Peer gewinnt

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Zum Beispiel die nach der Sicherheit. "In einem dezentralen Netzwerk verlassen wir uns auf Ressourcen, die außerhalb unserer Kontrolle liegen", sagt Babaoglu. Schon bei kommerziellen Clouds besteht ein Manipulationsrisiko. "Dieses finden wir bei dezentralen Lösungen millionenfach verstärkt." Durch Zerteilung und Verschlüsselung ließen sich Daten zwar so unangreifbar machen, dass sie sogar nicht vertrauenswürdige Teile eines Netzes unbeschadet durchlaufen könnten. Bislang gebe es aber keinen effizienten Weg, um etwa Computerberechnungen auf dezentralen Rechnern vor Eingriffen zu schützen. Ungelöst sind auch juristische Fragen. Wenn etwa ein Mitglied des dezentralen Netzwerks dies für kriminelle Taten missbraucht, wer haftet dann?

Eine der schwierigsten Fragen sei aber "die Entwicklung von Anreizen, die Mitmachen belohnen und Trittbrettfahren unattraktiv machen", sagt Babaoglu. Bei Filesharing-Portalen ist der Anreiz klar: Wer beispielsweise Musik zur Verfügung stellt, kann auch selbst Stücke herunterladen. Wissenschaftliche Untersuchungen können mit Renommee werben: Wer seinen Computer dem Projekt seti@home für die Suche nach außerirdischem Leben zur Verfügung stellt, könnte auch selber ein klein bisschen Geschichte schreiben, wenn irgendwann etwas gefunden würde. Aber all das sind eng begrenzte Anwendungen.

"Es gibt keine allgemeingültige Lösung, was Sicherheit, Datenschutz und Mitmachanreize betrifft", sagt Babaoglu. Für vorstellbar hält der Informatiker auf bestimmte Anwendungen begrenzte Konzepte. Als ökonomisches Modell für Google, Amazon und Co. würden die dezentralen Netze auf absehbare Zeit nicht interessant, glaubt er. "Dezentrale Lösungen sparen vielleicht Strom für Serverfarmen. Aber die Fülle der damit einhergehenden Probleme ist so groß, dass die Firmen eher bei ihren zentralisierten Lösungen bleiben dürften."

Bei MaidSafe wird diese Skepsis des Forschers nicht geteilt: Die schottischen Unternehmer Irvine und Lambert wollen Teilnehmer mit monetären Anreizen locken. Aktivitäten im Netzwerk werden mit Einheiten einer kryptografischen Wertmarke belohnt, die für andere Dienste eingelöst werden können. Noch in diesem Jahr soll eine erste Beta-Version des Netzwerks vorliegen. Lambert zeigte sich jüngst auf einer Tagung über die Zukunft des Internets überzeugt: De- zentrale Netzwerke würden am Ende die großen Datenzentren ersetzen – "und die Geschäftsmodelle der großen Tech-Konzerne hoffentlich verbessern".

Noch mag das eine bloße Hoffnung sein. Aber vermessen ist sie nicht. Denn P2P funktioniert bereits in einem Bereich, in dem Nutzer mindestens ebenso empfindlich sind wie im Umgang mit Daten: beim Geld.

An den Banken vorbei

Geschichten wie die von Celia Gay sind derzeit aus Großbritannien zuhauf zu hören. Der Newton Food Farm in der grünen Hügellandschaft zwischen Bristol und Bath wäre um ein Haar der eigene Erfolg über den Kopf gewachsen. Was mit einem kleinen Hofverkauf und einer Kaffee-Ecke an-gefangen hatte, mauserte sich zu einem echten Run auf ihren kleinen Hof. Wollte sie ihre Kunden nicht verprellen, musste sie ihr winziges Café ausbauen. Doch woher Geld nehmen?

