Make-up, politisch korrekt aufgetragen

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Es sind vor allem die Keratinozyten in der unteren Epidermis, die die Rekonstrukteure der Haut benötigen. Sie bekommen sie „von zwei Schönheitschirurgiekliniken in Lyon, zum Beispiel von Brustverkleinerungen“, wie Tinois-Tessonneaud sagt. Bei dieser und anderen kosmetischen Operationen bleibt Haut übrig, die innerhalb weniger Stunden in das Episkin-Entwicklungszentrum neben der Lyoner Universität gebracht wird. Dort werden die Überbleibsel zunächst auf Verunreinigungen durch Viren oder Bakterien geprüft, schließlich zerkleinert und mit Hilfe eines Enzyms so verdaut, dass lediglich Keratinozyten übrig bleiben. Auf einer Matte aus Kollagen aufgebracht, wachsen die vereinzelten Zellen zu der teilungsfähigen Schicht zusammen und beginnen schließlich ihre Reise an die Oberfläche. Bis zum testfähigen „Kit“, wie es heißt, vergehen weniger als zwei Wochen.

Vor wenigen Monaten nun wurde die Tierversuchsalternative offiziell zugelassen. Geprüft wurden die rekonstruierten Häutchen von ZEBET, der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch, wie es höchst umständlich vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) benannt wurde. „Das ist der richtige Weg, Tierversuche langsam zurückzuschrauben“, sagt Horst Spielmann, früher Leiter und heute Berater der ZEBET.

Doch er kennt auch die Grenzen solcher Verfahren. Denn neben weiß und schwarz, also negativ (für hautgeeignet) und positiv (hautreizend) gibt es immer noch eine Grauzone. „Bei den Kaninchentests haben wir eine Skala von eins bis drei eingesetzt: gar nicht, geringfügig oder stark irritierend – hier hat man lediglich zwei Abstufungen“, sagt er. Spielmann selbst bevorzugt einen empfindlicheren, dafür jedoch aufwändigeren und kostenspieligeren Nachweis mittels eines Botenstoffs in der Epidermis, der den Körper über die drohende Gefahr informiert. „Genau dieser Botenstoff lässt sich ebenfalls bestimmen, und er ist für die Validierung der Daten von Bedeutung“, so Spielmann. Deshalb wird jetzt diese Art der Messung ergänzend berücksichtigt.

Episkin hat noch weitere Grenzen. So umfasst die Rekonstruktion der Haut nur die Epidermis und die Hornhaut. Die Dermis haben die Forscher von Loreal nicht in ihr zugelassenes Testsystem integriert. Daran aber forschen viele weitere Firmen und Institute, wie Phenion, Euroderm oder das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB), weil die Haut so besser nachgebildet wird. Die Herstellung solch dreischichtiger biologischer Hautersatzsysteme unterscheidet sich nicht wesentlich von der des 2-Schichten-Tests von L’Oreal. „Man muss die Hautschichten voneinander trennen und die Zellen einzeln wachsen lassen. Da die Dermis aus einem anderen Zelltyp, den Fibroblasten, ensteht, unterscheiden sich die Bedingungen, unter denen die Zellen gut gedeihen“, sagt Fraunhofer-Forscherin Michaela Weimer. Enzyme übernehmen die Trennung der Hautreste, die auch das Fraunhofer-Institut von drei Krankenhäusern und einer Arztpraxis erhält – nicht nur aus Schönheitsoperationen, sondern auch aus den abgetrennten Vorhäuten beschnittener Jungen. „Je jünger der Spender, desto teilungsaktiver sind die Zellen“, fügt Weimer belustigt hinzu.

Die Dermis-Schicht kommt der ursprünglichen Haut bereits sehr nahe, doch ein entscheidendes Problem bilden die anderen Zelltypen und Gefäße, die die Haut durchsetzen. Während sich die bräunenden Melanozyten problemlos integrieren, machen die Langerhans-Zellen größere Probleme: „Sie laufen weg“, sagt Michaela Weimer. Die Körperabwehr wandert immer dorthin, wo eine Wunde oder ein Schaden auftritt. Das sind bei den Testsystemen die Ränder – und dorthin bewegen sich die verteidigungsbereiten Zellen.

Der Einsatz der Hautsysteme begrenzt sich nicht nur auf Kosmetika. Sie können genauso gut für Voruntersuchungen der Toxizität von Chemikalien eingesetzt werden. Auch hier helfen sie, Tierversuche zu vermeiden. Denn mit der am 1. Juni inkraftgetretenen neuen EU-Chemikalienverordnung REACH (Registration, Evaluation and Authorization of Chemicals) müssen Hersteller und Importeure die Wirkungen von Chemikalien auf die menschliche Gesundheit untersuchen. Betroffen sind auch fast 30.000 Altchemikalien, die seit Jahrzehnten verkauft werden, aber bisher nur unzureichend untersucht sind. Damit die Zahl der Tierversuche nicht unnötig steigt, sieht REACH unter anderem ausdrücklich auch alternative Tests an Zellkulturen (in vitro) für die Überprüfung der Toxizität vor. Vorteil der standardisierten Hauttestsysteme ist, dass die menschliche Haut exakt und reproduzierbar nachgestellt werden könne. „Die Ergebnisse, die wir bei der Prüfung von Chemikalien, Medizinprodukten oder Kosmetika erhalten, sind viel aussagekräftiger als Versuche mit Mäusen, deren Hautstruktur ganz anders ist“, sagt Michaela Weimer. (nbo)