Missing Link: Müllhalde Weltraum – wie nachhaltig ist Satellitenkommunikation?

Seite 2: Mit Redundanz gegen geplante Verluste

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Im erdnahen Orbit dagegen seien im Jahr 2017 nur die Hälfte der Satelliten, deren Betrieb eingestellt wurde, auch entfernt worden. Bei Betrachtung der Satelliten in Umlaufbahnen über 650 km, wo der atmosphärische Widerstand allein nicht mehr ausreicht, um den Absturz innerhalb von 25 Jahren (wie in internationalen Richtlinien gefordert) zu gewährleisten, liege der Anteil sogar nur bei 20 Prozent. Hier kalkulieren die Betreiberfirmen offensichtlich anders: Der Verlust einzelner Satelliten wird in Kauf genommen und durch Redundanz aufgefangen. Von vornherein werden mehr Satelliten als nötig in den Orbit transportiert, damit Reservekapazitäten zur Verfügung stehen.

Was das Geschäftsmodell des jeweiligen Unternehmens kurzfristig zunächst einmal absichert, verschärft aber zugleich das langfristige Problem des Weltraummülls. Die Spacebee-Satelliten etwa kreisen ungefähr acht Jahre lang um die Erde, ehe sie wieder in die Atmosphäre eintauchen und dort verglühen. Da sie über keinen eigenen Antrieb verfügen, können sie in dieser Zeit auch keine Ausweichmanöver vollziehen. Wenn sie bei Kollisionen zertrümmert werden, werden die Bruchstücke zum Teil auch in größere Höhen geschleudert und tragen nach und nach dazu bei, den erdnahen Weltraum komplett unbrauchbar zu machen. Es sei schwer vorherzusehen, wann ein solcher Zustand eintrete, bemerkt die OECD-Studie. Einigen Modellrechnungen zufolge könne es aber schon in wenigen Jahrzehnten geschehen. Ein Bericht des US National Research Council sei im Jahr 2011 sogar zu dem Ergebnis gekommen, dass der ökologische Umschlagpunkt, von dem an der orbitale Müll sich selbst erhalte, bis 2030 erreicht sein könnte. Der ökonomische Punkt, von dem an es sich wirtschaftlich nicht mehr lohnt, Satelliten im erdnahen Orbit zu betreiben, könne gleichwohl deutlich früher erreicht werden. Auch bemannte Raumfahrt wäre in dieser Höhe dann wahrscheinlich zu riskant.

Besonders belastet sind derzeit Umlaufbahnen, die in 600 bis 800 Kilometer Höhe über die Pole führen und insbesondere von Satelliten zur Wetter- und Klimabeobachtung genutzt werden. Hier schwirren etliche dickere Brocken unkontrollierbar durchs All. Envisat etwa, der europäische Umweltsatellit, der selbst zum Umweltproblem geworden ist, seit vor acht Jahren der Kontakt zu ihm abbrach, ist der dickste von allen. 26 mal 10 mal 5 Meter misst der Acht-Tonnen-Koloss. Auf seiner Bahn fliegt er mehrmals täglich mit weniger als 5 Kilometern Abstand an anderen größeren Objekten vorbei, dem ebenfalls funktionslosen Iridium-44 etwa, Raketenoberstufen oder Trümmern von Iridium-33. Der wurde am 10. Februar 2009 bei einer Kollision mit dem russischen Satelliten Kosmos 2251 in mindestens 528 Trümmerstücke zerlegt, für Kosmos 2251 wurden 1347 gezählt. Bei Relativgeschwindigkeiten bis zu 15 km/s ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch Envisat pulverisiert wird. Seine Verweildauer wird auf etwa 150 Jahre geschätzt. Ob das reichen wird, um ihn am Ende in einem Stück in der Atmosphäre verglühen zu lassen, ist ungewiss.

Die Umlaufbahnen um 800 km werden insbesondere von Erdbeobachtungssatelliten genutzt. Der Verlust dieser Orbitalregion würde sich daher vor allem in der Wettervorhersage bemerkbar machen. Einer EUMETSAT-Studie zufolge würde die Genauigkeit der mittelfristigen Wettervorhersagen um 15 bis 20 Prozent abnehmen, wenn gleichzeitig alle europäischen und US-amerikanischen Satelliten in polaren Orbits ausfallen würden. Eine britische Studie bezifferte 2018 den Wert meteorologischer Daten für die britische Wirtschaft mit 670 bis 1000 Millionen Pfund jährlich.

Noch stärker betroffen wäre die Klimaforschung. Allerdings lässt sich der Schaden kaum in Zahlen ausdrücken. Viele der kontinuierlich durchgeführten Messreihen etwa von Meeresströmungen, Eismassen oder der Höhe des Meeresspiegels würden abreißen. Ohne Satelliten dürften sich die entstehenden Datenlücken allenfalls notdürftig schließen lassen.