Weltraumschrott entsorgen: Raumsonde soll erstmals alte Rakete prüfen

Raumsonde ADRAS-J soll im Orbit prüfen, ob eine alte japanische Raketenstufe zum Entsorgen zurückgeholt werden kann.​ Eine zweite Mission soll es ausführen.

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So ist es gedacht: Die Mission ADRAS-J soll sich der Oberstufe einer japanischen H-IIA-Rakete nähern und sie untersuchen.

(Bild: Astroscale)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Jonathan O'Callaghan
Inhaltsverzeichnis

Mehr als 9.000 Tonnen Maschinen und Maschinenteile umkreisen die Erde, darunter Satelliten, die Internationale Raumstation und Trümmerteile. Einen Großteil dieser Metallmasse machen allerdings die fast tausend funktionslosen Raketen aus, die seit Beginn des Weltraumzeitalters im All hinterlassen wurden. Bisher gibt es keinen Weg, sie wieder zu entfernen.

Am 18. Februar ließ das neuseeländische Unternehmen Rocket Lab ein Raumfahrzeug starten, das seither auf Rendezvous-Kurs mit einer solchen Weltraummüll-Rakete ist. In den kommenden Wochen soll es die Rakete erreichen. Das ADRAS-J (Active Debris Removal by Astroscale Japan) genannte Raumfahrzeug wurde vom japanischen Unternehmen Astroscale entwickelt und von der japanischen Raumfahrtbehörde JAXA finanziert. Nach seiner Ankunft soll es die ausgediente Rakete untersuchen und herausfinden, wie eine Folgemission sie wieder in die Atmosphäre zurückholen könnte.

Gelingt die Mission, könnte sie demonstrieren, wie sich große, gefährliche und unkontrollierte Weltraumschrottteile aus der Umlaufbahn entfernen lassen – Objekte also, die bei einem Zusammenstoß mit Satelliten oder Raumfahrzeugen eine gewaltige Katastrophe verursachen könnten.

"Es kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, wie wichtig das ist", sagt Michelle Hanlon, Raumfahrtjuristin an der Universität von Mississippi. "Wir haben diese ‚Trümmerbomben‘, die nur darauf warten, getroffen zu werden."

Um die Erde kreisen inzwischen schätzungsweise 500.000 Stück Weltraumschrott, die nur einen Zentimeter groß sind. Die Zahl der verfolgbaren Objekte, die größer als zehn Zentimeter sind, beträgt 23.000. Eine interessante – aber auch gefährliche – Kategorie bilden diese sogenannten toten Raketenstufen. Die 956 bekannten Raketenkörper im Weltraum machen nur vier Prozent der verfolgbaren Objekte aus, bilden aber fast ein Drittel der Gesamtmasse. Die größten leeren Raketenstufen, die in den Achtziger, Neunziger und Nuller Jahren meist von Russland ausrangiert wurden, wiegen bis zu neun Tonnen – so viel wie ein Elefant.

Diese ausrangierten Oberstufen von Raketen, die Satelliten oder Raumfahrzeuge in ihre endgültige Umlaufbahn befördern, werden nach ihrem Abwurf einfach zurückgelassen und kreisen danach um unseren Planeten. Sie stellen ein großes Risiko dar, da sie nicht mehr gesteuert werden und sich unvorhersehbar drehen könnten. Würden zwei von ihnen kollidieren, entstünde eine tödliche Wolke aus "10.000 bis 20.000 Fragmenten", sagt Darren McKnight, Experte für Weltraummüll bei der US-Trümmerverfolgungsfirma LeoLabs.

Ein solches Ereignis könnte jeden Moment eintreten. "Ich gehe davon aus, dass es irgendwann zu einer Kollision zwischen ihnen kommen wird", sagt Hugh Lewis, Experte für Weltraummüll an der Universität Southampton in Großbritannien. "Es gibt so viel Zeug da draußen." Das Ergebnis wäre ein riesiges Problem, weil Teile der Erdumlaufbahn unbrauchbar würden oder es im schlimmsten Fall zu einer Kettenreaktion von Kollisionen käme, die als Kessler-Syndrom bekannt ist. Das könnte sogar die menschliche Raumfahrt zu riskant werden lassen, bis die Trümmer nach Jahrzehnten bis Jahrhunderten wieder in die Atmosphäre zurückfallen und dort verglühen.

Seit der 2007 eingeführten Richtlinie der Vereinten Nationen, nach der Objekte innerhalb von 25 Jahren nach ihrer Betriebsdauer aus dem Weltraum entfernt werden sollten, werden weniger Raketenstufen in der Umlaufbahn aufgegeben. Die meisten Oberstufen behalten nun ein wenig Treibstoff zurück, um sich nach dem Start wieder in die Atmosphäre zu schieben. "Sie neigen jetzt dazu, etwas Treibstoff zu reservieren, damit sie die Umlaufbahn verlassen können", sagt Lewis. Aber es gibt noch Tausende von "Altlasten" aus der Zeit vor Einführung dieser Regel, fügt Lewis hinzu.

Bei der Raketenstufe, die die JAXA im Rahmen ihres CRD2-Programms (Commercial Removal of Debris Demonstration) ins Visier nimmt, handelt es sich um die Oberstufe einer japanischen H-IIA-Rakete, mit der 2009 ein Klimasatellit in die Erdumlaufbahn gebracht wurde. Der drei Tonnen schwere und busgroße Weltraumschrott umkreist unseren Planeten in einer Höhe von 600 Kilometern. Bleibt er unbeaufsichtigt, so Lewis, wird er jahrzehntelang in der Umlaufbahn bleiben, bevor er durch den atmosphärischen Widerstand unseres Planeten wieder in die Atmosphäre gezogen wird. Dann wird er verglühen, und seine Überreste werden höchstwahrscheinlich in den Ozean stürzen.

Vorarbeit: ADRAS-J soll Weltraumschrott prüfen (5 Bilder)

Ingenieure von Astroscale legen letzte Hand an ADRAS-J an.
(Bild: Astroscale)

Die Aufgabe von ADRAS-J besteht darin, herauszufinden, wie man die Raketenstufe schneller wieder in die Atmosphäre zurückholen kann. Die Sonde wird sich der Rakete nähern und sie mit Hilfe von Kameras und Sensoren aus einem Abstand von bis zu einem Meter untersuchen. Sie wird den Zustand der Rakete prüfen, einschließlich der Frage, ob sie intakt ist oder ob Teile abgebrochen sind und in der Nähe treiben. Zudem wird ADRAS-J auch nach Greifpunkten suchen, an denen ein künftiges Raumfahrzeug ansetzen könnte. Die Inspektion soll voraussichtlich im April abgeschlossen werden. Es ist das erste Mal, dass ein verlassenes Stück Weltraumschrott auf diese Weise untersucht wird.

"Die Entwicklung eines Servicegeräts, das ein drei Tonnen schweres Trümmerteil aufgreift, ist mit vielen Herausforderungen verbunden", sagt Mike Lindsay, Chief Technology Officer von Astroscale. "Die größte Herausforderung ist der Umgang mit dem Ausmaß der Unsicherheit. Das Objekt befindet sich bereits seit 15 Jahren dort oben. Es ist unkontrolliert. Wir kommunizieren nicht mit ihm. Wir wissen also nicht, wie es sich bewegt, wie es aussieht und wie es gealtert ist."