Raumfahrt: 2021 will hoch hinaus

Die TR-Redaktion nimmt die elf spannendsten Missionen unter die Lupe: Was ist geplant, wie wahrscheinlich ist der Erfolg – und wie absehbar die Bruchlandung?

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(Bild: Photo by Scott Graham on Unsplash)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Neel V. Patel
Inhaltsverzeichnis

Auch im Weltraumsektor lief 2020 nichts wie geplant. Wie fast alle Bereiche wurden die Raumfahrtaktivitäten hart von der Pandemie getroffen. Auf den Start von sieben geplanten Space-Missionen hatten sich Beobachter besonders gefreut, manches lief auch großartig: SpaceX schickte Astronauten ins All, China brachte Mondgestein zurück auf die Erde.

Doch viele andere Missionen wurden nicht umgesetzt: Der Rosalind Franklin Rover und die europäisch-russische Co-Mission wurden auf 2022 verschoben. Auch das SpaceX Starship schaffte es nichts ins All (aber trotzdem ziemlich weit). Alle bestehenden Hoffnungen, dass Artemis 1, die erste Mission im neuen Monderkundungsprogramm der NASA, das Menschen im Laufe des Jahrzehnts zurück auf den Mond bringen will, noch 2020 starten würde, wurden zerschlagen. Denn die meisten Einrichtungen der NASA mussten den Betrieb pandemiebedingt vorerst einstellen.

Und doch: 2021 verspricht ein aufregendes Jahr für die Raumfahrt zu werden. Man darf wohl einiges erwarten: Die Ambitionen der NASA, zum Mond zurückzukehren, werden immer größer. Die private Weltraum-Industrie wächst weiterhin so rasant wie nie. Nachfolgend kommen die elf Missionen, welche die TR-Redaktion am spannendsten findet und die am ehesten neue Meilensteine darstellen könnten. Trotzdem gilt: Für Missionen ins All lässt sich nur wenig vorhersagen und es kann gut sein, dass viele dieser Projekte für Monate oder gar Jahre aufgeschoben werden müssen.

Der Mars wird nicht nur eine, nicht zwei, sondern gleich drei Missionen willkommen heißen dürfen – jede davon von einer anderen Nation gestartet und betrieben. Die Vereinigten Arabischen Emirate schicken den Hope Orbiter, die NASA geht mit dem Perseverance Rover ins Rennen und die Chinesen mit der Tianwen-1-Mission (inkl. Raumsonde, Landemodul und Rover). Alle drei Missionen werden die Umlaufbahn des Mars im Februar erreichen.

Perseverance soll dann die Oberfläche im Laufe des Monats erreichen, gefolgt von Tianwen-1 im April. Hope soll Wissenschaftlern dabei helfen, Fragen zur Atmosphäre zu klären, zum Beispiel warum der Planet Sauerstoff und Wasserstoff abgibt. Tianwen-1 und Perseverance werden sich nach Zeichen von Leben umsehen und versuchen, Aufschlüsse über die Geologie des Mars zu erhalten. Während Mars-Missionen für die NASA mittlerweile zum Standard zählen, handelt es sich um die erste Gelegenheit Chinas und der VAE, einen näheren Blick auf den Planeten zu erhaschen.

Erfolgswahrscheinlichkeit: 9/10. Die Missionen sind gestartet, doch die Reise müssen alle durchhalten und zwei von ihnen die Landung hinkriegen.

SpaceXs Crew Dragon mag eine bemannte Mission sicher auf US-Boden zurückgebracht haben, doch es ist nicht das einzige Raumfahrzeug, von dem die NASA sich erhofft, Astronauten von und zur Internationalen Weltraumstation (ISS) zu schaffen. Boeing hat auch ein Raumschiff namens Starliner im Angebot, dessen unbenannte Mission zur ISS im Dezember 2019 scheiterte.

Die Software des Raumschiffs war gespickt mit Fehlern, einschließlich einem Mangel, der zur vollständigen Zerstörung der Kapsel hätte führen können. Nicht gerade Boeings schillerndster Moment. Doch das Unternehmen wiederholt diese Testmission Ende März, nachdem der gesamte Starliner-Code durchkämmt wurde und das Betriebssystem rigoros überprüft wurde. Läuft alles gut, könnte der Starliner bis zum Jahresende Menschen zur ISS senden.

Erfolgswahrscheinlichkeit: 8/10. Nach allem, was passiert ist, ist nichts von Boeing eine gesicherte Sache.

Das NASA-Artemis-Programm, Nachfolger von Apollo, wird nicht nur aus ein paar schnellen Rundreisen zum Mond bestehen. Artemis soll langfristig auf den Mond zurückkehren, auch private Unternehmen sind daran beteiligt. Ein kommerzieller Mondtransportdienst, der Aufträge annimmt (Commercial Lunar Payload Services, kurz: CLPS) bietet Möglichkeiten für kleine Firmen, die irgendetwas auf dem Mond machen wollen – sei es kleine Nutzlasten mit neuen Raumschiffen einzufliegen, neue Weltraumtechnik Richtung Mond zu testen oder lunare Forschung durchzuführen.

