Missing Link: High Tech, Low Life - die Zukunft der Landwirtschaft 3

Seite 2: Vater Staat und Mutter Erde

Inhaltsverzeichnis

Mit all der Technik zurück zur Ausgangsfrage: Könnte der Bauer CO2 im Feld binden? Bedingt. Zwar kann ein Bauer schon in vergleichsweise kurzer Zeit einigen Humus aufbauen, wenn er sich darauf konzentriert, doch kann er diesen Humus jederzeit wieder in einem Bruchteil der Zeit emittieren. Hier liegt das Problem der Förderung solcher CO2-bindender Maßnahmen. Österreich betreibt gerade ein Experiment in der "Ökoregion Kaindorf": Ein externer Sachverständiger prüft Böden teilnehmender Landwirte auf ihren Kohlenstoffgehalt in einem wählbaren Abstand von 2 bis 5 Jahren. Wer dabei Kohlenstoff bindet, erhält eine Prämie von 30 Euro pro umgerechneter Tonne CO2, die nun im Boden liegt. Auf dieses CO2 verkauft das Projekt Zertifikate, mit der andere Betriebe ihre CO2-Bilanz verschönern. Der Landwirt muss garantieren, dass er den Aufbau mindestens 5 Jahre aufrechterhält. Was danach passiert, ist noch undefiniert. Wenn der Landwirt etwas ändert, entweicht dieser Kohlenstoff schnell zurück in die Atmosphäre (steht jedoch wie so oft im Zertifikatehandel trotzdem als gespart in einer nutzlosen Bilanz).

Die EU gibt daher noch keine solchen Belohnungssysteme vor, obwohl die EU-Förderungen stetig mehr an Umweltleistungen gebunden werden. Humus erreicht wie beschrieben irgendwann ein (lokal unterschiedliches) Gleichgewicht. "Es ist wie einen Ballon aufpusten", vergleicht es Dr. Thorsten Reinsch, der an der Uni Kiel zum Thema Landwirtschaft forscht. "Am Anfang geht viel rein und die Luft entweicht nur langsam. Doch sobald der Ballon Gegendruck erzeugt, nimmt er langsamer neue Luft auf und die Luft entweicht schneller. So ähnlich ist es auch beim Humus." Gattinger et al fanden 2012 heraus, dass gängige Methoden 10 Jahre lang normalerweise gut Kohlenstoff binden. Danach sinkt die Aufnahmerate. Nach 20 Jahren ist häufig gar keine weitere Aufnahme messbar.

Wie viel der Bauer davon hat, hängt sehr stark vom Boden ab. An meinem Wohnort sitze ich auf Muschelkalk-Verwitterungsboden. Dieser Boden trägt nur gut, wenn er ausreichende Mengen Humus enthält, deshalb gibt es in der ganzen Gegend keinen Bauern, der mit wenig Bodenpflegemaßnahmen lange gut auskommt. Die Böden stehen selten leer, dafür häufig voll bunter Gründüngungsmischungen. Die Löss-Böden der Börden Nordrhein-Westfalens dagegen sind schon an sich so fruchtbar, dass der Bauer nur "das Säen nicht vergessen" darf, so das alte Sprichwort. Ein Humusaufbau dort bringt nur wenige messbare Vorteile. Meistens geht es eher darum, den erosionsempfindlichen Löss zu sichern. Die unterschiedlichen Lagen gleich zu behandeln, wäre ökologisch und ökonomisch wahrscheinlich nicht sinnvoll.

Sowohl die Forschung als auch Privatgärtner widmeten sich in den letzten Jahrzehnten intensiv der Analyse künstlicher Schwarzerden. Im Amazonasgebiet heißt dieser ungewöhnliche Boden "Terra Preta" (portugiesisch für "schwarze Erde"). Eine menschliche Hochkultur in der Zeit vor 1000 bis 800 Jahren vermischte Kohle mit nährstoffreichen Abfällen. Die poröse Kohle tut das, was in NRW der Löss tut: Sie reguliert Wasser- und Nährstoffzufuhr an die Wurzeln und bietet dem Mikrobodenleben Oberfläche. Die künstlich entstandenen Böden im Amazonasgebiet sind vielerorts bis heute fruchtbar, und da Kohle nur sehr langsam verrottet, eignet sich diese Methode gut dazu, Kohlenstoff längerfristig in den Boden zu bringen. Die Schichten im Amazonasbecken sind bis über einen Meter dick.

