Missing Link: Antriebswende – Warum wir eine zweite Elektrifizierung brauchen

Seite 2: Fake news bei den Ökobilanzen

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Selbst bei Sachfragen wie der Ökobilanz wird mit harten Bandagen gekämpft. Die Verbrenner-Lobby ist durchaus diskursmächtig und operiert mit fragwürdigen Zahlen, wie wir das auch von der Kohle- oder die Tabakindustrie gewohnt sind. In einer Stellungnahme des Verbandes der Deutschen Ingenieure zum Corona-Konjunkturpaket der Bundesregierung bemängelt Simon Jäck, "dass bei unserem Strom-Mix in Deutschland heute und in den folgenden Jahren, die Elektrofahrzeuge zumindest die nächsten zehn Jahre hinsichtlich ihrer CO2-Emissionen mehr Schaden anrichten als die Verbrennungsmotoren.“

Die renommierte Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert äußerte bereits 2017 im Interview mit dem Autor: "Es ist offensichtlich, dass Elektroautos mit gezielten Kampagnen und PR schlecht geredet werden sollen – wie immer, wenn das fossile Kapital die Vergangenheit möglichst lange konservieren will – das kennen wir von der Energiebranche zur Genüge."

Wichtiges Kriterium für die Evaluierung der Ökobilanz von E-Antrieben – aber bei weitem nicht das einzige – ist die Lebenszyklus-Analyse der CO2-Emissionen eines Fahrzeugs (LCA). Hierbei müssen viele Faktoren berücksichtigt werden, neben Betrieb auch Produktion und Recycling, bis hin zum Energieaufwand für Förderung und Transport von Rohstoffen für Komponenten wie z.B. Batterien.

Die aktuelle T&E-Studie "How Clean Are Electric Cars?“ zur Lebenszyklus-Analyse von Elektroautos kommt zum Ergebnis, "dass Elektroautos in Europa im Durchschnitt fast dreimal weniger CO2 ausstoßen als vergleichbare Benzin- / Dieselautos.“ Sie haben verschiedene Szenarien berechnet, die die Herkunft des Stroms berücksichtigen. Selbst im schlimmsten Fall – ein Fahrzeug mit einer in China produzierten und in Polen gefahrenen Batterie – generiert 22% weniger CO2 als Diesel und 28% weniger als Benzin. Im besten Fall – ein Fahrzeug mit einer in Schweden produzierten und gefahrenen Batterie – generiert 80% weniger als Diesel und Benzin. Anhand dieser Zahlen wird deutlich, wie wichtig der Kampf für erneuerbare Energien ist, mit ihnen steht und fällt die Bilanz der Elektromobilität.

Die Autorinnen erlauben sich abschließend – für wissenschaftliche Community höchst ungewöhnlich – ihrer Verwunderung über die Debatte Ausdruck zu verleihen: "Während sich viele Forscher auf veraltete Daten oder Beweise verlassen müssen, sind einige Ökobilanzen (oder deren Interpretation) absichtlich irreführend.“ Hier wird deutlich, wie umkämpft dieses Feld ist und Fake News an der Tagesordnung sind in dem erbitterten Versuch der fossilen Industrie, den historischen Trend so lange wie möglich aufzuhalten.

Benziner und Diesel stoßen durchschnittlich dreimal mehr CO2 aus, als ein europäisches Elektro-Auto.

(Bild: T&E-Studie)

Ökobilanzen sind zwar wichtig, die Frage, welche Rolle das elektrisch betriebene Privatauto haben soll, kann nicht von dieser allein abhängen. Eine reine "Antriebswende“ – die Sozialökonomin Katharina Manderscheid von der Uni Hamburg definiert sie in einem (online kostenlos) erhältlichen Sammelband zur Elektromobilität als "Substitution des fossilen Treibstoffes sowie die Reduktion der CO2-Emissionen während des Fahrzeugbetriebes" allein ist weder ökologisch noch verkehrspolitisch wünschenswert.

Es geht demgegenüber bei der Debatte um die Zukunft der Mobilität um politische und normative Fragen. Es geht mindestens auch um die "Verkehrswende, die insbesondere den privaten Autoverkehr durch andere Modi reduziert respektive ersetzt", aber, Verkehr nicht unbedingt reduzieren, nur anders organisieren will, so Manderscheid weiter. Als "Mobilitätswende“ bezeichnet sie wiederum eine noch umfassendere Transformation, die ein erweitertes Verständnis von Mobilität beinhaltet, und darauf abzielt, Verkehr generell zu reduzieren, und "das private Auto als hegemoniales Mobilitätsmedium" zu überwinden.

Ein aktuelles Manifest für eine solche umfassende Mobilitätswende plädiert für ein "weg vom Auto und hin zu einer Mobilität, bei der der Mensch, Fußwege, das Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel im Zentrum stehen.“ In ihrem Streben nach einer radikalen Verkehrswende lassen die Autoren Waßmuth und Wolf aber kein gutes Haar am Elektroauto. Es drohe einfach eine neue Konsumspirale, diesmal mit angeblich sauberen Autos. Kann das E-Auto also überhaupt Bestandteil einer Verkehrswende sein? Ist es Teil des Problems oder Teil der Lösung?

Selbst wenn in den nächsten Jahren eine nennenswerte Reduzierung der über 47 Millionen Fahrzeuge auf unseren Straßen gelänge – mehr als auf dem gesamten afrikanischen Kontinent unterwegs sind – wie sollen dann die restlichen angetrieben sein? Diese Frage allein macht deutlich, dass ein nicht-fossiler Verkehr ohne Elektrofahrzeuge schier nicht denkbar ist.

Doch es gibt Hoffnung, dass die Elektrifizierung der Fahrzeuge über die Effekte einer reinen Antriebswende hinausweisen. So gelten zwar E-Autos in der öffentlichen Wahrnehmung als besonders schwer. Und tatsächlich kommt z.B. das Tesla Model X auf stolze 2,4 Tonnen. Das liegt aber nicht nur an der mit 100 kWh überdimensionierten Batterie, sondern daran, dass es sich um einen SUV handelt. Verbrenner-SUVs rangieren in der gleichen unsinnigen Gewichtsklasse.

Doch die tatsächlich gekauften E-Autos unterscheiden sich wohltuend von den in der Werbung präsenten besonders leistungsstarken teuren Elektroautos. "Keine E-Raketen mit utopischen Preisen prägen das Tabellen-Bild, sondern bodenständige, leistbare Vernunftmodelle“, schreibt das Wirtschaftsmagazin Capital. Mit Smart Fortwo, VW E-Golf, Tesla Model 3, BMW i3 und Renault Zoe führen relativ kleine Modelle die Tabelle aktueller Zulassungszahlen an – allesamt trotz Batterie auch nicht schwerer als ein Golf Diesel.

Auch die Beschränkung der Förderung für den Kauf von E-Autos bis 40.000 Euro im Corona-Paket der Bundesregierung bewirkt einen Steuerungsimpuls in Richtung kleinerer Fahrzeuge. Die KFZ-Steuer, Fahrverbote, Bonus-Malus-Regelungen – es gibt eine Vielzahl Mechanismen, die die Elektrifizierung des privaten Verkehrs in einigermaßen vernünftige Bahnen lenken könnten, beispielsweise nach Gewicht und Leistung gestaffelte Gebühren und Fahrbeschränkungen.