"Es gab keine Fördergelder für den ländlichen Raum mehr, in der Rezession waren diese Finanzierungen ausgetrocknet", erzählt Gay. In der Zeitung hatte sie über die Plattform Funding Circle gelesen. Gay meldete sich an und schrieb ein Gesuch nach einem Privatdarlehen aus. Mit Erfolg: 915 Personen waren bereit, der Landwirtin Geld zu leihen – insgesamt 60000 Pfund.

Im Mutterland der Finanzindustrie boomt das "P2P Lending" wie in keinem anderen EU-Land. "Unsere Plattformen haben dabei geholfen, Darlehen in Höhe von 2,6 Milliarden Pfund an Privatpersonen und Firmen in Großbritannien zu vermitteln", sagt Christine Farnish, Vorsitzende der britischen P2P Finance Association (P2PFA) zum Transaktionsvolumen im vergangenen Jahr. Noch 2012 waren es nur 267 Millionen Pfund gewesen.

Dutzende Plattformen haben das Geschäft mit der Kapitalbeschaffung inzwischen weit über das Crowdfunding hinausgetrieben. Werden über Dienste wie Kickstarter Spenden oder Finanzierungen mit Vorkaufsrecht eingeworben, vermitteln Plattformen wie Funding Circle, Zopa oder RateSetter direkte Darlehen oder Unternehmensanteile. Die Wachstumsraten sind beeindruckend: Das P2P Lending an Firmen hat zwischen 2012 und 2014 um 250 Prozent zugelegt, das Equity Crowdfunding, bei dem Anteile verkauft werden, gar um 410 Prozent, wie ein aktueller Report der britischen Innovations-Förderorganisation Netsa zeigt. Im Schnitt werden gut 73000 Pfund von knapp 800 Personen eingeworben. Auch in den USA hat sich das P2P Lending längst etabliert, die Marktführer sind dort Lending Club und Prosper.

Dass die Szene prosperiert, hat mehrere Gründe. Kostengünstige technische Möglichkeiten, um eine Plattform aufzusetzen, treffen auf Verbraucher, die durch den Umgang mit sozialen Netzwerken aufgeschlossener sind für netzbasierte Geschäfte an den Banken vorbei. "Der Boom hat allerdings auch damit zu tun, dass die Banken sich nach der Finanzkrise eher zurückhalten, Kredite an kleine oder junge Firmen zu vergeben", sagt Dorothea Schäfer, Ökonomin und Expertin für alternative Finanzdienstleistungen am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW. "Angebote bis 100000 Euro sind dünn gesät, da hat sich eine Lücke aufgetan."

In die stoßen nun die P2P-Finanzdienstleister. "Anders als Banken haben sie nicht diese enormen Kosten, die ein verzweigtes Filialnetz mit sich bringt, mit Tausenden von Beschäftigten und einer alternden IT-Infrastruktur", sagt Christine Farnish. Sie hält das P2P-Finanzgeschäft für eine disruptive Entwicklung, die den Bankensektor noch aufmischen wird.

Mächtige Bankhäuser wie Goldman Sachs oder die Royal Bank of Scotland sondieren daher längst, wie sie sich an die Großen des P2P Lending anhängen können. Santander UK etwa ist bereits eine Partnerschaft mit Funding Circle eingegangen und schickt Kreditanfragen an die Plattform weiter, die im Gegenzug Finanzprodukte von Santander UK bewirbt.

Trotz jährlicher Wachstumsraten von 100 und mehr Prozent ist jedoch nicht sicher, dass die P2P-Finanzdienstleister die Banken von morgen sind. Einerseits bieten sie Darlehensgebern Zinsen von fünf, sechs Prozent – deutlich mehr, als Geldanlagen im Bankgeschäft derzeit bringen. Geplatzte Kredite können andererseits die neuen Dienste, die allesamt noch vergleichsweise geringe Umsätze machen, schneller ins Straucheln bringen als die großen Player mit ihren Kapitalreserven. "Ein großer Ausfall von Kreditnehmern könnte in der Szene einen Schock auslösen", warnt Dorothea Schäfer.