Schräg, aber genial

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"Man sollte immer einen Plan B haben und auch über unkonventionelle Alternativen nachdenken", sagt Wilfried Kraus, im Bundesforschungsministerium für das Thema Energie zuständig. "Man braucht das Unerwartete." Heute hält sich sein Bereich 20 bis 40 Millionen Euro pro Jahr für programmatisch ungebundene Projekte frei – ein Topf, aus dem auch Hochrisiko-Projekte finanziert werden können. Bislang allerdings hing die Mittelvergabe vor allem davon ab, ob ein Forscher mit einer ungewöhnlich klingenden Idee zufällig auf einen Ministeriumsmitarbeiter traf, der sich von dem neuen Ansatz überzeugen ließ.

"Jetzt versuchen wir das systematischer", kündigt Kraus an. "Wir denken daran, eine Art Zukunftswerkstatt einzurichten, in der risikobehaftete Ideen weiterentwickelt werden können." Damit hätten deutsche Wissenschaftler mit ungewöhnlichen Plänen künftig eine neue Anlaufstelle – ein Paradigmenwechsel in der Forschungspolitik. "Die Gesellschaft sollte sogenannten Spinnern nach einer gewissen Plausibilitätsbetrachtung die Möglichkeit geben, völlig ungezwungen und ohne Erfolgsdruck etwas zu untersuchen", meint Karl-Friedrich Ziegahn vom Karlsruhe Institute of Technology (KIT).

Allerdings bergen Strategien wie die der ARPA-E auch ihre Gefahren: "Es kann passieren, dass Scharlatane auf den Zug aufspringen", sagt Ziegahn. So waren zum Beispiel erhebliche Gelder in die kalte Fusion geflossen: 1989 hatten zwei US-Chemiker behauptet, die kontrollierte Kernfusion, wie sie im Sonneninneren bei enormen Temperaturen passiert, elektrochemisch auf dem Labortisch nachgestellt zu haben. Andere Forscherteams konnten die Ergebnisse jedoch nicht wiederholen. Heute gehen die meisten Experten davon aus, dass eine kalte Fusion mit Energiegewinnung nicht funktioniert. Ähnliches gilt für die Suche nach dem Perpetuum mobile: Es hat schon mancher Hobby-Gelehrte seine gesamte Freizeit investiert, um gleich einem Don Quichotte vergeblich gegen elementarste physika-lische Grundgesetze anzureiten. Ziegahn: "Hier kommt es auf fähige Gutachter an, die den kompletten Unsinn herausfiltern und zugleich die wirklich interessanten Ideen erkennen."

Technologische Sprünge durch ungewöhnliche Ideen scheinen also möglich, und zwar auf den unterschiedlichsten Gebieten. Doch ob die Natur prinzipiell neue Methoden zur Energieerzeugung in petto hat, darüber streiten die Fachleute. "Man sieht kein grundsätzlich neues Energiewandlungsprinzip", glaubt Ziegahn. "Das mag ernüchternd klingen, aber es ist einfach so." Ein Statement, das manche Physiker nicht unterzeichnen würden: In ihren Theorien nämlich könnten sich in ferner Zukunft noch schwarze Schwäne entdecken lassen: So halten es einige Theoretiker für möglich, mit großen Teilchen- beschleunigern wie dem LHC am Europäischen Kernforschungszentrum bei Genf winzige schwarze Löcher zu erzeugen. Diese ließen sich zu einem Kraftwerk umfunktionieren, indem man sie mit gewöhnlicher Materie füttert. Dadurch würden sich die schwarzen in weiße Löcher verwandeln und die verschluckte Masse komplett als Licht beziehungsweise Wärme abstrahlen.

Um den Jahresstromverbrauch der Welt zu decken, würde rein rechnerisch ein Lastwagen voller Sand genügen", sagt Professor Horst Stöcker, Direktor des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung in Darmstadt. Noch aber hat der LHC keinerlei Anzeichen für irgendwelche Mini-Löcher entdeckt – weder für schwarze noch für weiße. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob diese Idee überhaupt einen Nährboden hat.

Etwas mehr Aussicht auf Erfolg hat da schon eine andere radikale Idee, entworfen vom Frankfurter Physikprofessor Horst Schmidt-Böcking: Würde man ein spezielles, positiv geladenes Material mit besonders präparierten Elektronen füttern, deren Spin – quasi die Drehachse – in ein und dieselbe Richtung zeigt, könnte es gemäß den Regeln der Quantenphysik extrem viele Elektronen aufnehmen.

Damit käme das Material auf eine rund tausendmal höhere Speicherleistung als ein heutiger Akku. "Mit einer Batterie von der Größe eines Kubikmeters könnte man mit einem Jumbo sechsmal um die Erde fliegen", sagt Schmidt-Böcking. Zwar ist derzeit noch völlig offen, wie sich die Idee technologisch umsetzen ließe. Immerhin aber hielt das Patentamt den Ansatz offenbar für so plausibel, dass sie Schmidt-Böcking ein Patent erteilte. (bsc)