Training nur in der Simulation: So soll eine KI das Fahren lernen

Das Start-up Waabi hat einen radikalen Ansatz gewählt, um autonome Fahrzeuge smart zu machen. Fahrten in der Echtwelt fallen weg.

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(Bild: Waabi)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Will Douglas Heaven
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Autonomes Fahren ist eine langwierige und teure Angelegenheit: Bis Autos wirklich ohne Eingriff des Menschen unterwegs sein können, braucht es hochentwickelte KI und jede Menge Daten. Doch nach jahrelangen Bemühungen und milliardenschweren Investitionen steckt die Technologie immer noch in einer Art Pilotphase fest. Die Unternehmerin Raquel Urtasun glaubt, dass sie das besser machen kann.

2021 verließ Urtasun aus Frustration über das Tempo der Branche den Fahrdienst Uber, wo sie vier Jahre lang die Forschungsabteilung für autonome Autos leitete – und gründete ihr eigenes Unternehmen namens Waabi. "Im Moment sind die meisten Ansätze für selbstfahrende Autos einfach zu langsam, um echte Fortschritte zu machen", sagt Urtasun, die ihre Zeit zwischen ihrer Firma und Forschungsvorhaben an der Universität von Toronto aufteilt. "Wir brauchen einen radikal neuen Ansatz."

Waabi hat nun eine möglich Abkürzung hin zu gut funktionierenden autonomen Fahrzeugen enthüllt. Urtasuns große Idee? Weg mit den Erkundungs- und Datenerfassungsfahrten in der realen Welt, wie sie neben Uber auch Google, Apple und zahlreiche Hersteller aus der Autoindustrie durchführen. In den letzten sechs Monaten hat Waabi als Alternative eine superrealistische virtuelle Umgebung gebaut, die sich Waabi World nennt. Anstatt die KI in realen Fahrzeugen zu trainieren, plant Waabi, diesen Job nahezu vollständig innerhalb der Simulation zu erledigen. Der Plan sieht vor, dass die KI erst in einer allerletzten Runde der Feinabstimmung in echten Fahrzeugen auf realen Straßen getestet wird.

Das Problem ist, dass eine KI nur dann lernen kann, mit dem Chaos auf echten Straßen umzugehen, wenn sie mit allen möglichen Ereignissen konfrontiert wird, denen sie begegnen könnte. Aus diesem Grund haben Unternehmen, die fahrerlose Autos entwickeln, in den letzten zehn Jahren Millionen von Kilometern auf den Straßen der Welt abgespult – samt genauer Messwerterfassung. Nur einige wenige wie etwa Cruise und die Google-Tochter Waymo haben damit begonnen, Fahrzeuge ohne menschliche Fahrer in einer Handvoll ruhiger städtischer Regionen in den USA zu testen. Der Fortschritt bleibt gemächlich. "Warum haben wir keine Ausweitung dieser kleinen Pilotprojekte gesehen? Warum sind die Fahrzeuge noch nicht überall?", fragt sich Urtasun.

Die Forscherin wird in der Branche durchaus als kühn wahrgenommen. Schließlich hat Waabi seine Technik weder auf der Straße getestet noch verfügt das Start-up überhaupt schon über echte Fahrzeuge. Stattdessen sollen die Kosten für die Erprobung der eigenen Software in realen Autos eingespart werden – jedenfalls großteils. Die Fahrer-KI soll so schneller und billiger als bei der Konkurrenz auf die Straße kommen, gar der ganzen Industrie einen Schub geben.

Ganz neu ist der Plan nicht. Fast alle Unternehmen, die autonome Fahrzeuge herstellen, verwenden inzwischen in irgendeiner Form auch Simulationen. Dies beschleunigt die Tests, da die KI einer größeren Bandbreite von Szenarien ausgesetzt wird als im realen Straßenverkehr. Es senkt natürlich die Kosten. Doch die meisten Entwickler kombinieren die Simulation noch mit realen Tests, wobei sie mit ihren Systemen in der Regel zwischen realen und virtuellen Straßen hin- und herwechseln.

Waabi World plant dagegen, den Einsatz von Simulationen auf eine ganz neue Ebene zu heben. Die virtuelle Welt selbst wird von einer eigens entwickelten künstlichen Intelligenz generiert und gesteuert, die sowohl als Fahrlehrer als auch als Regisseur hinter den Kulissen fungiert – sie identifiziert die Schwächen des künstlichen Fahrers und arrangiert dann die virtuelle Umgebung um, damit er herausgefordert wird. In Waabi World lernen außerdem mehrere KI-Fahrer gleichzeitig verschiedene Fähigkeiten, bevor sie zu einer einzigen Intelligenz kombiniert werden. Das alles geschehe ohne Unterbrechung und menschliches Zutun, sagt Urtasun.

Firmen, die fahrerlose Autos anbieten wollen, nutzen Simulationen derzeit vor allem, um zu testen, wie die neuronalen Netze, die die Fahrzeugsteuerung kontrollieren, mit selten vorkommenden Ereignissen umgehen – einem Fahrradkurier etwa, der plötzlich vor ihnen einbiegt, ein Lkw in der Farbe des Himmels, der den Weg versperrt, oder gar ein Huhn, das die Straße überquert. All das dient der Optimierung und Absicherung der Systeme.

Das ist auch notwendig. "Wenn ein Ereignis selten auftritt, braucht man Tausende von Straßenkilometern, um es richtig zu testen", sagt Sid Gandhi, der bei Cruise, einem Unternehmen, das mit der Erprobung komplett autonomer Fahrzeuge auf einer begrenzten Anzahl von Straßen in San Francisco begonnen hat, arbeiet und Spezialist für solche Simulationen ist. Das liegt daran, dass seltene – oder langfristig wirkende – Ereignisse vielleicht nur einmal unter Tausenden Versuchen vorkommen. "Während wir an der Beherrschung dieses Long Tails arbeiten, werden wir uns immer weniger auf reale Tests verlassen", sagt er.

Jedes Mal, wenn Cruise seine Software aktualisiert, führt das Unternehmen Hunderttausende von Simulationen durch, um sie zu testen. Laut Gandhi generiert das Unternehmen Tausende von Szenarien, die auf spezifischen realen Situationen basieren, mit denen die Fahrzeuge zuvor Probleme hatten – und passt die Details an, um eine Reihe möglicher Szenarien abzudecken. Das Unternehmen kann auch reale Kameradaten seiner Fahrzeuge verwenden, um die Simulationen realistischer zu gestalten.

Die Ingenieure können dann beispielsweise die Straßenführung ändern, verschiedene Fahrzeugtypen einsetzen oder die Anzahl der vorhandenen Fußgänger ändern. Schließlich werden die eigenen Algorithmen für selbstfahrende Autos verwendet, um andere Fahrzeuge in der Simulation so zu steuern, dass sie auch realistisch reagieren. Laut Gandhi ist das Testen mit dieser Art von synthetischen Daten 180 Mal schneller – und Millionen von Dollar billiger – als die Verwendung realer Tests. Cruise experimentiert laut Gandhi auch mit virtuellen Nachbildungen anderer US-Städte als San Francisco, um seine selbstfahrende Software auf simulierten Straßen zu testen – lange bevor die echten Autos dort auf die Straße kommen.