Die X-Akten der Astronomie: Der dunkle Beschleuniger

Seite 3: Auftritt PSR J2032+4127

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2009 entdeckte eine Gruppe von Radioastronomen mit dem 100m-Green-Bank-Radioteleskop bei einer Radiofrequenz von 2 GHz einen bis dahin unbekannten Pulsar, PSR J2032+4127, nur 0,07° (4 Bogenminuten) vom Zentrum der HEGRA-Detektion entfernt (siehe nächstes Bild). Auf die Entfernung von OB2 wären das etwa 7 Lichtjahre an auf die Himmelskugel projizierter Distanz. Die Pulsrate bestimmten sie zu 143 Millisekunden (7 Pulse pro Sekunde) und mutmaßten, dass das Objekt mit der eingangs genannten Gammaquelle 3EG J2033+4118 identisch sein dürfte. In der ursprünglichen Arbeit auf die doppelte Entfernung von OB2 geschätzt, wurde diese nach einer Messung seiner Gamma-Leuchtkraft in einer späteren Arbeit auf 5500 Lichtjahre korrigiert – und damit mitten in OB2 hineinversetzt. Fortwährende Messungen der Pulsrate des Pulsars erlaubten die Bestimmung, um welchen Betrag sich die Rotation des Pulsars verringert, dessen rotierendes Magnetfeld seine Rotation verlangsamt. Dies ist der Motor der Pulsarstrahlung: Aus der Verlangsamungsrate folgt die Leistung der magnetischen Bremse, die der Pulsar in Form von Strahlung abgeben muss: 2,7·1027 W. Gemäß seiner aktuellen Pulsfrequenz und Verlangsamungsrate sollte der Pulsar auf eine Supernova vor etwa 110.000 Jahren zurückgehen.

Mehrere Wissenschaftler sahen sofort einen Zusammenhang des Pulsars mit dem Dunklen Beschleuniger. Wissenschaftler der am VERITAS-Tscherenkow-Teleskop beteiligten Institute (VERITAS-Kollaboration) richteten das 2007 in Dienst gestellte Gerät auf OB2, um eine mögliche Verbindung zwischen PSR J2032+4127 und TeV J2032+4130 zu verifizieren. VERITAS besteht aus vier 12-Meter-Spiegelteleskopen mit 499-Pixel-Restlichtverstärker-Matrizen. Es kann eine Punktquelle mit einem Prozent der Leuchtkraft des Krebsnebels binnen 30 Stunden Beobachtungszeit mit 5σ Signifikanz detektieren (99.999943 Prozent Wahrscheinlichkeit, dass eine vorhandene Quelle aufgespürt wird) und auf 0,08° (4,8 Bogenminuten) genau lokalisieren. Die Daten wurden zwischen 2009 und 2012 gesammelt und 2014 veröffentlicht.

VERITAS-Gammastrahlen-Signifikanzkarte der Region um den Dunklen Beschleuniger. Die räumliche Auflösung für die Lokalisierung einzelner Gammaphotonen ist geringer als die Auflösung der Messung. Durch die Kombination zahlreicher Messungen wird die Lokalisierungsgenauigkeit erhöht. Die Signifikanz gemessen in σ (Sigma = Standardabweichung) zeigt an, wo die Wahrscheinlichkeit der Herkunft für die zufällig streuenden Einzelmessungen am größten ist.
Die rote Zone entspricht der Gammastrahlung des Dunklen Beschleunigers TeV J2032+4130. Der blaue Stern markiert die Position des neu entdeckten Pulsar PSR J2032+4127, das schwarze Dreieck die Position von Cygnus X-3. Die beiden roten Punkte zeigen die Orte, auf die die Teleskope abwechselnd gerichtet wurden, um genauere Ergebnisse zu erzielen ("Wobble-Modus").

(Bild: VERITAS Collaboration, arXiv)

Die Autoren der VERITAS-Kollaboration fanden den Dunklen Beschleuniger zentriert bei 20h31m40s und +41°33’53“ mit einer Ausdehnung von 9,5×4.0 Bogenminuten. Seine ellipsenförmige Ausdehnung ist mit der Längsachse auf die Position des Pulsars PSR J2032+4127 ausgerichtet. Die Leuchtkraft oberhalb 1 TeV wurde mit 4,3 Prozent des Krebsnebels bestimmt. Dies entspricht 0,3 Prozent der oben genannten Leistung, die der Pulsar durch die magnetische Abbremsung verliert und abstrahlt. Die Abstrahlung des Pulsars käme als Quelle für die Gammastrahlung ohne Weiteres infrage.

