Interview mit Debians Projektleiter Steve McIntyre

Seite 2: Interview mit Debians Projektleiter Steve McIntyre

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heise open: Kannst du Debians Beziehung zu Ubuntu beschreiben?

Steve McIntyre Ubuntu ist eine aus einer ganzen Reihe von Distributionen, die von Debian abgeleitet sind. Das ist die einfache Antwort ;-) Natürlich gibt es viel mehr zu dem Thema zu sagen. Die Ubuntu-Leute haben sich in relativ kurzer Zeit einen Namen gemacht und eine große Anwender-Basis um sich versammelt. Sie haben das geschafft, indem sie auf Debians riesige Software-Basis aufgesetzt und die Themen angepackt haben, für die Debian nicht alle Antworten hat. Sie bezahlen zum Beispiel Leute dafür, dass sie die neuesten Laptops mit Ubuntu testen und unterstützen. Für viele Anwender ist das toll, denn das nimmt ihnen viel Mühe und Arbeit ab.

Die Beziehung zwischen den beiden Distributionen variiert enorm von Person zu Person und von Team zu Team. In machen Fällen arbeiten die Entwickler eng zusammen, in anderen passiert das weniger. Ich selbst betrachte viele Ubuntu-Entwickler als gute Freunde, ich kenne sie schon seit Jahren. Mark Shuttleworth und ich reden regelmäßig über Themen, die beide Distributionen betreffen, und wir überlegen, wie wir enger zusammenarbeiten können. Unter den Debian-Entwicklern gibt es aber durchaus auch andere Meinungen zu Ubuntu: Manche finden – das ist kein Geheimnis –, dass Ubuntu von Debian profitiert und nicht genug zurückgibt. Andere sind vielleicht etwas eifersüchtig auf den Erfolg von Ubuntu, und das ist verständlich.

Persönlich finde ich es toll, dass unsere Arbeit von mehr und mehr Leuten genutzt wird. Ob nun "Debian" oder "Ubuntu" auf der Verpackung steht, finde ich nicht so wichtig. Natürlich bedeuten die freien Lizenzen, unter die wir unser Werk stellen, dass Ubuntu und andere Distributionen so viel von unserem System "stehlen" können, wie sie wollen, aber genau darum geht es ja bei diesen Lizenzen! Wenn es Ubuntu schafft, mehr Anwender davon zu überzeugen, mal etwas anderes als Windows zu probieren, dann sehe ich das als ein Gewinn für die ganze Freie-Software-Welt. Es ist kein Alles-oder-Nichts-Spiel. Außerdem: wenn Leute einmal Linux benutzen, können wir sie dazu ermutigen, einen Blick weiter "upstream" zu werfen und Debian zu benutzen ;-)

heise open: Hältst du es für eine gute Idee, wenn die großen Distributionen enger zusammenarbeiten? Wo siehst du hier Möglichkeiten?

Steve McIntyre Auf jeden Fall. In der Praxis tun wir das bereits auf vielen Gebieten. Einige Beispiele: Die Security-Teams aller bekannten Distributionen tauschen nicht nur Informationen, sondern häufig auch Patches für das Schließen von Sicherheitslücken aus. Auch arbeiten Entwickler über Distributionsgrenzen hinweg an Ideen, wie man die immer größere Zahl an Spielen paketieren könnte. Einige von unseren Teams überlegen, wie sie besser mit Upstream-Entwicklerteams zusammenarbeiten können, um so das Erstellen von Paketen einfacher zu machen. Im Moment passiert hier ziemlich viel, so viel, dass ich nicht über alles den Überblick haben kann :-)

heise open: Das Debian-Projekt hat mehr als tausend Entwickler. Wie trefft ihr Entscheidungen?

Steve McIntyre Die allermeisten Entscheidungen treffen Entwicklern selbständig. Das ist ein wichtiges Prinzip. Es macht möglich, dass eine so große Zahl an Leuten effektiv und ohne Engpässe zusammenarbeiten: Den größten Teil der täglichen Arbeit machen die Leute, ohne dass sie andere zu Rate ziehen müssen.

Wenn größere Entscheidungen anstehen – und das kommt gar nicht so häufig vor –, machen wir eine offizielle Abstimmung, die vom Debian-Sekretär organisiert wird. Wir benutzen dafür ein System von PGP-verschlüsselten E-Mails, Condorcet. Die augenfälligste Entscheidung ist die jährliche Wahl des Projektleiters. In letzter Zeit gab es jedoch auch ein paar andere wichtige und umstrittene Themen, über die wir entscheiden mussten. So waren da die Fragen, ob wir Lenny mit proprietären Firmware-Dateien ausliefern wollen, und wie wir die Leistungen unsererer Community besser anerkennen können. Einen Einblick in solche Prozesse gibt auch unsere Voting-Seite.

heise open: Kannst Du etwas über die Bestandsaufnahme der Debian-Teams erzählen, die Du durchgeführt hast?

