revolution der Reproduktion

Das Schicksal, ungewollt kinderlos zu sein, wird künftig der Vergangenheit angehören. Forscher transplantieren Fortpflanzungsorgane, arbeiten am künstlichen Uterus, züchten Spermien und Eizellen aus Hautzellen.

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Von
  • Inge Wünnenberg
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In Deutschland sind 22 Prozent der Frauen zwischen 40 und 44 Jahren kinderlos, so jedenfalls die neuesten verfügbaren Zahlen von 2012. Manch eine hat sich bewusst gegen Nachwuchs entschieden. Aber die vielen anderen fragen sich: Muss das sein? Weltweit hoffen Wissenschaftler, bald eine eindeutige Antwort geben zu können – nein, sie erforschen Methoden, die weit über die künstliche Befruchtung hinausgehen.

TR 7/2017

Bei Bedarf transplantieren Mediziner eine Gebärmutter oder auch einen Eierstock, damit Frauen ein Kind austragen oder Eizellen generieren können. Längst forschen sie daran, Ei- und Samenzellen aus Hautzellen zu gewinnen – und arbeiten sogar an künstlichen Fruchtblasen. Zusätzlich sollen biologische Hürden wie die Menopause bei Frauen durch spezielle Therapien zu Fall gebracht werden. Ob die Entwicklung unheimlich hilfreich oder nur unheimlich ist, wird die Zukunft zeigen. Sicher ist nur: Diese Zukunft ist näher, als viele denken.

Auf die Idee, eine Gebärmutter zu transplantieren, kam der Gynäkologe Mats Brännström ein bisschen wie die Jungfrau zum Kind. Durch eine Krebserkrankung hatte eine junge Australierin ihren Uterus verloren. Der schwedische Arzt weilte damals zu einem Forschungsaufenthalt in Adelaide, als die Frau ihn fragte, ob er ihr nicht das Organ ihrer Mutter einsetzen könne. Das war 1998. Damals wagte sich Brännström nicht an die Operation, aber der Gedanke ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.

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Zurück in Schweden, begann er am Klinikum der Sahlgrenska Universität in Göteborg mit seinem Team, die Gebärmuttern von Mäusen, Schweinen, Schafen und schließlich – in Kenia – sogar bei Pavianen zu transplantieren. Er wollte wissen: Geht das überhaupt? Ist der Nachwuchs am Ende wirklich gesund? Die Ergebnisse waren so gut, dass er sich 2013 an die erste derartige Transplantation bei einer Frau wagte. Vincent, das erste Kind, wurde im September 2014 geboren, und kurz darauf auch Albin, der als Erster im gleichen Uterus heranwuchs wie seine Mutter – nämlich in dem seiner Oma. Inzwischen hat Brännström neun Gebärmuttern transplantiert.

Bei zwei Patientinnen musste sein Team das Organ aufgrund von Abstoßungsreaktionen wieder entfernen. Aber bei sieben glückte der Eingriff. Sechs Kinder kamen mittlerweile auf die Welt. Eine Patientin hatte ihren Uterus durch eine Krankheit verloren. Die anderen Frauen litten unter dem Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom (MRKHS). Die Krankheit betrifft eine von 5000 Frauen, sie kommen sowohl ohne Vagina als auch ohne Gebärmutter zur Welt.

Vergangenen Oktober glückte die Operation zum ersten Mal auch in Deutschland. Sara Brucker, Leiterin des Zentrums für seltene genitale Fehlbildungen am Universitätsklinikum Tübingen, hatte bereits mehr als 400 MRKHS-Patientinnen zu einer funktionierenden Scheide verholfen, einer sogenannten Neovagina. Nun wollte sie einer Patientin ermöglichen, ein eigenes Kind zu bekommen. Die 23-Jährige erhielt den Uterus ihrer Mutter. Die Eizellen hatte Brucker vor der OP entnommen und befruchtet. Wenn alles klappt, wird die junge Frau diesen Herbst schwanger sein.

Für den Eingriff hatte die Tübinger Ärztin gemeinsam mit ihrem Team in Schweden trainiert, außerdem kam Brännström mit zwei Kollegen zur Unterstützung unter der OP nach Deutschland. Nun sollen weitere Transplantationen in Tübingen folgen. Ende Mai meldete auch das Galaxy Care Hospital im indischen Pune zwei erfolgreiche Transplantationen.

Das große Hindernis ist jedoch der Mangel an geeigneten Gebärmuttern. Denn die Ansprüche an das Organ sind hoch: Zum einen muss es so gut zum Empfänger passen, dass die Abstoßungsreaktion milde ausfällt. Zum anderen verwendeten sowohl Brännström und Brucker als auch die Inder ausschließlich Lebendspenden – und zwar von einer Frau, die bereits selbst ein Kind ausgetragen hatte. Andere Ärzteteams aus den USA, Saudi-Arabien oder der Türkei hatten auf Organe von Hirntoten zurückgegriffen, damit aber kein Glück.

Das Organ scheint zu rasch nach dem Tod zu viel von seiner Funktionsfähigkeit einzubüßen. Die Notwendigkeit einer Lebendspende macht den Eingriff aufwendig, denn die Entnahme des gut durchbluteten Organs ist kompliziert. Sie dauert meist mehr als zehn Stunden und ist für den Körper der Spenderin äußerst belastend. Gleichzeitig müssen die Mediziner möglichst viel von den versorgenden Blutgefäßen mit transplantieren, damit später auch wirklich ein Kind darin heranwachsen kann.

Deshalb plant Brännström, sich mit einer Art künstlicher Gebärmutter unabhängiger von den Spenden zu machen. Um sie herzustellen, würde sein Team das Gebärmuttergewebe zunächst von den Zellen der Spenderin befreien. So erhielten sie ein Organgerüst aus extrazellulärer Matrix. Im nächsten Schritt würden die Wissenschaftler das Gerüst mit neuen Zellen besiedeln. In Ratten haben sie das künstliche Gebärmuttergewebe bereits eingesetzt, zunächst allerdings nur als eine Art Flicken für den bestehenden Uterus. Es fügte sich – wie erhofft – in das Organ ein. Die transplantierten Nager hatten Nachwuchs, wie die Forscher im Dezember 2016 in den "Annals of Biomedical Engineering" berichteten.