Ein Vergleich mit Aufnahmen bei anderen Wellenlängen (Infrarotstrahlung bei 8 und 24 µm und Radiostrahlung bei 1,4 GHz) zeigt an der entsprechenden Stelle nichts als Dunkelheit – in allen Aufnahmen ist gerade dieser Bereich als dunkler Fleck ausgespart, was sicherlich kein Artefakt ist. Derart große dunkle Zonen sind in OB2 eher selten. Als Ursache könne eine dichte, kühle Staubwolke herhalten, die den Hintergrund verdecke, aber dagegen spreche ihre Größe und das Fehlen einer bei solchen Wolken typischerweise beobachteten charakteristischen fleckigen Struktur, schreiben die VERITAS-Autoren.

Vergleich der VERITAS-Signifikanzkarte (a) mit 1,4-GHz-Radioaufnahmen des Canadian Galactic Plane Surveys CGPS (b) und Infrarotaufnahmen des Spitzer-Weltraumteleskops bei 24 µm (c) und 8 µm (d). Die Konturen verschiedener Signifikanzwerte (4σ - 8σ) der VERITAS-Messung sind in den Bildern b, c und d als helle Linien überlagert. Interessanterweise erscheint die VERITAS-Quelle auf den anderen Aufnahmen dunkel und leer zu sein. Grüne Kreise zeigen die Positionen von O- und B-Sternen an, türkisfarbene Kreise markieren Orte der Sternentstehung. Es findet sich keine Häufung solcher Objekte im Bereich der VERITAS-Quelle.

(Bild: VERITAS Collaboration, arXiv)

Eine weitere Möglichkeit wäre, dass die Sternwinde massiver O- und B-Sterne die Zone leer geweht haben könnten, welche auch die Gammastrahlung als Folge von Partikelkollisionen hervorbringen könnten. Die Karte oben zeigt jedoch, dass solche Sterne im Bereich der VERITAS-Quelle nicht gehäuft auftreten, wie man es in diesem Falle erwartet hätte.

Schließlich wäre eine Supernova eine mögliche Ursache, deren Stoßwelle den Bereich frei geräumt hat. Butt et al. hatten ja bereits spekuliert, die Ringstruktur der Stoßwelle einer Supernova vor 500 Jahren auf ihrer VLA-Aufnahme entdeckt zu haben, aber die Struktur ihrer mutmaßlichen VLA-Stoßfront ist viel kleiner als der Leerraum der VERITAS-Quelle. Eine viel ältere Supernova vor mehr als 30.000 Jahren könnte hingegen einen entsprechend großen Leerraum geschaffen haben. In diesem Fall wäre die Gammastrahlung allerdings nicht auf den Supernovarest zurück zu führen, denn dieser wäre längst abgekühlt und seine Teilchengeschwindigkeit zu gering geworden. Jedoch könnte ein "Pulsarwind-Nebel" des verbliebenen Pulsars die Gammastrahlung aussenden.

Ein Pulsarwind-Nebel, wie er etwa den Pulsar im Krebsnebel umgibt, wird von im hunderte Millionen Tesla starken Magnetfeld des Pulsars beschleunigten Teilchen erzeugt, die in umgebendes Gas rammen. Aufgrund von Bremsstrahlung oder durch bei Teilchenkollisionen produzierte und dann zerfallende Sekundärteilchen entsteht Gammastrahlung. Das könnte auch beim Dunklen Beschleuniger der Fall sein, denn der Leerraum ist nicht vollkommen frei von Teilchen, hier ist nur deren Dichte geringer; der Pulsarwind hat hier eine große Reichweite, trifft aber noch genug Teilchen, um Gammastrahlung zu erzeugen.

