Missing Link: Zahlen und Trends beim Terrorismus – Europol ist beunruhigt

Seite 3: Drohnen, Roboterautos und Bioterrorismus

Inhaltsverzeichnis

In Zukunft dürften Terroristen ein zunehmendes Interesse an technologisch verbesserten oder leistungsfähigen Waffen zeigen, vermuten die EU-Ermittler weiter. Es sei davon auszugehen, dass solche Angriffsinstrumente "leichter zugänglich, anonym online gehandelt oder von kriminellen Akteuren bereitgestellt werden". Drohnen und andere Arten unbemannter Geräte und Fahrzeuge ermöglichten es Terroristen ferner, "Angriffe aus der Ferne durchzuführen". Dies würde die Folgen verschlimmern. Robo-Autos könnten "auch individuell angepasst und in Kombination mit verschiedenen Waffen eingesetzt werden, möglicherweise auch mit radioaktivem oder biologischem Material".

Die Autoren spekulieren, dass möglicherweise inspiriert durch Narrative rund um die Corona-Pandemie und angesichts bevorstehender Durchbrüche im Bereich der synthetischen Biologie und Biotechnologie eine Verlagerung zum Bioterrorismus hin stattfindet. Auch das Internet der Dinge (IoT) und künstliche Intelligenz (KI) – etwa in Form von Deepfakes, Augmented Reality und Chatbots – dürften voraussichtlich häufiger von Terroristen genutzt werden. Solche Werkzeuge könnten unter anderem zur Steigerung der Effizienz der Propaganda und zur Beschleunigung der Radikalisierung im Internet verwendet werden. Nicht zuletzt malen die Verfasser ein Szenario aus, in dem koordinierte Cyberangriffe als Terrorakte eingesetzt werden und möglicherweise von Dienstleistern für Cyberkriminalität im Auftrag terroristischer Akteure verübt werden.

"Einige terroristische Elemente" scheinen laut dem Bericht ferner verstärkt virtuelle Vermögenswerte wie Kryptowährungen zu nutzen, um ihre terroristischen Aktivitäten ohne viele Spuren zu finanzieren. Es sei etwa beobachtet worden, dass Rechtsextremisten mit Bitcoin & Co. Gelder einsammelten und transferierten. Der Modus Operandi, wie dschihadistische Terrororganisationen Gelder bewegten, entwickele sich ebenfalls weiter. So würden etwa Kryptowährungen auf ein Konto in einem Land gezahlt und dort abgebucht. Der Betrag werde dann aufgeteilt und über informelle Transfersysteme wie Hawala in andere Länder geschickt und über Geldtransferdienste weiterüberwiesen.

Insgesamt komme digitalen Währungen bei den Mitteln zur Terrorismusfinanzierung aber bislang nur eine marginale Rolle zu, räumt das Polizeiamt ein. Indes seien – offenbar als Novum – Non-Fungible Tokens (NFTs), die auf Basis von Kryptomünzen das Eigentum an realen Objekte wie Kunst, Musik und Videos repräsentieren, von einem IS-Sympathisanten geprägt und geteilt worden. Sie hätten etwa ein Bild mit IS-Flagge, ein Loblied auf einen Angriff auf eine Stellung der Taliban, und eine Darstellung, die das Rauchen von Zigaretten verurteilt, umfasst und seien kurzfristig auf einem Online-NFT-Marktplatz veröffentlicht worden. In den jeweiligen Blockchains bleibe das Material weiter verfügbar. Im Gegensatz zu solchen Experimenten sei "Technophobie" ein wichtiger Erzählstrang linksextremer Gruppen.

Rechte und linke terroristische Aktivitäten werden laut dem Resümee in der Gemeinschaft "eine immer zentralere Rolle einnehmen". Die aktuelle globale Landschaft, die von mehreren aufeinanderfolgenden Krisen beeinflusst und von Unsicherheit geprägt sei, biete "in Kombination mit einer umfassenden Hyperkonnektivität einen fruchtbaren Boden für die Radikalisierung". Dank des Beschleunigungs- und Verbreitungseffekts des Internets lasse sich ein großes Publikum ansprechen. Diese werde wahrscheinlich noch zunehmen, "da immer mehr schutzbedürftige Personen Online-Propaganda ausgesetzt sind."

