Missing Link: High Tech, Low Life - die Zukunft der Landwirtschaft 3

Nun kommen wir in der Serie über Boden und Leben zum Boden der Tatsachen: Die Mainstream-Landwirtschaft ernährt die Welt. Wie kann sie das nachhaltig tun?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 149 Kommentare lesen
Agrarroboter
Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Es hat sich vor allem in der Klimadiskussion eine Erzählung durchgesetzt, die Verbraucher und Landwirte als Gegner darstellt. Das ist umso unerfreulicher, als diese Erzählung absurd ist. Verbraucher und Landwirte sind zwingend aufeinander angewiesen. Ohne Landwirte keine Lebensmittelproduktion. Ohne Verbraucher nur Selbstversorgung, also kein spezialisiertes Geschäft.

Nachdem wir in den zwei vorangehenden Artikeln die Lage und das Potenzial von Biolandbau und die Permakultur beleuchteten, müssen wir nun auf den Boden der Tatsachen zurückkehren: Der konventionelle Landwirt sorgt für den weitaus größten Teil der Ernährung. Obwohl Studien bis zu 60 Prozent Bioanteil für möglich halten, ohne dass gehungert werden muss, liegen die wahrscheinlich wirklich zu realisierenden Raten von Bio-Anbau eher bei der Hälfte dieses Werts oder darunter.

Die Zukunft der Landwirtschaft

Wie kann sich eine Weltbevölkerung von bis zu 10 Milliarden Menschen nachhaltig ernähren? Die globale Landwirtschaft sucht nach Lösungen, auch über "Bio"-Bewirtschaftung und Einsatz von IT im "Smart Farming" hinaus.

Doch bewährte Methoden zur CO2-Reduktion aus dem Bio-Anbau fassen im konventionellen Anbau Fuß. Das Stichwort hierzu heißt "Hybrid-Anbau". Ein Beispiel für so einen Betrieb findet sich im "Ackerbauer des Jahres 2020" (Ceres-Award, Kategorie Ackerbau) Stefan Leichenauer. Er setzt viel organischen Dünger (zum Beispiel Kompost) ein, um den Mineraldüngerbedarf zu mindern. Er setzt mechanische Unkrautbekämpfung ein, um Herbizide zu sparen und um etwas für den Artenschutz zu tun. Er setzt auf eine ausgeklügelte achtgliedrige Fruchtfolge mit viel Leguminosen – Futter für seine "beschde Arbeiter", die Regenwürmer.

Leichenauer verkauft bevorzugt regional, mit direkten Partnern wie Bäckereien für seinen Weizen. Fürs Verhältnis Verbraucher-Anbauer spickt er seine Flächen mit Erklär-Schildern und dokumentiert seine Arbeit per Smartphone. In diese Richtung gehen aktuell viele Ackerbauern – gerade auf schwierigeren Böden (etwa auch uf dr Alb), um an ihren Standorten bei steigenden Temperaturen weiter wirtschaften zu können und den Erderwärmungsanteil der Landwirtschaft zu senken.

Diese Änderungen sind auch nötig, weil sich die Gesetzeslage geändert hat. Bisher gab es mit Glyphosat einen Pflanzenvernichter, mit dem Bauern geringe Bodenbearbeitung umsetzten, was zu weniger CO2-Freisetzung führte (siehe Toward Specialized or Integrated Systems in Northwest Europe: On-Farm Eco-Efficiency of Dairy Farming in Germany). Aufgrund gesundheitlicher Bedenken für Mensch, Tier und Ökosystem wird das Totalherbizid jedoch bei uns wahrscheinlich bald nicht mehr zugelassen sein. Im Streit um das Mittel beklagen die Umweltverbände, dass seine punktuellen Vorteile die ökologische Gesamtbilanz nicht retten.

Die hauptsächliche Schwierigkeit mit Vorschlägen, die konventionelle Landwirtschaft komplett zu ersetzen, liegt darin, dass sie sehr gut darin war, uns alle zu ernähren – so gut sogar, dass wir so viele Menschen werden konnten, während gleichzeitig anteilig weniger von uns hungern. Wenn also Landwirtschafts-Technik kritisiert wird, sollte der Kritiker immer eine Frage an sich selbst stellen: "Was ist denn besser?" Denn an Alternativen mangelt es selten, doch am Ende sind die meisten gar nicht so klar besser als vorher gedacht.