Als logische Pulsarquelle läge PSR J2032+4127 buchstäblich am nächsten. Er hätte sich demgemäß ursprünglich im Zentrum des Leerraums befunden, wo eine Supernova ihn und den umgebenden Leerraum hervorgebracht hätte, und er hätte sich danach binnen seines geschätzten Alters von 110.000 Jahren mit 51 km/s knapp 19 Lichtjahre weit nach Südosten vom Explosionsort entfernt. Die Gamma-Leuchtkraft von TeV J2032+4130 ist im Vergleich zu jüngeren Pulsarwind-Nebeln wie denjenigen im Zentrum des Krebsnebels oder um den Pulsar Geminga eher gering. Vergleicht man TeV J2032+4130 mit der anderen von Pulsarwind-Nebeln umgebenen Pulsaren verschiedenen Alters in Bezug auf Abbremsrate, Leuchtkraft des Nebels und dem Verhältnis von Röntgen- zu Gammaleuchtkraft, dann passt PSR J2032+4127 mit TeV J2032+4130 als zugehörigem Pulsarwind-Nebel genau ins Schema für einen rund 100.000 Jahre alten Pulsar.

Zwar schreiben die Autoren der VERITAS-Kollaboration, dass ein Ursprung der Gammastrahlung durch Sternwinde noch nicht ausgeschlossen werden könne, aber ein Pulsarwind-Nebel als Ursache erscheint deutlich plausibler. Case closed?

Es verblieb jedenfalls noch die Variabilität der Quelle zu deuten, denn fast jede Messung hatte eine andere Gamma-Leuchtkraft ergeben. Eine Auswertung langfristiger Beobachtungen der Röntgen-Weltraumteleskope Chandra, Swift-XRT, NuSTAR und XMM-Newton ergab, dass die Röntgenlichtkurve zusätzlich zu einem langfristig zunehmenden Trend Schwankungen um den Faktor 20 binnen Zeiträumen von Wochen zeigte.

Wiederholte Beobachtungen der Pulsrate von PSR J2032+4127 zeigten überraschenderweise, dass seine Bremsrate enorm zu schwanken schien. 2015 entdeckte man die Ursache dafür: der Pulsar umkreist einen B0Ve-Stern von 15 Sonnenmassen mit einer Umlaufzeit von 45 bis 50 Jahren auf einer stark elliptischen Bahn, was eine aufgrund der Richtungsänderung in Bezug auf die Erde entlang seiner gekrümmten Bahn variierende Dopplerverschiebung seiner Pulse verursacht. Der Stern trägt die Bezeichnung MT91 213. Spektralklasse B0Ve bezeichnet einen Stern der Spektralklasse B0 (30.000 K heiß, an der Grenze zum O-Stern), V ist die Leuchtkraftklasse und bedeutet "Zwergstern", also ein Hauptreihenstern mit Wasserstofffusion im Kern, und das "e" steht für Emission, das Spektrum enthält neben den dunklen Absorptionslinien helle Emissionslinien eines selbstleuchtenden Gases.

Absorption entsteht, wenn ein neutrales Gas durchleuchtet wird und die Elektronen in den Gasatomen Photonen bestimmter Energien absorbieren, die dann in der Durchsicht durch das Gas fehlen, wie das in der äußeren Sternatmosphäre (Chromosphäre) oberhalb des Plasmas (Photosphäre) passiert. Das Licht geht natürlich nicht verloren, sondern wird in zufälliger Richtung wieder abgestrahlt. Ist der Stern von sehr viel Gas umgeben, dann kann zur Seite abgestrahltes Licht zu hellen Emissionslinien führen, wenn diese durch den Dopplereffekt etwa bei einer rotierenden Gasscheibe gegen die dunklen Absorptionslinien verschoben oder aufgeweitet werden. Be-Sterne rotieren so schnell, dass sie am Äquator Gas verlieren, welches eine Scheibe um sie bildet, die sich durch ihre Emission verrät.

Genau so ein Stern ist MT91 212, den der Pulsar PSR J2032+4127 umkreist. Die beiden bilden das erst zweite bekannte Doppelsternsystem mit einer Röntgen- und Gammastrahlenquelle, die mit Sicherheit auf einen Pulsar zurückgeht. Die Bestimmung der Bahn ergab, dass das Periastron, also der Zeitpunkt, an dem sich die Sterne mit nur 1 AE Abstand am nächsten kommen würden, am 13. November 2017 bevorstand. Für diesen Zeitraum sowie einen Vergleichszeitraum im Jahr 2016 vereinbarten die VERITAS- und MAGIC-Kollaborationen, den Pulsar gemeinsam mit ihren Tscherenkow-Teleskopen zu beobachten. Außerdem wurde das Swift-XRT-Röntgenteleskop eingesetzt, um parallel die Röntgenlichtkurve aufzuzeichnen.