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Dieser Kontext biete einen gefährlichen Boden "für Selbstradikalisierung und für Einzelakteure, die mit der Planung von Anschlägen beginnen", warnt Europol-Chefin De Bolle. Die Gesamtsituation stelle "erhebliche Herausforderungen für die Prävention und Bekämpfung von Terrorismus und gewalttätigem Extremismus in der EU dar".

Die Politik reagiert auf Anschläge und einschlägige Warnungen in der Regel mit immer weiteren Überwachungsgesetzen, die tief in die Bürgerrechte einschneiden. Nach dem 11. September 2001 jagte ein "Otto-Katalog" das nächste Anti-Terror-Paket. Noch Mitte 2016 beschloss der Bundestag etwa ein Eilgesetz, wonach binnen eines Jahres eine Ausweispflicht beim Kauf von Prepaid-Handykarten griff und die Kooperation mit ausländischen Geheimdiensten deutlich ausgebaut wurde. Vorratsdatenspeicherung und der Einsatz von Staatstrojanern zum Ausspionieren der Online-Kommunikation sind weitere Ausgeburten dieses "Sicherheitsdenken", das oft erst durch höchstrichterliche Urteile eingehegt wird. So stutzte das Bundesverfassungsgericht etwa 2013 die hiesige Anti-Terror-Datei zurecht.

Parallel forciert vor allem der EU-Rat – im Einklang mit Vertretern von Sicherheitsbehörden etwa der USAeine Linie für "ein bisschen Verschlüsselung", die aber praktisch gar nicht umsetzbar ist. Immer wieder ist zu hören, dass sich die Mitgliedsstaaten "mit der Frage der Datenverschlüsselung beschäftigen müssen" im Bestreben, irgendwie an den Klartext zu kommen. Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) etwa hält den ständigen Angriffen auf die Schutzmöglichkeiten der freien Kommunikation entgegen: "Ein Generalschlüssel zur Überwachung von Chats ist ein Werkzeug, von dem Diktatoren träumen. Auch russische Hacker werden sich über die Arbeitserleichterung freuen."

Kritiker mahnen seit Langem, es stelle sich vermehrt die Frage, wie wirksam die ganzen Überwachungssysteme tatsächlich sind. Reflexhafte Rufe nach immer mehr Überwachung ohne Folgenabschätzung führten nur zu einer Symbolpolitik mit hohen Kosten. Im August 2018 kam eine paritätisch vom Bundesinnenministerium und vom Justizressort eingesetzte Kommission zur Überprüfung der Sicherheitsgesetze zu dem Schluss, dass viele Anti-Terror-Maßnahmen eingeschränkt werden sollten. So müsse das Bundeskriminalamt (BKA) etwa bei heimlichen Online-Durchsuchungen einer stärkeren juristischen und parlamentarischen Kontrolle unterstellt werden. Das Gemeinsame Terror-Abwehrzentrum (GTAZ) brauche eine eigene gesetzliche Grundlage. Getan hat sich seitdem auf diesem Feld wenig.

Fionnuala Ní Aoláin, UN-Sonderberichterstatterin für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Terrorismusbekämpfung, schlug erst im März Alarm angesichts der schleichenden Ausweitung der Befugnisse von Sicherheitsbehörden zum Einsatz von Überwachungstechnologien im Anti-Terror-Kampf: Der Aufhänger der Stärkung der inneren Sicherheit diene dabei häufig "als politische und rechtliche Rechtfertigung für die Einführung von risikoreichen und stark in die Privatsphäre eingreifenden Technologien auf der Grundlage außergewöhnlicher Bedrohungen".

(tiw)