Die Zeichen stehen so, dass wir auch in Zukunft hochtechnologisiert und hochautomatisiert Lebensmittel herstellen. Die UN hofft dabei auf eher mehr neue Züchtungen (auch gentechnisch erzeugte) als weniger. Die in den Fünfzigerjahren aufgekommenen Hybridsorten (wie Mulis, nur bei Pflanzen) erschlossen dem Ackerbau ganz neue Flächen. Sie sind bis heute nicht mehr wegzudenken aus der Landwirtschaft. Der Weg zurück zu vorher hieße vielfach zurück zu geringeren Erträgen.

Moderne Landwirtschaft ist ein Hightech-Prozess mit viel Datenanalyse. Automatisch fahrende Ackermaschinen wissen über hochgenaue GPS-Daten, wo sie wie viel gedüngt und geerntet haben, um die Maßnahmen von Jahr zu Jahr automatisiert anzupassen. Milchkühe suchen von selbst die Melkstation auf, um sich vom Euterdruck zu entlasten und eine Belohnung zu erhalten. Im Stall fahrende Roboter erledigen vieles, was früher eine landwirtschaftliche Hilfskraft tat – nur, dass er dabei Daten ins System speist, die der Milchwirt analysiert. Datenanalysen sollen frühzeitig Probleme erkennen, zum Beispiel das Projekt "Sound Hooves" der Uni Kassel, das lahmende Rinder an deren Gangklang erkennt. Die romantische Vorstellung, dass ein Bauer sein ein bisschen schön Trecker durch Matsch fahren bedeutet, hat mit der heutigen Landwirtschaft so viel zu tun wie eine vom Dreijährigen gemalte Rakete mit dem Ariane-6-Projekt.

Ein Feld, so weit die Kameralinse reicht: Landwirtschaft ist sehr groß und effizient geworden. Sie muss nun weiter in Richtung Kreislaufwirtschaft abbiegen. Das Konzept ist gerade dem Bauern intim bekannt.

(Bild: Clemens Gleich)

Der Erfolg des Fortschritts hat jedoch seine Kehrseiten, ähnlich wie unsere technologischen Fortschritte in anderen Bereichen. Der Regen wäscht Dünger aus Böden, trägt ihn in Gewässer. Die besten Anbausorten auf riesigen Flächen verdrängen durch ihren Erfolg pflanzliche und tierische Artenvielfalt. Die offenen Kreisläufe senken die Anteile der Bodenmineralien, die weniger nachgedüngt werden. Diese finden sich dann immer weniger in den angebauten Lebensmitteln. In Finnland enthalten Dünger daher seit 1984 nach Vorschrift das Spurenelement Selen, das im Boden fehlt. Studien aus den USA und der Schweiz maßen Rückgänge selbst bei den Mengenmineralien Calcium und Magnesium sowie beim Spurenelement Eisen. Bei all dem geht der Forschungskonsens davon aus, dass eher mehr als weniger Technik auf die Nutzflächen kommt. Vor allem Anbaugebiete mit älterem technischen Stand können noch große Produktivitätssprünge machen. Ukraine, Senegal, ... – überall stellt sich jedoch die Frage: Wie bringe ich Ertrag und Lebensraumschutz unter einen Hut?

Ein Ansatz für die fernere Zukunft sind kleinere Drohnen statt große Landmaschinen. Sie säen, ernten, mähen, jäten Unkraut, düngen, spießen Nacktschnecken auf, kartographieren die Anbaufläche oder melden Menge und Reifegrad von Obst in die Zentrale. Landwirtschafts-Drohnen könnten den enormen Automatisierungsgrad noch erhöhen, die Schwellenkosten senken, durch Redundanz die Ausfallsicherheit erhöhen und durch ihr geringeres Einzelgewicht die Böden weniger verdichten. Diese Maschinen sind vielfach noch im Erprobungszustand oder in frühen Serien. Sobald sie jedoch belegen, dass sie ihre potenziellen Vorteile tatsächlich erbringen, werden wir Drohnenschwärme auf die Felder kommen sehen. Diesen Beleg müssen sie allerdings noch bringen. Haupterwerbs-Landwirte kaufen kein Spielzeug auf Verdacht, und der Nebenerwerbs-Landwirt bleibt wahrscheinlich sowieso beim Treckerfahren.