Die X-Akten der Astronomie: Der Untote und seine Geister-Planeten

Seite 2: Kann das denn überhaupt wahr sein?

Inhaltsverzeichnis

Die Meldung der Entdeckung der Pulsarplaneten wurde anfangs mit großer Skepsis von der Fachwelt aufgenommen. Es war schlichtweg nicht vorstellbar, dass Planeten eine Supernova überleben könnten, schon gar nicht in so geringer Entfernung zu ihrem Stern. Frail und Wolszczan hatten die Planeten schon 1990 entdeckt, aber bis zum Januar 1992 mit ihrer Veröffentlichung gewartet, um alle Fehlerquellen ausschließen zu können. Im Jahr zuvor hatte der Brite Andrew Lyne bereits einen Planeten um einen anderen Pulsar mit exakt sechs Monaten Umlaufzeit gemeldet. Leider stellte sich heraus, dass es sich bei dem Planeten um die Erde handelte, die mit ihrem Umlauf ebenfalls das Pulsarsignal modulierte, und Lyne hatte versehentlich eine Harmonische des Erdumlaufs nicht vollständig aus den Rohdaten getilgt.

Als alternative Erklärung für Wolszczans Ergebnisse wurde vorgeschlagen, dass die Rotationsachse des Pulsars vielleicht wie ein Kreisel präzedieren könnte, was die periodische Modulation der Pulslängen erklären würde – allerdings schwerlich gleich für zwei Periodendauern. Dass die Pulsarplaneten eine 2:3-Bahnresonanz zeigten – für je drei Umläufe des inneren Planeten vollführte der äußere zwei – sprach gleichfalls für ihre Echtheit. Solche Bahnresonanzen kennt man unter anderem von Neptun und Pluto (ebenfalls 2:3) und den Jupitermonden Ganymed, Europa und Io (1:2:4).

Andere Autoren rechneten vor, dass im Falle von Planeten diese durch ihre wechselseitige Gravitation Änderungen in der Umlaufzeit und Bahnellipsenform zeigen sollten, womit sich die Planetenursache der Modulation würde überprüfen lassen– und genau solche fanden Wolszczan und sein Mitarbeiter Maciej Konacki 1994. Dabei entdeckten sie noch einen dritten, sehr viel kleineren Planeten von nur 0,022 Erdmassen (knapp zwei Erdmondmassen) im Abstand von 0,19 Astronomische Einheiten und mit einer Umlaufzeit von 25,3 Tagen. Nach dieser Bestätigung der Vorhersage waren die Pulsarplaneten über jeden Zweifel erhaben. Bis heute wurden noch vier weitere solche Exoplaneten um drei andere Pulsare entdeckt, einer davon mit einer Umlaufzeit von mutmaßlich 100 Jahren.

Die zeitliche Variation der Pulse von PSR B1257+12, wie sie von Wolszczan mit dem Arecibo-Radioteleskop gemessen wurde. Oben die Variation ohne Korrekturen (Kreise und Dreiecke sind Messpunkte, die Linien die beste Interpolation dieser Daten). In der Mitte wurden die Variationen um die Beträge von Planeten auf stabilen Keplerbahnen ohne wechselseitige Beeinflussung der Planeten durch ihre Gravitation reduziert. Dieses Modell hinterlässt eine Restvariation von ±20 Mikrosekunden. Im unteren Bild wurden die wechselseitigen gravitativen Einflüsse mit in der Reduktion berücksichtigt und es verbleiben nur noch zufällige Messfehler – dies belegt, dass nur echte Planeten die Modulation der Pulszeiten von PSR B1257+12 erklären können.

(Bild: M. Konacki und A. Wolszczan, DOI: 10.1086/377093)

Die Planeten von PSR B1257+12 hießen zunächst einfach von innen nach außen A, B und C. 2015 wurden sie und der Pulsar schließlich in einem öffentlich ausgeschriebenen Wettbewerb mit Namen bedacht: der Pulsar heißt seitdem offiziell Lich, die Planeten Draugr, Poltergeist und Phobetor. Lich (ausgesprochen Litch) ist das altenglische Wort für Leichnam und bezeichnet in der Fantasy-Fiktion Untote, Draugr ist eine Bezeichnung für Untote in der nordischen Mythologie und Phobetor, griechisch "der Erschrecker", ist eine Figur aus Ovids "Metamorphosen" und der Gott der Albträume.

Künstlerische Darstellung der Planeten von PSR B1257+12

(Bild: ASA/JPL-Caltech/R. Hurt (SSC))

Schon kurz nach der ersten Veröffentlichung von Wolszczan und Frail begannen die Theoretiker nach Lösungen für das Pulsarplaneten-Problem zu suchen – und kamen zurück mit einem ganzen Bündel an Möglichkeiten. Diese lassen sich im Wesentlichen in drei Kategorien einteilen:

  1. Die Planeten gab es schon vor der Supernova.
  2. Die Planeten gingen aus den Trümmern der Explosion hervor.
  3. Die Planeten sind auf einen Begleitstern zurück zu führen.

Eine komplette Übersicht bietet eine Arbeit von Philipp Podsiadlowski aus dem Jahre 1993, die im Wesentlichen noch immer Bestand hat.