Der Astrobotic Technology Peregrine Lander, der seinen Jungfernflug mit der neuen Vulcan Centaur-Rakete von United Launchs Alliance haben soll, wird eine erste Lieferung von 28 CLPS-Nutzlasten im Juni zum Mond fliegen, 14 davon von der NASA. Läuft das alles gut, handelt es sich um das erste private Raumschiff, das auf dem Mond landet. Intuitive Machines wird seinen Nova-C Lander im Oktober Richtung Mond an Bord einer SpaceX-Falcon-9-Rakete schicken. Insgesamt wird es mindestens fünf NASA-Nutzlast-Flüge zum Mond brauchen, zuzüglich weiterer Lieferungen anderer Gruppen.

Erfolgswahrscheinlichkeit: 6/10. Auf dem Mond zu landen ist für jeden Newcomer schwierig.

Seit Juli 2016 umkreist das NASA-Juno-Raumfahrzeug den Jupiter und liefert die bislang besten Daten zu seiner Atmosphäre, dem Gravitationsfeld, dem Magnetfeld und der Geologie. Juno hat einige überraschende Erkenntnisse über den größten Planeten des Sonnensystems gebracht und auch einige atemberaubende Bilder von Jupiters farbenprächtigen Wolken von oben geboten. Doch die Mission endet am 30. Juli, wenn Juno in dessen Atmosphäre eintauchen und so viele Daten wie möglich sammeln wird, ehe der gewaltige Druck das Raumschiff auseinanderreißt.

In den letzten Monaten gab es Gerüchte, dass die NASA versucht, die Mission bis 2025 zu verlängern, sodass Juno bei einigen der Jupiter-Monde Vorbeiflüge durchführen und sie aus nächster Nähe untersuchen könnte. Vielleicht verzögert sich das brutale Ende also noch um einige Jahre.

Erfolgswahrscheinlichkeit: 10/10. Wenn Junos Mission wie geplant endet, wird es praktisch gesehen schwer, die Zerstörung des eigenen Raumschiffs zu verhindern.

Die letzte Mondmission der Russen war Luna 24 im Jahr 1976. Möglicherweise in Reaktion auf die rasante Entwicklung von NASA Artemis und Chinas Monderkundungsprogramm hat Russland das Luna-Programm wieder mit einer 25. geplanten Mission auferweckt.

Losgehen soll es im Oktober. Luna 25 wird ein Lander sein, der sich zum Südpol des Mondes aufmacht. Die Raumsonde wird eine neue Landetechnik testen, welche Russland für zukünftige robotische Missionen plant. Zusätzlich befördert die Landefähre auch einige wissenschaftliche Werkzeuge zur Untersuchung der Mondoberfläche.

Erfolgswahrscheinlichkeit: 8/10. Russland weiß, wie man ein Raumschiff auf dem Mond platziert. Die manchmal chaotische Weltraumagentur des Landes muss es aber an den Start bringen.

Diese Mission wird SpaceX Crew Dragon nutzen, um eine private Crew für einen Aufenthalt von mindestens acht Tagen zur ISS zu schicken. Es wird die erste private Mission in den Orbit, die erste private Mission auf der ISS und das erste Mal, dass SpaceX private Bürger ins Weltall schickt. Und möglicherweise ist Tom Cruise einer davon.

Erfolgswahrscheinlichkeit: 9/10. Die Mission wird nicht starten, ehe kein Zweifel mehr an ihrer Sicherheit bestehen. Selbst geringe Bedenken und logistische Stolpereien könnten zu einer Verzögerung führen. Wenn es los geht, muss alles klappen.

Ein anderes NASA-Projekt, das immer wieder verschoben und jetzt auf den 31. Oktober terminiert wurde: das James Webb Space Telescope (JWST). Es ist eine der ambitioniertesten Forschungsmissionen der jüngeren Vergangenheit. In vielerlei Hinsicht kann es als Nachfolger des Hubble Space Telescope betrachtet werden, doch mit Fokus auf hochmodernste Infrarot-Beobachtungen aus der Erdumlaufbahn.

Damit hat die Mission ein außergewöhnlich hohes Potenzial, die Atmosphäre entfernter Expoplaneten und Exomonde zu untersuchen. So soll zum Beispiel geschaut werden, ob es biochemische Hinweise auf außerirdisches Leben gibt. Welch passende Unternehmung in der Halloween-Zeit.

Erfolgswahrscheinlichkeit: 3/10. Der Start dieser Mission ist so häufig verschoben worden, dass ein weiteres Mal nun wirklich niemanden mehr überraschen dürfte.

