Wie die Nord-Stream-Pipelines repariert werden könnten

Noch ist nicht klar, wer die russischen Erdgas-Pipelines sabotiert hat. Eine Reparatur ist grundsätzlich möglich, wird aber schwierig und teuer.

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(Bild: Frame Stock Footage / Shutterstock.com)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Chris Stokel-Walker​
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Bis zum Einmarsch Russlands in die Ukraine war die Gaspipeline Nord Stream 1 ein wichtiger Bestandteil der europäischen Energieinfrastruktur. Im vierten Quartal 2021 lieferten die beiden Leitungen 18 Prozent der gesamten EU-Gasimporte. Die Hälfte der russischen Gasimporte nach Europa kam damals über Nord Stream 1 – ein Rekordwert.

Seitdem ist Nord Stream zu einem geopolitischen Spielball geworden. Nord Stream 2, die zweite, parallel zu Nord Stream 1 verlaufende Doppelröhre, durfte trotz Fertigstellung nicht mehr ans Netz gehen – die Bundesregierung verweigerte die Zulassung. Und seit der Ukraine-Invasion nutzte Russland Nord Stream 1 mehr und mehr als Druckmittel gegen die von der EU verhängten Wirtschaftssanktionen.

Im Juli nahm Russland die Pipeline für planmäßige Wartungsarbeiten vom Netz, ohne jedoch die volle Kapazität wiederherzustellen; im August erklärte das staatliche russische Energieunternehmen einen ungeplanten Ausfall. Schließlich kam gar kein Gas mehr. Ende September dann der Schock: Ein Sabotageakt, dessen Urheber noch immer nicht feststeht, verursachte vier Lecks in dem Unterwasserpipelinesystem.

Ist eine Reparatur, falls sie wünschenswert sein sollte, tatsächlich möglich? Das in der Schweiz ansässige Joint Venture hinter Nord Stream, das zu 51 Prozent dem staatlichen russischen Energiekonzern Gazprom gehört, ist sich nicht sicher, ob die Probleme jemals behoben werden können. Der Vorsitzende des parlamentarischen Energieausschusses Russlands, Pawel Zawalny, ist der Meinung, dass die Probleme in sechs Monaten behoben sein könnten – also erst nach dem Winter, in dem die Lieferungen am dringendsten benötigt werden.

Was wir bereits wissen, ist, dass jede Reparaturmission eine noch nie dagewesene Herausforderung für den Öl- und Gassektor bedeutet, die komplexe Robotik und andere einfallsreiche Technik erfordert. Noch wissen wir nicht einmal, wie schlimm die Situation tatsächlich ist. Klar ist bereits, dass die Schäden erheblich sind: Die Explosionen vom 26. September, die vermutlich zu den Pipelinebrüchen geführt haben, erreichten nach Angaben des schwedischen nationalen seismischen Netzes eine Stärke von 2,2 auf der Richterskala. Schwedische und dänische Ermittler, die bei der Untersuchung der Lecks federführend sind, weil sie sich im Seegebiet ihrer Länder ereigneten, haben erklärt, dass hier Explosionen erfolgten, die "mehreren hundert Kilo TNT" entsprechen.

"Es handelt sich um massive Explosionen, die die Pipeline möglicherweise über eine größere Entfernung beschädigt haben, als wir bislang wissen", sagt Jilles van den Beukel, ein unabhängiger Energieanalyst, der 25 Jahre lang für Shell gearbeitet hat – zuletzt als leitender Geowissenschaftler. "Vielleicht befindet sich die Pipeline sogar nicht mehr in ihrer ursprünglichen Position."

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, nannte den Vorfall eine "vorsätzliche Störung der aktiven europäischen Energieinfrastruktur". US-Präsident Joe Biden nannte die Explosionen einen "vorsätzlichen Sabotageakt". Während der Schuldige offensichtlich zu sein scheint, hält ein Sprecher des Kremls die Schuldzuweisung an die Russen hingegen für "vorhersehbar dumm".

Unabhängig davon, wer es getan hat, war es sicherlich Absicht, sagt van der Beukel. "Diese Pipelines brechen normalerweise nicht einfach zusammen", sagt er. Die stählernen Nord-Stream-Röhren sind selbst 4 Zentimeter dick und mit bis zu 11 Zentimeter Beton ummantelt. Jeder der rund 100.000 Abschnitte der Pipeline wiegt 24 Tonnen. "Solche Lecks kommen nur alle 100.000 Jahre vor", sagt der Experte. "Die einzige Möglichkeit, wie so etwas passieren kann, ist Sabotage".

Da die Pipeline in Anbetracht der geopolitischen Lage nicht in Betrieb war, sind die Auswirkungen auf die Umwelt relativ moderat – aber dennoch besorgniserregend. Schätzungen zufolge könnte die aus der Pipeline ausgetretene Methan-Menge zwischen 7,5 Millionen und 14 Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalent verursacht haben, wie das deutsche Umweltbundesamt und dänische Behörden gegenüber Journalisten sagten. Ein Sprecher von Gazprom erklärte auf einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats am 30. September, dass die Organisation davon ausgeht, dass die Pipelines zum Zeitpunkt des Auftretens der Lecks etwa 800 Millionen Kubikmeter Erdgas enthielten, was die Menge des möglicherweise ausgetretenen Gases begrenzt. Erst wenn dies erfolgt ist, kann man Ermittler losschicken und prüfen, was die tatsächliche Situation ist.

Danach beginnt die schwierige Arbeit, die Havarie einzugrenzen und Lösungen zu finden. "Die Experten bewerten dann: Wie ist der Zustand der Leitung? Was sind die Schäden?", sagt Jean-François Ribet von der in Monaco ansässigen Öl- und Gaspipeline-Reparaturfirma 3X Engineering, die bereits Pipelines im Jemen repariert hat, die von Al-Qaida zerstört worden waren. Eine solche Bewertung kann mithilfe eines Inspektionsroboters, eines ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugs oder spezieller Taucher vorgenommen werden.

Die Entsendung von Tauchern ist aufgrund der Tiefe der Pipeline eine Herausforderung: Während die bekannten Lecks offenbar in relativ flachem Wasser – etwa 50 Meter tief – konzentriert sind, liegt der Großteil der Pipeline 80 bis 100 Meter unter Wasser. Und deren gesamte Leitung müsste auf mögliche Schäden untersucht werden.