Missing Link: Digitale Polizei – eine unendliche Geschichte mit vielen Restarts

Seite 3: Kritik des Bundesdatenschutzbeauftragten

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Ob dabei mehr herauskommt als altbackene und fragwürdige Markierungen wie "Berufsverbrecher", ist offen. Die Kritik des Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber in seinem 31. Tätigkeitsbericht vom März, wonach dieser "Proof of Concept" rechtswidrig sei, wischt das BMI weg: Diese Auffassung teile es nicht. Vor allem erachte man die hier erfolgende Auftragsverarbeitung durch das BKA für die Länder als zulässig. Sanktionsbefugnisse hat Kelber gegenüber Strafverfolgungsbehörden bislang nicht, da der hiesige Gesetzgeber die Datenschutzrichtlinie für diesen Bereich auch nach mehreren Jahren noch nicht umgesetzt hat.

Seit 2017 sind in die Realisierung von P20 laut der Regierung bereits rund 190 Millionen Euro allein an Mitteln aus dem Bundeshaushalt geflossen. Die Länder hatten bislang 76 Millionen bereitgestellt. Nur für 2023 sind von beiden Seiten insgesamt noch einmal 250 Millionen Euro veranschlagt. Bei einem großen Teil davon soll es sich aber um nicht verbrauchte Restmittel aus dem Vorjahr handeln.

Die Exekutive äußert sich zudem – ebenfalls mit einem Funken Hoffnung – zum weiteren Ausbau von PIAV. Die Saga dieses Informations- und Analyseverbund reicht bereits bis 2007 zurück, also noch fast ein Jahrzehnt länger als P20. Trotzdem sind die Arbeiten an dem vielgliedrigen System, das einmal das "Herzstück" des übergeordneten Datenhaus-Ökosystems bilden soll, nach wie vor keineswegs abgeschlossen. PIAV sollte schon ursprünglich das leisten, was die verschiedenen Inpol-Spielarten nie konnten, erläutert die IT-Police-Expertin Brückner, die selbst vor einiger Zeit an der Entwicklung von Datenbanken für die Polizei beteiligt war: "Tat-Tat- und Tat-Täter-Beziehungen aufzeigen, auch wenn die Einzelinformationen aus unterschiedlichen Ländern und Behörden stammen".

Die bisherige PIAV-Leidensgeschichte hört sich ähnlich an wie die von P20: Nach einem um Jahre verschobenen Projektstart und nicht minder langen Verzögerungen bei der Einführung der ersten drei von sieben geplanten Ausbaustufen sei die Initiative zunächst "klammheimlich in der Versenkung" verschwunden, erinnert sich Brückner. Jahre später sei dann verschämt zu hören gewesen, dass der Systemkern von PIAV beim BKA – im Fachjargon "Operativ Zentral" – nicht leisten könne, was schon seit Jahren verlangt worden sei. Also hätten die Entwickler wieder einmal alles neu aufsetzen müssen.

Aktuell kommt der PIAV-Ausbau erneut nur zäh voran. 2019 hieß es noch, dass im Sommer 2021 die letzte Stufe erreicht werde. Jetzt soll erst 2025 etwas daraus werden, wie die Bundesregierung vor Kurzem auf eine andere Anfrage der Linken hin Bescheid gab: Am 1. Juni 2018 erfolgte demnach die Wirkbetriebsaufnahme der PIAV-Operativ Stufe 2 (Rauschgiftkriminalität und gemeingefährliche Straftaten/Gewaltdelikte). Ferner seien am 17. Juni 2020 die PIAV-Operativ-Stufen 3 (Cybercrime, Eigentumskriminalität/Vermögensdelikte, Sexualdelikte) und 4 (Dokumentenkriminalität, Schleusung/Menschenhandel/Ausbeutung) umgesetzt worden. Sie ermöglichten es den Nutzern seither, auch in diesen Bereichen Informationen "zur Erkennung von phänomenübergreifenden Bezügen zusammenzuführen".

Die Inbetriebnahme der Stufen 5 bis 7 ist bis Mitte 2025 geplant, wirft das BMI einen Blick nach vorn. In diesem Rahmen sollen die PIAV-Dateien Arzneimittelkriminalität, Falschgeldkriminalität, Geldwäsche, Korruption, politisch motivierte Kriminalität, organisierte Kriminalität sowie Wirtschafts- und Umweltkriminalität implementiert werden.

Im Fokus steht momentan vor allem die Variante "PIAV-Strategisch", die der Regierung zufolge als "Werkzeug zur tagesaktuellen Analyse des Kriminalitätsgeschehens auf lokaler, regionaler und bundesweiter Ebene konzipiert" worden ist. Die zugrundeliegenden strukturierten Daten stammen ihr zufolge aus laufenden Vorgangsbearbeitungen, "sodass sich die aktuellen Ermittlungsstände unmittelbar auf die Kennzahlen des Systems auswirken". Dadurch würden den Polizisten die Früherkennung von deliktspezifischen oder übergreifenden Kriminalitätsphänomenen sowie zeitlichen oder geografischen Brennpunkten ermöglicht. Dieser Teil des Verbunds diene insofern auch als polizeiliches Führungsinformationssystem.

"PIAV-Strategisch wird fachlich und technisch kontinuierlich weiterentwickelt", lässt das BMI wissen. Die zur Analyse verwendete Datenbasis werde tagesaktuell und anonymisiert aus den Teilnehmersystemen bereitgestellt. Eine Ablösung dieses Systems sei genauso wenig geplant wie seine Verknüpfung "mit weiteren Anwendungen".