Vom Fahren zum Gefahrenwerden. Grüne Welle für Robotaxis auch in Deutschland?

Seite 2: Regulierung zum autonomen Fahren

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Bei einer Einschränkung des Operationsgebiets auf einen "zulässigen Betriebsbereich" (Operational Design Domain) kann es sich um ein Stadtviertel, ein Betriebsgelände oder eine eigene baulich getrennte Fahrspur handeln. Die technische Umsetzung kann beispielsweise über Geofencing erfolgen.

Zusätzlich werden räumliche Einschränkungen für den automatisierten Betrieb vorgesehen. Aus dem Operationsbereich wird "besonders schwieriges Terrain" ausgeschlossen, beispielsweise unbeschrankte Bahnübergänge oder Feldwege.

Operationsgebiet am Beispiel von Waymo in Phoenix (AZ)

(Bild: Susann Massutte)

In seiner Antwort auf eine Anfrage der Autoren konkretisiert das BMVI die möglich Ausgestaltung für einen fahrerlosen Betrieb in sogenannten "Operational Design Domains" (ODD) so: "Sowohl bestimmte Strecken von A nach B als auch vorgegebene Bereiche mit unterschiedlichen Routen [sind] denkbar […], etwa innerhalb eines definierten Stadtviertels."

Die Reaktionen auf den Gesetzentwurf waren unterschiedlich und durchaus überraschend. Kritik kommt erstaunlicherweise von der Autoindustrie: Diese bemängelt gerade den Schwerpunkt auf People Mover. Der Lobbyverband der Automobilindustrie (VDA) kritisiert, der aktuelle Gesetzentwurf müsse die Möglichkeit des automatisierten Fahrens auch für Privatfahrzeuge deutlicher herausstellen.

Cruise Chevy Bolt EV in San Francisco

(Bild: Dllu, CC BY-SA 4.0)

Eine ganz andere Reaktion kommt etwa vom Bundesverband der Verbraucherzentralen: In einer Stellungnahme rät die Organisation davon ab, den privaten Besitz automatisch fahrender Autos zu erlauben. Stattdessen empfehlen sie, "den Anwendungsbereich auf gewerbliche Halter zu beschränken". Haften solle entgegen der Regelung des Verkehrsministeriums zunächst vorrangig der Hersteller, gefolgt von der technischen Aufsicht und dann dem Halter.

Von Seiten der Wissenschaft wird der Entwurf mehrheitlich begrüßt, so beispielsweise von Raúl Rojas, dem Pionier in der Entwicklung automatisiert fahrender Shuttles von der Freien Universität Berlin: "Im Großen und Ganzen finde ich das Gesetz vernünftig, da die Spielregeln für alle Beteiligten geklärt und homogenisiert werden."


(Bild: Michelle Lischke)

Timo Daum ist Dozent und Sachbuchautor. 2019 erschien sein Buch "Das Auto im digitalen Kapitalismus. Wenn Algorithmen und Daten den Verkehr bestimmen". Timo Daum schreibt regelmäßig für de Rubrik Missing Link" auf heise online.

(Bild: David Ausserhofer)

Andreas Knie ist Politikwissenschaftler und leitet zusammen mit Weert Canzler die Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung". Er berät Kommunen und Organisationen zu den Themen Verkehr, Mobilität, Digitalisierung & Nachhaltigkeit.

(Bild: David Ausserhofer)

Weert Canzler leitet zusammen mit Andreas Knie die Forschungsgruppe Digitale Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen sozialwissenschaftliche Verkehrs- und Mobilitätsforschung, Energiepolitik, Innovationsforschung und Technologiepolitik.

Andreas Knie und Weert Canzler sind Preisträger des Bertha-und-Carl-Benz-Preises 2021.


Hermann Winner, Professor von der TU Darmstadt, lobt den Entwurf, insbesondere die Definition der technischen Aufsicht (Fernwartung): "Eine technische Aufsicht für autonomes Fahren ist unabdingbar, und bei dieser behält ein Mensch die Entscheidungsbefugnis für die Fahrt." Und er ergänzt: "Die im Gesetzesentwurf vorgesehenen Aufgaben sind meines Erachtens umfassend genannt."

Professor Markus Maurer von der TU Braunschweig hingegen sieht das Konzept der technischen Aufsicht "fragwürdig", er sieht darüber hinaus Risiken in den Bereichen Cybersicherheit und Datenschutz.

