Digital Markets Act: Wie die EU Weltkonzerne zu europäischen Sonderlocken zwingt

Seite 3: Sonderfall Apple

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Apropos Apple: Kein anderer Torwächter musste ähnlich weitgehende Anpassungen vornehmen wie der Konzern aus Cupertino. Einige Absätze im DMA scheinen gar exklusiv für Apple geschrieben worden zu sein. Es geht hier nicht nur um Auswahlscreens oder andere Abfragen, sondern um tiefe Eingriffe in die Software. Apples hermetisches Ökosystem war der EU-Kommission schon immer suspekt, weil der Konzern allein die Regeln bestimmt – oft zum Nachteil der direkten Konkurrenz, aber etwa auch von Start-ups und freien Entwicklern. Einer kostenintensiven Lobbyarbeit in Brüssel und dem persönlichen Einsatz von Chef Tim Cook zum Trotz sprangen schlussendlich kaum Erleichterungen heraus.

Der DMA soll Apples Software- und Bezahldienst-Monopol auf iPhones beenden. Kunden muss es demnach möglich sein, in iOS Fremdanbietersoftware und alternative Stores aus beliebigen Quellen zu installieren (Art. 6 Abs. 4 DMA). Außerdem darf Apple seine Geschäfts- oder Privatkunden nicht mehr an den eigenen, hoch lukrativen Bezahlservice binden (Art. 5 Abs. 7 DMA).

Bislang müssen alternative Browser wie Firefox und Chrome in iOS die Apple-eigene Safari-Browser-Engine WebKit nutzen und unterlagen dabei Einschränkungen. Ab der DMA-angepassten iOS-Version 17.4, die pünktlich zum Verordnungsstart am 5. März erschien, lässt Apple Browser mit eigenen Engines zu.

In Version 17.4 von Apples iOS kann man erstmals zwischen mehreren Webbrowsern wählen, die nicht auf WebKit als Engine zurückgreifen müssen.

Bereits Ende Januar ließ der Konzern die größte Katze aus dem Sack und erklärte, wie er ab iOS 17.4 alternative App Stores, Bezahlfunktionen und das sogenannte Sideloading von Apps gestaltet. Wer einen eigenen Store in iOS eröffnen will, muss unter bestimmten Umständen eine Art Bürgschaft hinterlegen, um seine Finanzkraft nachzuweisen. Er benötigt einen "Letter of Credit" über eine Million Euro, der von einem Geldinstitut stammen muss, das mindestens ein A-Rating hat. Diese Bürgschaft muss er jährlich erneuern. Die Einstiegshürde ist also sehr hoch gesetzt.

Und wer seine Apps über einen solchen alternativen Store vertreiben will, unterliegt kruden Regeln. Apple verfährt wie beim aus macOS bekannten Notarisierungsmodell: Alle Apps müssen vom Entwickler mit einem gültigen Apple-Zertifikat signiert und dann zur Beglaubigung bei Apple eingereicht werden. Dort unterlaufen sie unter anderem eine automatisierte Malware-Prüfung und eine von Mitarbeitern des Konzerns vorgenommene Basiskontrolle. Inhaltlich wolle man dabei aber nicht einschreiten, hieß es. Entsprechend müssten künftig auch Apps aus bislang nicht zugelassenen Bereichen wie Emulatoren und Pornografie in Dritt-App-Läden möglich sein.

Letzte Versuche: Ende 2023 traf sich Apple-Chef Tim Cook (links) mit EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton in Brüssel, um seine Vorbehalte zum DMA anzubringen.

(Bild: EU-Kommission)

Viel Kritik erntete Apple für seine sogenannte "Core Technology Fee", die anfällt, wenn Entwickler alternative App-Stores zum Vertrieb unter iOS nutzen, oder wenn sie sich für ein neues, kostengünstigeres Gebührensystem entscheiden. Die neue Core Technology Fee beträgt 50 Eurocent für jede App-Installation pro Jahr, sobald eine Schwelle von einer Million Installationen überschritten ist.

Apple hat einen Onlinerechner veröffentlicht. Der bekannte Entwickler Steve Troughton-Smith hat damit beispielsweise für eine kostenlose App, die zwei Millionen Installationen im Jahr hat, zusätzliche Kosten von 41.667 Euro pro Monat errechnet. Apple behauptet, dass "99 Prozent der Entwickler" unter den neuen EU-Regeln "weniger oder gleich viel" Provision an den Konzern abführen werden: "Unter ein Prozent der Entwickler würden die Core Technology Fee für ihre EU-Apps bezahlen", weil sie mehr als eine Million Installationen erreichen.

