Mein Job beim Big Brother

Inhaltsverzeichnis

Selbst wenn die Anlage lief, war das Netz extrem löchrig. Wichtige Chat-Protokolle wie "Jabber" konnte man nicht erfassen, Microsofts "Live Mail" sowie verschiedene arabische Web-Mailer auch nicht und Voice over IP nur sehr eingeschränkt. Dazu kam, dass die Filterung nach den verschiedenen Protokollen sowieso nur Standard-Ports berücksichtigte. Wenn ich beispielsweise versuchte, einen Mail-Server über einen anderen Port zu erreichen, kriegte die Anlage das nicht mit.

Ein weiteres Problem: Wir hatten da nur etwa 30 Terabyte Speicherplatz. Der war in rund drei Monaten voll – die Ermittlungsbehörden hatten also im Schnitt drei Monate Zeit, um aus dem Datenwust konkrete Indizien herauszufiltern, dann wurden die Daten wieder überschrieben. Dabei gab es noch relativ wenig Datenverkehr – das gesamte Land hatte eine Internetanbindung von nur einigen Hundert Megabit pro Sekunde.

Wenn sie denn überhaupt funktionierte. Einmal haben wir diese Internet-Verbindung ja höchstpersönlich abgeschossen – und dabei gelernt, wie leicht das ist. Eigentlich wollten wir nur einen Test vorbereiten. Dazu hatten wir Dateien von unserem Testserver in Europa auf unsere Notebooks vor Ort heruntergeladen – wir hatten zwar kein DSL in der Wohnung, aber in der Nachbarschaft gab es ein offenes WLAN. Unter den Testdateien war auch eine sogenannte Zip-Bombe. Das ist eine komprimierte Datei, die nur aus Nullen besteht und in komprimierter Form sehr klein ist. Packt man das Ding aber aus, expandiert es auf ungefähr drei Gigabyte. Diese Datei hatte mein Partner heruntergezogen, aber nicht verschlüsselt. Und plötzlich ging das Internet nicht mehr.

Was war passiert? Es gibt in den islamischen Ländern überall Zwangsproxies – das sind Server, die vorgeschaltet werden, um bestimmte Inhalte zu blockieren. Die kontrollieren offenbar auch Dateien, die man sich herunterlädt. Das hat uns zwar keiner gesagt, aber nur so ist die Geschichte zu erklären. Der Proxy hatte offenbar schön brav unsere Zip-Bombe aus- gepackt – und war dann tot. Normalerweise würde ich ja erwarten, dass es eine ganze Proxy-Farm gibt, in der die Last automatisch zwischen den verschiedenen Servern verteilt wird. Aber hier gab es scheinbar für jeden DSL-Bezirk genau einen festen Proxy. Als der ausfiel, war halt das Internet weg.

Die Sache passierte uns abends so gegen 18 Uhr, und bis zum nächsten Morgen um elf hatte der komplette Botschaftsbezirk kein Internet. Was die Arbeit nach westlichen Maßstäben sehr schwierig machte, war auch die Tatsache, dass die ganze Gesellschaft dort ungeheuer hierarchisch geprägt ist. Das heißt, man kann keine Meetings planen. Die Leute rechnen nämlich ständig damit, dass ihr Chef sie anruft und etwas von ihnen will. Dann müssten sie ein Meeting wieder absagen, was ein fürchterlicher Gesichtsverlust gegenüber dem Ausländer wäre.

Es gibt also nur lose Verabredungen nach dem Motto: Wir schauen mal, ob wir uns am Samstag treffen. Das kann dann morgens um neun sein oder nachmittags um zwei. Das bringt dir natürlich sämtliche Zeitpläne durcheinander. Wir waren gerade im Monitoring-Center und hatten einen Test laufen, da kam zum Beispiel der Anruf aus der Ausländerbehörde, und es hieß, lasst mal alles stehen und liegen, ihr müsst jetzt da auflaufen. Sonst hätten wir unsere Aufenthaltsgenehmigung nicht gekriegt. Der Tag war gelaufen.

Das war für die Leute vom Anlagenhersteller regelmäßig absurdes Theater – diese Managertypen konnten damit überhaupt nicht umgehen. Die haben ja strikt mit Deadline und Zeittakt gearbeitet. Also beklagten sie sich fürchterlich darüber, dass der Kunde gar nicht mit ihnen zusammenarbeiten wolle. Deswegen kriegen die Amerikaner da auch kein Bein auf die Erde. Die sind viel zu direkt. Das ist da nicht so schlimm wie in China, aber normalerweise sagt man eben nicht direkt Nein. Und man kritisiert auch niemanden offen. Man ist nett und freundlich und spricht zwei Stunden. Das macht man am nächsten Tag wieder und wieder – so lange, bis der andere von selbst merkt, dass nichts dabei herauskommt.