Der Branchenverband der Verkehrsunternehmen in Deutschland sieht den Entwurf eher positiv, betont jedoch, das Problem der technischen Aufsicht werde überbewertet. VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff erklärt, es gebe ausreichend Erfahrung durch den Betrieb von Leitstellen im öffentlichen Verkehr, dort gebe es "bereits sehr gut ausgebildetes Fachpersonal ohne Ingenieursstudium".

Der VDV hatte bereits im Vorfeld Forderungen an den Gesetzgeber formuliert, um "das volle Potenzial des automatisierten und autonomen Fahrens auszuschöpfen", unter anderem durch:

  1. Eine Agilisierung des Genehmigungsverfahrens für autonome Fahrzeuge – von der Einzelfallgenehmigung zur Typgenehmigung,
  2. Die Abschaffung der Pflicht, einen Sicherheitsfahrer an Bord zu haben,
  3. Eine Regulierung der Fernüberwachung durch Schaffung der neuen Rechtsfigur "betrieblich-technische Aufsicht" sowie
  4. Die Ermöglichung eines "Betreuungsschlüssels" (Eins-zu-n-Betreuung), die die Wirtschaftlichkeit im Blick behält.

Inspiriert von den Richtlinien aus Kalifornien ist außerdem eine umfassende Dokumentation durch die Betreiber vorgesehen. Es ist die Rede von einem Betriebshandbuch, das die Betreiber vorlegen müssen. Dort wird die Bedienung, Wartung, Prüfung und Diagnose des Fahrzeugs dokumentiert. Zusätzlich müssen die Betreiber der Fahrzeuge umfangreiche Pflichten erfüllen, beginnend mit einer "Zuverlässigkeitsprüfung des Halters".

Baidu-Fahrzeug

(Bild: Baidu)

Autonome Funktionen müssen alle 90 Tage geprüft werden, heißt es in dem Entwurf. Zusätzlich sind die Betreiber verpflichtet, dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) alle Fälle wie ein "Eingriff in das Fahrzeug von außen", "Fast-Unfall-Szenarien" oder "nicht planmäßiges Wechseln der Fahrspur" zu übermitteln. Gegenüber dem US-amerikanischen Vorbild für eine solche Dokumentations- und Datenübergabepflicht sind es nicht die Bundesländer, sondern das KBA, bei dem diese Informationen zusammenlaufen sollen – in den USA sind es nach wie vor die Bundestaaten. Auch dort gibt es gerade den Versuch einer Koordination in dieser unübersichtlichen Gemengelage.

Interessant dürfte die genaue Umsetzung der geplanten Novelle aus dem BMVI werden. Kommt die Vorlage aus dem Ministerium durch, wäre tatsächlich der Boden bereit, in Deutschland (und demnächst in der EU, so die Hoffnung), automatisierte Flotten sukzessive als neue Option im öffentlichen Verkehr einzuführen.

Eine Punkt-zu-Punkt Anbindung in einem "Hub-and-Spoke"-Format hätte damit die Chance für ein wirkliches "Next Big Thing": Möglich wäre eine hohe Bedienqualität individueller Passagierwünsche mit nur wenigen Fahrzeugen, die emissionsfrei unterwegs sind und wenig Fläche brauchen. Es bleibt aber offen, welcher Industrie– oder Dienstleistungszweig sich dieser neuen Aufgabe widmet. Denn mutmaßlich wird dies weder die Automobilindustrie wollen, noch werden die Betreiber des öffentlichen Verkehrs dazu in der Lage sein.

Geradezu sensationell mutet die Antwort des BMVI auf die Frage an, ob die Novelle Flottenbetreibern wie Waymo regulatorisch Tür und Tor öffnet: Das BMVI schreibt dazu in seiner Antwort auf eine Anfrage der Autoren: "Zu Ihrer Frage, ob es möglich wäre, einen Testbetrieb mit 'Robotaxis' von Unternehmen wie Waymo oder Cruise […] auch in Deutschland zuzulassen, teilen wir mit: Die von Ihnen angesprochenen Anwendungsfälle könnten […] mit den auf Grundlage der entworfenen Regelungen erteilten entsprechenden Genehmigungen sogar im Regelbetrieb eingesetzt werden."

Werden wir also demnächst Robotaxis amerikanischer oder sogar chinesischer Flottenbetreiber in Deutschland per App bestellen können? Im BMVI scheint man das für möglich zu halten.

Im letzten Teil unserer Serie "Vom Fahren zum Gefahrenwerden", der am Freitag, den 14. Mai erscheint, schauen wir uns genauer an, was dies nun alles für die Verkehrswende bedeutet: Können autonome Flotten überhaupt einen Beitrag leisten?

(jk)