Unternehmen wie Mozilla, Microsoft und Spotify liefen Sturm gegen das neue Modell. Apple betonte, es sei ja optional – niemand müsse sich darauf einlassen. Epic Games, das seit Jahren wegen seines Megasellers Fortnite mit Apple im Clinch liegt, ist richtig sauer. CEO Tim Sweeney sprach von "bösartiger Compliance" in der EU. Apple tue das Gegenteil von dem, was der DMA fordere. Der Konzern untergrabe den Wettbewerb und erhebe "weiterhin Apple-Steuern auf Transaktionen, an denen Apple nicht beteiligt ist". Dennoch hat Epic bereits die Bürgschaft hinterlegt und plant, noch in diesem Jahr über einen eigenen App-Store Fortnite zurück auf iOS zu bringen, zumindest im EWR.

Die EU-Kommission hält sich zu den Ankündigungen von Apple bislang bedeckt. Man habe sie zur Kenntnis genommen, bestätigte die Behörde gegenüber c’t. Und: "Wir werden die umgesetzten Lösungen anhand der im DMA festgelegten Konformitätsstandards analysieren. Sollten wir Verstöße aufdecken oder vermuten, werden wir nicht zögern, Maßnahmen zu ergreifen."

Kommentar: Beleidigte Apfelleberwurst​

Leo Becker

Darfs noch etwas mehr FUD sein? Seit Jahren streut Apple "Fear Uncertainty and Doubt" (Angst, Ungewissheit und Zweifel), um Stimmung gegen den Digital Markets Act zu machen. Das gipfelte darin, dass Apples Software-Chef die freiere Installation von Apps außerhalb des App Store kurzerhand als den "besten Freund der Cyberkriminellen" bezeichnete. Dabei sorgen die neuen DMA-Vorgaben letztlich für Selbstverständlichkeiten, die klassische Computer-Betriebssysteme seit jeher auszeichnen und eine Vielzahl von Software-Innovationen ermöglicht haben – auch in Apples macOS.

Der Konzern hatte nun wirklich mehr als genug Zeit, um das bald siebzehnjährige iPhone unter eigener Regie zu öffnen und andere App-Läden, vollwertige Drittbrowser und NFC-Wallets auf die Plattform zu lassen. Letztlich geht es Apple weniger um den Schutz der Nutzer als vielmehr den Schutz der Milliarden, die Jahr für Jahr durch hohe Provisionen an In-App-Käufen in die eigenen Kassen gespült werden.

Jetzt nagt die EU an diesem Geschäftsmodell und erzwingt die Korrektur offensichtlicher Versäumnisse. Im Gegenzug wird Apples Blockadetaktik immer perfider: Auf dem Papier erfüllt der Konzern die neuen Regeln, gestaltet die Öffnung seiner Plattform aber so unbequem wie möglich, und das nicht nur für Entwickler, sondern auch für Nutzer. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Öffnung eines Betriebssystems neue Risiken mit sich bringt und unbequeme Konsequenzen lauern, wenn etwa die eigene Bank bei Apple Pay ausschert und lieber ihre halbgare NFC-App in den Markt drücken will. Bestenfalls fachen die neuen Regeln immerhin frischen Software-Wind an, der auch bislang von Apple beharrlich abgelehnte App-Kategorien wie Emulatoren und Virtualisierer aufs iPhone pustet. Mehr Wettbewerb könnte nicht zuletzt dafür sorgen, dass Apple eigene Apps und Dienste schneller weiterentwickelt, statt sich darauf auszuruhen, Alternativen jederzeit blockieren zu können.

Das ab iOS 17.4 offenere iPhone bleibt letztlich höchst abgesichert: Alle Programme prüft Apple weiter auf Malware und Zugriff auf sensible Daten erhalten Apps nur mit Zustimmung des Nutzers – egal aus welcher Quelle sie stammen. Aufpassen muss man letztlich ohnehin: Opfer von Fake-Krypto-Wallets, betrügerischen Passwortverwaltungen und Abo-Nepp kann man auch in Apples kontrolliertem App Store werden.