Steve McIntyre Vor einiger Zeit habe ich eine Fragenliste an einen großen Teil der Projektteams geschickt. Darin bat ich Leute um Feedback zu einer Reihe von Themen. Zum Beispiel wollte ich wissen, in wie vielen Teams sie sich engagierten, wie diese Teams arbeiteten und wo sie Probleme sahen. Viele der Entwickler gaben eine Rückmeldung und versorgten mich mit so viel Informationen, dass ich Wochen gebraucht habe, mich durchzuarbeiten :-)

Ziel der Umfrage war es, herauszufinden, wo ich als Projektleiter unterstützen konnte; entweder durch das Lösen von Konflikten, durch Lob oder durch das Dazuholen von neuen Leuten. Einige der Kernteams hatten dringend Bedarf an Leuten. Mit ihnen habe ich zusammengearbeitet, um die Teams zu erweitern und das Arbeitspensum besser zu verteilen. Wir haben viel frisches Blut bekommen, eine gute Sache.

Ich muss gestehen, dass ich mit dieser Arbeit noch nicht fertig bin. Es gibt immer noch einige Stellen, wo ich mich einbringen möchte. In letzter Zeit habe ich mich auch etwas zurückgehalten, weil ich so kurz vor der Freigabe von Lenny nicht für Unruhe sorgen wollte. Jetzt habe ich jedoch wieder etwas mehr Spielraum.

Ich gehe davon aus, dass wir solche Bestandsaufnahmen in Zukunft regelmäßig machen und Leute nach ihrer Meinung fragen werden. Sonst ist es schwierig herauszufinden, wo es Probleme gibt und wo Leute demotiviert werden. Ich möchte so viel wie möglich von diesen Problemen lösen. Die Leute sollen Spaß an ihrer Mitarbeit bei Debian haben.

heise open: Das Ende Deines Jahres als Projektleiter naht. Zu Deinen Prioritäten gehörte das Verbessern der Kommunikation innerhalb des Projekts. Ist das gelungen?

Steve McIntyre Ja, gewissenmaßen schon. Viele der Kernteams haben jetzt genug Leute, sodass sie ihre Arbeit machen können und anderen darüber erzählen können. Das war eines der größeren Probleme, die wir hatten. Perfekt sind wir natürlich noch nicht und ich denke auch, dass das ein Thema ist, das nie ganz gelöst werden kann. Trotzdem freue ich mich über die Fortschritte, die wir hier gemacht haben. Nichts steigert die Moral und das Interesse an dem Projekt mehr als Leute, die ihre tollen Ideen mit anderen teilen und dem Rest der Welt erzählen, woran sie arbeiten. Gut sichtbare Arbeit sorgt für mehr Entwickler :-)

heise open: Im Dezember hat Manoj Srivastava seinen Posten als Projekt-Sekretär im Trubel um die Wahlen zum Umgang mit proprietärer Firmware niedergelegt. Inzwischen ist Kurt Roeckx als sein Nachfolger angetreten. Wird Binär-Firmware in Debian Einzug halten?

Steve McIntyre Kurt Roeckx war einer von denen, die sich für den Job angeboten hatten und ich habe ihm die Stelle gern gegeben. Neil McGovern wird ihm als Assistent weiterhin zur Seite stehen. Er kennt den Job und sollte bei kommenden Wahlen wertvolle Hilfe leisten können.

Als Ergebnis der letzten Abstimmung haben wir bereits einige binäre Firmware in Debian. Es gibt einige Fälle, wo wir nicht ganz sicher sind, ob die Firmware mit Quellcode ausgeliefert werden soll. So lange das nicht geklärt ist, haben wir einige dieser Pakete erstmal einfach mit aufgenommen. Das Thema ist noch in der Diskussion. Ich erwarte also, dass hier in den kommenden Monaten noch was passiert. Selbst würde ich es bevorzugen, wenn wir für einige dieser Fälle in unserem Archiv eine extra Firmware-Sektion einrichten würden, aber ich entscheide ja nicht alleine... :-)

heise open: Wenn Du nach fast einem Jahr als Projekleiter zurückblickst: Auf welche Bereiche sollte Debian seinen Fokus in naher Zukunft besonders richten?

Steve McIntyre Die wichtigsten Themen für mich sind im Moment genau die zwei, über die wir in letzter Zeit abgestimmt haben: Firmware und der Status der Leute, die zum Debian-Projekt beitragen. Wir werden weiter an unserer Kommunikation arbeiten (*grins*), und ich würde gern die gesamte Debian-Familie dazu anspornen, intensiver zusammenzuarbeiten. Es gibt inzwischen einige Dutzende Distributionen, die auf Debian aufsetzen. Ich fände es schön, wenn mehr von diesen Entwicklern direkt bei Debian mitarbeiten würden, sodass wir alle von ihren Verbesserungen profitieren. (akl) (akl)