VERITAS sammelte 99,6 Stunden und MAGIC 87,9 Stunden an Daten in beiden Zeiträumen. Die Beobachtung der Periastron-Passage begann im September 2017, und zu dieser Zeit waren PSR J2032+4127 / MT91 213 im Gammastrahlenlicht bereits heller als TeV J2032+4130. Zum Periastron hin steigerte sich die Gammahelligkeit auf das Zehnfache von TeV J2032+4130.

Signifikanzkarten von VERITAS (links) und MAGIC (rechts) für die Gegend um PSR J2032+4127 summiert über die Beobachtungen im Herbst 2017. Die Position des Pulsars ist mit einem + markiert, das Zentrum der Gammastrahlung mit einem schwarzen Kreis. Die gestrichelten Ovale zeigen die von den jeweiligen Teleskopen gemessenen Bereiche der Quelle TeV J2032+4130, deren Zentrum durch ein schwarzes x markiert ist. Cygnus X-3 ist am unteren Bildrand als weiße Raute eingezeichnet. Die weißen xe zeigen die Positionen, auf welche die Teleskope jeweils abwechselnd gerichtet wurden (Wobble-Modus). Der weiße Kreis zeigt die räumliche Auflösung von 0,1° Radius für einzelne gemessene Gammaphotonen.

(Bild: VERITAS & MAGIC Collaborations, arXiv)

Die Zunahme der Gammastrahlung führen die Autoren darauf zurück, dass der Pulsarwind in den Sternwind des näher kommenden B-Sterns rammt. Synchrotronstrahlung im Radio- und Röntgenbereich sowie Gammastrahlung durch inverse Comptonstreuung sind die Folge. Auch Zerfallkaskaden von Teilchen, die bei der Kollision kurzwelliger Photonen entstehen, tragen zur Strahlung bei. Schließlich könnte auch das Gas in der den Be-Stern umgebenden Scheibe, das für seine Emissionslinien verantwortlich ist, durch den Pulsarwind zur Abstrahlung von Röntgen- und Gammastrahlung angeregt werden. Diese Effekte nehmen stark zu, wenn sich beide Sterne nahe kommen.

Die Autoren stimmen mit der früheren Analyse der VERITAS-Kollaboration überein, dass der Pulsarwind von PSR J2032+4127 eine plausible Quelle für die Gammastrahlung des Dunklen Beschleunigers TeV J2032+4130 sei.

Das System ähnele dem Binärsystem PSR B1259-63 / LS 2883 aus einem Pulsar und einem O9Ve-Stern, dem anderen bekannten Gamma-Binärsystem, bei dem der kompakte Begleiter als Pulsar identifiziert ist. Auch hier nähern sich die Komponenten auf 1 AE, aber die Umlaufzeit ist mit 3,4 Jahren viel kürzer. Noch Monate nach dem Periastron produziert dieses System helle Gamma-Flares und stößt sich mit hoher Geschwindigkeit bewegende Plasmaklumpen aus, die durch die Interaktion zwischen dem Pulsar und der auch hier vorhandenen Gasscheibe um den Stern entstehen. Dies könnte auch bei PSR J2032+4127 / MT91 213 der Fall sein.

Die gröbere Auflösung der früheren Tscherenkow-Teleskope erlaubte nur das Summenlicht von PSR J2032+4127 und TeV J2032+4130 zu messen. Ob die mögliche Variabilität des Binärsystems für die schwankenden Helligkeitsmessungen der Tscherenkow-Teleskope verantwortlich war, bleibt aber weiterhin unklar und Gegenstand zukünftiger Beobachtungen. Auf jeden Fall hat sich die Quelle, die als möglicher Pulsarwind-Beschleuniger im Breakthrough-Listen Anomalien-Katalog verzeichnet ist, als weitaus komplexer herausgestellt, als man es sich ursprünglich hätte ausmalen können.

Quellen:

(mho)