Es scheint soweit zu sein: Orion, die Weltraumkapsel, die die NASA gerade baut und mit der sie zukünftig Menschen vom Mond hin und zurück transportieren will (auch wenn das niemand schon 2024 erwarten sollte), wird erstmals seit 2014 Richtung All starten – und zum ersten Mal auch über die Erdumlaufbahn hinaus. Mit Artemis 1 wird eine unbemannte Orion auf eine 25,5-Tage lange Mission gehen, auf der sie für ein paar Tage auf den Mond und dann (hoffentlich) heil und sicher zurück auf die Erde reisen wird.

Die Mission will Hardware, Software und Lebenserhaltungssysteme der Orion testen. Es wird auch zwei Puppen geben, die in Sitze geschnallt und mit Sensoren ausgestattet werden, die messen, wie viel Strahlung die Crew innerhalb der Kabine ausgesetzt sein könnte. Artemis 1 wird darüber hinaus als erster Start des Space Launch System (SLS) dienen, der stärksten Rakete, die je gebaut wurde. Die Entwicklung des SLS wurde von unzähligen Verspätungen geplagt und es gibt keine Garantie, dass Orion oder SLS bis November fertiggestellt sein werden. Sollte das aber der Fall sein, darf man einen wahnsinnigen Start erwarten.

Erfolgswahrscheinlichkeit: 1/10. Das einzige NASA-Projekt, das mehr Verspätungen auf dem Buckel hat als das JWST, ist SLS. Diese Mission wird so gut wie sicher nicht zum geplanten Zeitpunkt starten.

Die nächste Phase von Chinas Tiangong-Programm ist eine modulare Raumstation im Orbit, die etwa dem Fünftel der Größe der ISS entspricht. China will den ersten Teil 2021 starten – ein zentrales Service-Modul namens Tinahe. Dies wird die erste von elf geplanten Missionen in den nächsten zwei Jahren, die das Ziel haben, eine vollständige Station aufzubauen, die Trios von Taikonaut-Crews mindestens ein Jahrzehnt dienen soll.

Erfolgswahrscheinlichkeit: 5/10. Auch China ist nicht gerade gut darin, Deadlines einzuhalten, aber die chinesische Weltraumagentur hadert mit weniger bürokratischen Unwägbarkeiten als die NASA.

Bei Virgin Orbit stehen die Kunden für 2021 schon Schlange für kleine Nutzlast-Missionen, obwohl das Unternehmen noch keinen erfolgreichen Testflug seines Flagship-Raumschiffs LauncherOne demonstriert hat. Virgin Orbit versucht, wie auch die Schwesterfirma Virgin Galactic, die Mission durch Air Launch Technology zu realisieren, bei der ein Flugzeug eine Rakete hoch in die Luft befördert und sie dann freisetzt. Den Rest des Weges übernimmt die dann selbst. Der erste Versuch eines solchen Starts im letzten Mai wurde aufgrund einer fehlerhaften Treibstoffleitung abgebrochen.

Virgin Orbit wollte den nächsten Versuch im Dezember unternehmen, doch die Corona-Situation hat das nicht zugelassen. Sobald wie möglich wird das Unternehmen wohl versuchen, sein Flugzeug zu starten. Sollte diese Mission wieder missglücken, würde das die gesamte Planung der Firma gefährden.

Erfolgswahrscheinlichkeit: 8/10. Wenn es Virgin Galactic gelingt, Menschen ins All zu befördern, dann wird Virgin Orbit das Gleiche doch sicher mit einem Satelliten schaffen – oder?

Das von Jeff Bezos geführte Weltraumunternehmen hat für 2021 gleich zwei große Missionen auf dem Zettel. So will es Menschen an Bord seiner Trägerrakete New Shephard auf einen suborbitalen Flug schicken. New Shephard ist bisher dreizehnmal gestartet, und der Booster hat seine Wiederverwendbarkeit durch vertikale Landungen nach dem Start demonstriert, ganz ähnlich dem Vorgehen bei der SpaceX Falcon 9. Die Firma hofft, dass die New Shephard Personen für einige Minuten im Rahmen touristischer Reisen nach oben schicken kann – aber nicht sehr weit, versteht sich.

Währenddessen wird ein weiteres, noch größeres Projekt möglicherweise 2021 abheben. Es nennt sich New Glenn und meint eine schwere Trägerrakete, die sogar stärker sein soll als die SpaceX Falcon Heavy. Obwohl von der Hardware noch nicht viel bekannt ist, hat Blue Origin Hoffnung, die New Glenn noch im laufenden Jahr zu starten.

Erfolgswahrscheinlichkeit: 2/10. Das Unternehmen will noch einige New-Shephard-Missionen durchführen, bevor Menschen sich in der Rakete anschnallen dürfen – 2021 wäre hierfür also ein allzu sportliches Ziel. Und die Entwicklung der New Glenn erfolgt sogar noch langsamer. (bsc)