Mutterzellen

Seite 2: Mutterzellen

Inhaltsverzeichnis

Dass die Fahndung nach den Stammzellen in der Brust nun gelang, haben die Forscher nicht nur ihrer unermüdlichen Suche, sondern auch neuer Techniken zu verdanken. Sie entnahmen zwei bis drei Wochen alten Mäusen alle Zellen, die für die Ausbildung des Brustgewebes verantwortlich sind, bis nur noch ein kleines Fettpölsterchen übrig blieb. Anschließend kamen so genannte High-Speed-Zellsortierungsmaschinen zum Einsatz. Mit ihnen markierten die Wissenschaftler nach dem Ausschlussprinzip alle ihnen bekannten Zellen, die auf keinen Fall zu der gewünschten Beute gehören konnten – und fischten sie heraus. Diesen Vorgang wiederholten Shackleton und seine Kollegen so lange, bis eine übersichtliche Zahl von Zellen übrig blieb, die sie verdünnten und vereinzelt wieder in die Mäuse pflanzten. Dabei stießen sie auf genau den Zelltyp, der sich aus einer einzelnen Zelle zu einer ganzen Milch produzierenden Drüse weiter entwickelte und alle Eigenschaften von Stammzellen vorwies: Sich in andere Zellarten zu verwandeln und im Körper unveränderten liegen zu bleiben und sich zu vermehren.

Solche Zellen aber, die ein ganzes Leben lang im Menschen – oder Mäusen – ruhen, bergen auch ein gewisses Risiko. Sie sind Veränderungen aus der Umwelt permanent ausgesetzt und können daher schneller als andere Zellen entarten – und Tumore bilden. "Stammzellen sind durch ihre sich selbst erhaltenden Eigenschaften dafür prädestiniert, sich krebsartig zu verändern", so Groner. Für den Brustkrebsspezialisten liegt die größte Bedeutung dieser Arbeit daher in der Krebsforschung. Es gebe gutartige Geschwüre und Tumore in Brustdrüsen, die auf eine einzige mutierte Ausgangszelle zurückverfolgt werden könnten. "Die Vermutung liegt nahe, dass es sich dabei um Stammzellen handeln könnte", sagt Groner. Die Arbeit der Kanadier scheint das zu belegen. So injizierten sie ihre isolierten Zellen auch gentechnisch veränderten Mäusen, die eine Veranlagung für Brustkrebs in sich tragen. Und beobachteten, dass sich die Stammzellen besonders in den Tumoren anreicherten.

Sollten tatsächlich diese lebenden Zellahnen eine erhebliche Rolle bei Krebserkrankungen spielen, könnte diese Erkenntnis wichtige Konsequenzen für die Therapie nach sich ziehen. Stammzellen sterben nicht. Sie reagieren nicht auf die Signale ihrer Umwelt, sich gezielt selbst umzubringen, wenn etwa die Stillzeit vorüber ist. Viele Krebsmedikamente sind jedoch genau darauf ausgerichtet, diesen Zelltod herbei zu führen. "Sie wären also unwirksam", sagt Groner. Aussichtsreicher erscheint ihm, an den nun gefundenen Stammzell-Markern anzusetzen. Einer dieser Marker ist der so genannte Beta-Integrin-Rezeptor, "ein sehr häufig vorkommendes Protein an der Zellaußenseite", so Groner. Ihn würde sehr wundern, wenn man einen ähnlichen Rezeptor nicht auch beim Menschen finden würde.

Auch für die Wissenschaftler, die mit gezüchteten Geweben neue Behandlungsmethoden finden möchten, sehen ihre Ansätze gestärkt. "Die Arbeit eröffnet sehr interessante Perspektiven und Visionen", sagt Frank Emmrich, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Zelltherapie und Immunologie in Leipzig. Dort wollen die Wissenschaftler Wege finden, wie man Organe zur Selbstheilung stimuliert. So könne er sich vorstellen, dass man Brustkrebspatientinnen, denen viel Gewebe entnommen wurde, ihr eigenes gezüchtetes Gewebe wieder einsetzen könnte. "Denkbar wären jedoch auch Organmodelle, an denen Pharmafirmen ihre Medikamente testen – vor allem die Auswirkungen auf die Milchproduktion bei Schwangeren", erklärt Emmrich. Noch allerdings sei man im "Maus-Stadium". Und zunächst müssten sich die Erkenntnisse auf den Menschen übertragen lassen, "was bislang allerdings fast immer gelang". Um jedoch bis dahin zu kommen, seien noch viele kleine Schritte notwendig. Und in die Vorstellung einer autark Milch gebenden Einzelbrust mischt sich noch ein wesentlicher Haken: "Es fehlt die Brustwarze", sagt Groner. Milchproduzieren können stammzellgenerierten Drüsen zwar – nur am Abgeben der Milch, daran scheitern sie noch.

Von Edda Grabar (wst)