Missing Link: Zahlen und Trends beim Terrorismus – Europol ist beunruhigt

Europol warnt in einem Bericht: "Terrorismus stellt weiterhin eine ernsthafte Bedrohung dar". Attentäter nutzen verstärkt Kryptowährungen und Gaming-Foren.

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(Bild: Gorodenkoff / Shutterstock.com)

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Das Bild, das die europäische Polizeibehörde Europol in ihrem am Mittwoch veröffentlichten "Lage- und Trendbericht zum Terrorismus" in der EU 2023 mit Zahlen aus dem Vorjahr zeichnet, ist das einer permanenten – zumindest latenten – Gefahrensituation. "Der Terrorismus stellt nach wie vor eine erhebliche Bedrohung für die innere Sicherheit der Europäischen Union dar", schreibt Europol-Direktorin Catherine De Bolle schon im Vorwort. "Terroristen agieren grenzüberschreitend und nutzen neue Technologien und Vorgehensweisen, um unschuldige Menschen ins Visier zu nehmen."

Die reine Statistik taugt zwar nicht gerade für Alarmismus. Im Jahr 2022 registrierten die EU-Staaten 28 durchgeführte, gescheiterte oder vereitelte Anschläge. Sechzehn Attacken konnten die Sicherheitsbehörden nicht verhindern. Dabei kamen insgesamt vier Menschen ums Leben, zwei durch islamistische Angriffe und zwei durch einen rechten Terroranschlag. Zudem nahmen Strafverfolger Hunderte Verdächtige in Fällen im Zusammenhang mit Terrorismus fest.

Europol vermittelt auf 94 Seiten aber auch einen Blick auf die Entwicklungen hinter den Zahlen. Gerade das Internet und andere Technologien sind demnach "ein zentraler Faktor für Propaganda sowie für die Radikalisierung und Rekrutierung schutzbedürftiger Personen für Terrorismus und gewalttätigen Extremismus." Neben Social-Media-Plattformen, Messaging-Diensten, Online-Foren und Videospielplattformen scheinen dem Den Haager Polizeiamt zufolge auch dezentrale Dienste etwa im Bereich Peer-to-Peer (P2P) "in terroristischen und gewalttätigen extremistischen Kreisen an Popularität gewonnen zu haben". Dies beeinträchtige "Überwachung und Ermittlungen durch die Strafverfolgungsbehörden erheblich".

Weitere fortschrittliche Technologien, die sich laut Europol zunehmend bemerkbar machen, "sind die Herstellung und Verwendung von 3D-gedruckten Waffen" – insbesondere in der rechten Szene – und die Nutzung virtueller Vermögenswerte wie Bitcoin, Ethereum, Ripple & Co. "durch terroristische Elemente zur Finanzierung ihrer terroristischen Aktivitäten".

Obwohl sie unterschiedliche Ideologien und Hintergründe haben, heißt es weiter, teilten Terroristen und gewalttätige Extremisten zunehmend ähnliche Narrative, die Auswahl vergleichbarer Ziele und übernähmen taktische Methoden voneinander. Anti-Establishment, Verschwörungserzählungen und der Widerstand gegen technologische Fortschritte "füllten zunehmend den Raum zwischen Ideologien" und lieferten "Motivationen für gewalttätige Aktionen". Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine habe die Gemengelage online wie offline weiter verdichtet.

Der Bericht bietet Europol zufolge "das umfassendste und aktuellste Erkenntnisbild zum Terrorismus in der EU". Er basiert auf qualitativen und quantitativen Daten der Mitgliedstaaten zu Terroranschlägen, Festnahmen und Gerichtsentscheidungen wegen terroristischer Straftaten. Partner hätten zudem "wertvolle qualitative Informationen und Bewertungen, die die Ergebnisse des Berichts bereichern". Dabei gehe es auch um Trends außerhalb der EU, die sich aber auf die Sicherheit der Gemeinschaft und ihrer Bürger auswirken könnten.

"Missing Link"

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Extremistische Vorfälle werden zwar nicht in der quantitativen Übersicht zu Terroranschlägen berücksichtigt, aber trotzdem angeführt zur "Kontextualisierung und um ein umfassenderes Bild der Terrorismussituation in der EU zu vermitteln". Informationen zu Verurteilungen und Freisprüchen wegen terroristischer Straftaten von Justizbehörden sowie zu Änderungen nationaler Rechtsvorschriften zum Terrorismus ergänzen den Report.

Die EU richtete 2019 nach den Anschlägen in Paris 2015 ein Terrorismusregister ein. Ziel ist es, bei Eurojust justizielle Informationen über die Aktivitäten von Terroristen und Terrornetzwerken zu sammeln und einen möglichen Koordinierungsbedarf zu identifizieren. Einbezogen werden nach Angaben der Bundesregierung etwa Aktenzeichen, Kontaktdaten der Staatsanwaltschaft, Name des Beschuldigten, Aliase, Geburtsdaten, Straftatbestand und Verfahrensstadium. Bei abgeschlossenen Verfahren kämen Urteile sowie Informationen zu Rechtshilfeersuchen dazu. Es gehe vor allem darum, "Querverbindungen zu entdecken und Verfahren zu koordinieren". Aus Deutschland übermittle der Generalbundesanwalt Daten.

Die von den EU-Ländern gemeldeten 28 Anschlagsaktivitäten sind zehn mehr als 2021. Die Zahl blieb jedoch deutlich hinter den 2020 gemeldeten 56 Anschlägen und Versuchen dazu zurück. Italien war 2022 mit 12 Attacken am stärksten betroffen, gefolgt von Frankreich (6), Griechenland (4) und Belgien (3). Deutschland, die Slowakei und Spanien meldeten jeweils einen entsprechenden Angriff beziehungsweise Anlauf dazu.

Die meisten der gemeldeten Terroraktivitäten stuften die Mitgliedsstaaten als linken und anarchistischen Terrorismus ein, nämlich 18. Davon wurden 13 in Italien, drei in Griechenland und jeweils einer in Belgien und Spanien verübt. Italien meldete ferner drei gescheiterte linksterroristische Anschläge. 2021 war in diesem Sektor nur ein Angriff von einem Mitgliedstaat gemeldet worden. Schwankungen in der Zahl der Terroranschläge in den vergangenen drei Jahren seien hier zumindest teilweise auf die vage Kennzeichnung linker Vorfälle durch die Berichtsländer zurückzuführen. Terror von Links richte sich oft gegen kritische Infrastruktur, was zu großflächigen Stromausfällen führen könnte, sowie gegen Polizeibeamte, einschließlich Angriffen auf Privatfahrzeuge und Wohnungen.

Die Mitgliedstaaten meldeten 2022 sechs dschihadistische Terrorattacken. Zwei Anschläge wurden verübt, einer in Belgien und einer in Frankreich mit insgesamt zwei Toten. Die islamistischen Terroranschläge sind im Vergleich zu 2021 und 2020 um rund die Hälfte zurückgegangen. Der Bericht weist für 2022 zudem vier rechtsextreme Angriffe aus, was in etwa den Zahlen aus den Vorjahren entspricht. In der Slowakei kamen bei einer dieser Attacken zwei Menschen ums Leben. Drei gemeldete Angriffe konnten die Behörden vereiteln, zwei in Frankreich und einen in Deutschland.