Doch es gab einen Grund, warum unsere Vorfahren das Verfahren nur auf kargen Böden anwendeten, am Amazonasufer, aber auch auf den Sandböden des heutigen Wendlands: Auf fruchtbaren Böden bringt es keine messbaren Ertrags-Vorteile. Dennoch zeigt das Verfahren Potenzial. Wenn die Pyrolyse energieeffizient genug abläuft, taugt es schon als reine CO2-Sequestrierungsmaßnahme. Es findet daher derzeit verstärkt den Weg in moderne Kreislaufkonzepte. Gewerbliche Anbieter verkaufen fertige Terra Preta für die Ausbringung auf dem Acker. Man kann sie jedoch auch unter trivialem Aufwand selber herstellen, um damit (siehe Permakultur) im eigenen Garten zu experimentieren.

Taugt die Landwirtschaft grundsätzlich als CO2-Senke? Wahrscheinlich schon, zumindest für etwa 20 Jahre. Aber wird sie es auch werden? Das kommt auf so viele Faktoren an, dass ich es mit "eher nicht" beantworten würde. Doch schon ein bewusstes Arbeiten mit dem Speicherpotenzial des Bodens hilft uns weiter, zumindest den Ausstoß zu verringern.

Ich begann diese Arbeit mit der Meinung, man könne einfach nur Humusaufbaumethoden berücksichtigen als one-stop-Lösung aktueller Probleme, wie es in vielen Dokus, Artikeln und Büchern empfohlen wird. Wie jede einfache Antwort auf eine komplexe Fragestellung erwies sich das als zu fromme Hoffnung. Die künftige Lebensmittelherstellung steht im Mittelpunkt komplexer Kreislaufwirtschaften, die wir aufbauen müssen. Da geht es um viel mehr als den Boden.

Die meisten Bauern wünschen sich (vor allem in Deutschland mit seinen im Umfeldvergleich billigen Lebensmitteln) lieber höhere Preise als mehr komplizierte, teilweise fragwürdige Förderungen samt deren Vorgaben. Die aktuell niedrigen Preise sind jedoch das direkte Resultat einer Überproduktion, bei der die Produzenten immer billiger anbieten müssen, während der Staat bei den Risiken hilft. Was passiert, wenn nächste Saison nur noch die Hälfte an Weizen angebaut würde? Dasselbe, wie wenn Hagel die Hälfte vernichtet hätte: Der Preis steigt, denn Mensch wie Vieh müssen trotzdem essen. In den hocheffizienten Systemen der EU oder der USA gibt es ein geringes technisches Potenzial, wohl aber ein großes politisches: Die Anreize zur Überproduktion müssen weg, damit ein gesünderes Preisniveau entsteht. Sehr viele unserer ärgsten Probleme entstehen aus einer Überproduktion, die am Ende alle unglücklich macht vom Bauern bis zum Brotesser.

Dass ich keine einfachen Antworten präsentieren kann, heißt nicht, dass alles gut so ist. Frustrierte Landwirte haben sich aus der öffentlichen Debatte zurückgezogen, also wird ohne diese Fachleute Politik gemacht. Erodierte Böden halten sowohl Wasser als auch Dünger schlechter, der dann in Gewässern landet. Pflanzenschutzmittel setzen der Insektenpopulation zu. Die EU-Förderpolitik richtet sich immer noch nach Fläche, was große Flächenbesitzer bevorteilt, die ohnehin schon mehr haben. Und das überkommene Wirtschafts-Hilfsbild vom unendlichen Wachstum ist in der Landwirtschaft noch schädlicher als sonst schon, weil es nirgends absurder wirkt. "Capitalism may need modernizing", sagte selbst der milliardenschwere Hedge-Fund-Manager Paul Tudor Jones II 2018 in einem Interview auf CNBCs morgendlicher "Squawk Box". Es gibt keinen sinnvolleren Platz für eine solche System-Modernisierung als bei den Lebensmitteln.

Das Windrad: Technik, die zum Symbol wurde. Man könnte künftig Stickstoffdünger auch mit erneuerbarem Strom produzieren.

(Bild: Clemens Gleich)

Das alles enthält eine Botschaft für junge Menschen: Ihr werdet gebraucht. Auf kaum einem anderen Gebiet kann man so viel so wichtige Zukunft gestalten wie aktuell in der Landwirtschaft. Der Sektor braucht Maschinenbauer, Agraringenieure, Software-Architekten, Vertriebs-Neudenker, Ökologen, Ökonomen, und ein paar Leute für gute Öffentlichkeitsarbeit wären auch nicht schlecht. Vertraut mir, wenn ich sage: Die Arbeit in der Landwirtschaft ist viel, viel, viel interessanter als ihr Ruf. Und viel wichtiger.

Farm (and other F Words) von Sarah Mock über Kapital und Landbau in den USA (wo vieles recht ähnlich ist wie bei uns)

Dazu passend: Dr. Sarah Taber auf Twitter oder ihren Podcast "Farm to Taber" anhören.

Alle satt? von Urs Niggli über Lebensmittelversorgung und Bio-Landbau

(jk)