Wie die Nord-Stream-Pipelines repariert werden könnten

Seite 2: Reparatur-Möglichkeiten für die Pipelines

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"Wir haben schon Reparaturen in dieser Tiefe durchgeführt, aber dazu muss man das sogenannte Sättigungstauchen verwenden", sagt Olivier Marin, technischer Leiter bei 3X Engineering, der auch die Forschung bei der Firma steuert. Beim Sättigungstauchen, das in der Tiefsee zum Einsatz kommt, bleiben die Taucher in extremen Tiefen in einer speziellen Glocke und durchlaufen nach der Operation eine einzige Dekompression. "Man kann vielleicht 10 Stunden lang tauchen, aber man muss einen Monat lang in einer Überdruckkammer bleiben", sagt er.

Die Reparaturen selbst wären nicht einfach. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, sagt Ribet. Die erste besteht darin, die beschädigten Rohrabschnitte komplett zu ersetzen – das ist allerdings die teuerste Variante. "Man braucht den gleichen Durchmesser, die gleiche Stahlsorte und so weiter", sagt er. Außerdem muss man Schiffskräne vor Ort bringen, die stark genug sind, um die schweren, beschädigten Rohrsegmente aus dem Wasser zu heben und neue in die Tiefe zu bringen.

Die zweite Reparaturmöglichkeit besteht darin, eine Schelle zu installieren, die die beschädigten Rohrabschnitte abdeckt und die gerissenen Stellen im Wesentlichen ausbessert. Mit einem Innendurchmesser von 1,153 Metern würden die Nord-Stream-Pipelines jedoch riesige Schellen sowie die vorübergehende Installation eines Unterwasser-Caissons erfordern, einer wasserdichten Kammer, die den Pipelineabschnitt umschließt, damit die Ingenieure darin arbeiten können.

Marin hält dies für die einfachste Lösung. Er fügt jedoch hinzu, dass es Monate dauern würde, passende Schellen zu beschaffen, die groß genug sind, um die Pipeline zu umschließen. Diese Methode würde auch nicht funktionieren, wenn sich herausstellt, dass die Schäden zu groß sind – denn es ist nicht möglich, Schellen zu bauen, die besonders große Löcher überdecken.

Eine dritte Möglichkeit wäre eine kombinierte Reparatur, bei der die beiden Methoden miteinander kombiniert werden: die am stärksten beschädigten Elemente der Pipeline werden ersetzt und die weniger stark betroffenen mit Schellen versehen. Ribet schlägt eine vierte, möglicherweise weniger realistische Option vor: den Bau und die Installation eines neuen Pipelineabschnitts, der die beschädigten Abschnitte umgehen könnte, die wiederum an Ort und Stelle belassen würden. Russische Analysten weisen auch darauf hin, dass eine der vier Einzelpipelines von Nord Stream – ausgerechnet eine der beiden Nord-Stream-2-Röhren – nicht betroffen ist, sodass diese weiterhin Gas liefern könnte, wenn auch mit geringerem Druck. Gazprom ließ das Gas zunächst aus Sicherheitsgründen ab.

Eine weitere Frage lautet: Sind die Reparaturarbeiten überhaupt mit dem aktuellen Sanktionsregime vereinbar? Das Unternehmen, das die Nord-Stream-1-Pipeline betreibt, die Nord Stream AG, behauptet, ein von der Nord Stream 2 AG getrennt arbeitendes Unternehmen zu sein, das wiederum die Nord-Stream-2-Pipeline betreibt. Letztere Firma unterliegt internationalen Sanktionen, die nach dem Einmarsch in Russland verhängt wurden. Die Sanktionen werden wahrscheinlich die Reparatur der Pipeline verlangsamen, glaubt der russische Minister Zavalny – und meint, dass es dadurch "schwierig" werden könne, Schiffe zu finden, die bereit sind, den Transport der Ausrüstung zu übernehmen.

Ein Sprecher der Nord Stream AG hat auf drei Anfragen von MIT Technology Review, wie das Unternehmen mit den Sanktionen umzugehen gedenkt, hingegen nicht geantwortet. Und selbst wenn die Reparaturen durchgeführt werden könnten, ist es unwahrscheinlich, dass Nord Stream die Gaslieferungen in nächster Zeit wieder aufnehmen kann. Denn ein wichtiger Faktor, der ebenfalls berücksichtigt werden muss, ist die Funktionsfähigkeit der Röhre.

Denn wenn das Gas durch ein Leck entweicht, strömt Wasser ein. Und das führt zu Korrosion. "Salzwasser in der Pipeline ist natürlich nicht gut", sagt Experte van den Beukel. Jetzt, da laut der dänischen Energieagentur kein Gas mehr aus der Pipeline entweicht, könnte versucht werden, die Löcher mit sogenannten Pigs zu stopfen – Geräten zur Pipeline-Inspektion, die eigentlich dazu dienen, die Röhre bei regelmäßigen Wartungen zu reinigen. Je schneller die Pigs zu den betroffenen Bereichen geschickt werden können, desto besser lassen sich die langfristigen Schäden begrenzen.

Wie auch immer die Lösung für Nord Stream 1 und 2 aussehen mag, sie wird schwierig und teuer. Auf die Frage, ob es jemals zuvor ein Unterwasserproblem dieses Ausmaßes gegeben habe, hat Pipeline-Experte van den Beukel eine klare Antwort: "Nein. Wenn man von Sabotage spricht, dann normalerweise an Land und in viel kleinerem Maßstab. Ich kann mich an nichts Vergleichbares erinnern."

(jle)