Könnten die Planeten die Explosion überlebt haben? Angenommen, sie waren hinreichend massiv und haben die Schockwelle der Explosion überstanden, was könnte sie davor bewahrt haben, bei einem Massenverlust von mehr als der Hälfte der Sternmasse nicht verloren zu gehen?

a) Falls Lich durch die Explosion genau den richtigen Kick in die richtige Richtung bekommen hätte, dann hätte er den Geschwindigkeitsbetrag relativ zu einem flüchtenden Planeten verkleinern können und wäre ihm gewissermaßen hinterher geflogen, um ihn so wieder einzufangen.

Das ist nicht besonders wahrscheinlich, insbesondere nicht für gleich drei Planeten. Und falls doch würden sie aller Wahrscheinlichkeit nach auf sehr elliptischen Bahnen geendet haben und es wäre schwer zu erklären, warum die heutigen Bahnen so kreisförmig sind. Es bestehen zudem berechtigte Zweifel, ob ein Progenitor, der mit mehr als zehn Sonnenmassen schwer genug ist, eine Kernkollaps-Supernova zu erleiden, überhaupt in der Lage wäre, Planeten zu bilden. Sein mächtiger Sternenwind würde in der Jugend die umgebende Staubscheibe bis in große Entfernung wegblasen und nichts für die Planetenbildung übrig lassen.

Die Explosion eines Einzelsterns erklärt zudem nicht, warum er zum Millisekundenpulsar wurde – es fehlt ein Partner, der ihn durch Materiezufluss auf Touren hätte drehen können. Schließlich wäre es ein so seltenes Ereignis, dass sich damit schwerlich alle sieben bekannten Pulsarplaneten erklären lassen. Wobei natürlich nicht alle notwendigerweise auf die gleiche Weise entstanden sein müssen.

b) Doppelsterne sind nichts Ungewöhnliches; zwei Drittel aller Sterne befinden sich in Doppel- und Mehrfachsystemen, die sich zum Teil eng umkreisen. Die Planeten könnten leichter gehalten werden, wenn sich im Zentrum des Systems ein enges Paar massiver Sterne befunden hätte. Wenn der schwerere der beiden dann als erster zur Supernova geworden wäre, hätte das System weniger als die Hälfte seiner Masse verloren und die Planeten wie auch der Begleiter wären gebunden geblieben. Der Begleitstern des Neutronensterns wäre dann später zum Roten Riesen expandiert und hätte den Neutronenstern dabei verschluckt und vereinnahmt, ein Thorne- Żytkow-Objekt (TŻO) wäre entstanden, ein "Stern im Stern". Der Neutronenstern würde dabei nach innen wandern und selbst an Masse gewinnen, während er den größten Teil des Riesensterns mit seinen Jets binnen weniger 100.000 Jahre wegpusten würde.

Problematisch wäre es hier, zu erklären, warum die Bahnen der Pulsarplaneten so eng sind. Ein nennenswertes Hochdrehen der Rotation des Pulsars wäre in diesem Szenario auch nicht zu erwarten und das Ereignis wäre hinreichend selten, dass man keine weiteren Pulsarplaneten erwartet hätte. In der Milchstraße würde man nur 20 bis 200 solcher TŻOs erwarten. Bisher gibt es überhaupt erst einen bekannten Kandidaten.

c) Normalerweise können Weiße Zwerge höchstens 1,4 Sonnenmassen haben (Chandrasekhar-Grenze). Darüber hinaus kann der Entartungsdruck der Elektronen den Kollaps zum Neutronenstern nicht mehr verhindern. Der Supernova-Typ Ia soll darauf zurückgehen, dass ein Weißer Zwerg von einem Nachbarstern übergeflossene Materie aufsammelt und beim Überschreiten der Chandrasekhar-Grenze kollabiert und explodiert, aber so heftig, dass kein Rest verbleibt.
Ein schnell rotierender Stern hätte jedoch hypothetisch einen überschweren Weißen Zwerg mit mehr als 1,4 Sonnenmassen produzieren können, der nur dadurch stabilisiert wurde, dass die Fliehkraft seiner Rotation einen Teil des Gewichtsdrucks von ihm genommen hätte. Durch sein mit ihm rotierendes Magnetfeld hätte er Rotationsenergie als Radiowellen abgestrahlt, bis er dann schließlich bei verlangsamter Rotation zum Neutronenstern kollabiert wäre – aber ohne dabei als Typ Ia-Supernova zu explodieren und ohne nennenswert Masse zu verlieren.

Das Problem dieses Vorschlags ist, dass zum einen nicht klar ist, warum sich ein solitärer Weißer Zwerg so schnell drehen sollte – auch diese müssen, soweit bekannt, von einem Begleiter durch Materiezufluss hochgedreht werden. Und es ist zudem unklar, warum er, wenn er kollabierte, nicht explodierte. Dies ist ja kein allmählicher Vorgang, sondern ein Einsturz unter Freisetzung immenser Mengen an Kernenergie. Es wird darüber spekuliert, aber es ist bis heute nicht sicher, ob dieses Szenario überhaupt möglich ist.