Augenhöhe statt Abschottung: EU-Exascaler als Schritt zur digitalen Souveränität

Europas IT hinkt hinterher und ist abhängig von den USA, wie kein anderer Wirtschaftszweig. Doch was wäre die Alternative und wie kommt man dort hin?

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(Bild: Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau)

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Von
  • Susanne Nolte

Japan und China haben es vorgemacht, Europa will es auch: Supercomputer, Exascaler, also wirklich große Supercomputer mit Trillionen 64-Bit-Gleitkommaberechnungen pro Sekunde, mit eigenen Prozessoren bauen und betreiben und damit den bisher einzigen relevanten Herstellern von Serverprozessoren, den US-Firmen Intel und AMD, ein Schnippchen schlagen. Der Name spricht für sich: Jupiter, dessen griechisches Pendant Zeus Europa nach Europa brachte.

Ein Kommentar von Susanne Nolte

Susanne Nolte beschäftigt sich mit Servern, Rechenzentren, Storage und Green-IT.

Dass Europa Supercomputing kann, beweisen FZJ, HLRS, Leibniz-Rechenzentrum und Barcelona Supercomputing Center, um nur einige wenige Einrichtungen zu nennen, regelmäßig. Auch das derzeit jüngste und größte Projekt, EuroHPC, muss sich mit LUMI und Leonardo vor niemandem verstecken. Es geht auch nicht um eine reine Prestigefrage oder um die Frage: Wer hat den Größten? Vielmehr geht es um – selbst geschaffene – technische und damit wirtschaftliche Abhängigkeiten, die auch immer eine politische Dimension haben, denn der Abhängige ist jederzeit erpressbar.

Schnell kommt der Einwand, AMD hat früher doch auch in Dresden produziert und Intel baue nun ebenfalls Fabs in Europa. Doch stecken hinter solchen Aussagen grobe Vereinfachungen, mit denen sich Politiker und Unternehmen die Sache schönreden. Den Vogel schossen Marketingvertreter europäischer Systemhäuser ab, die die CPUs gleich "grün" redeten – ob ihres kurzen Wegs von der Dresdener Fab in ihre Server. Die Wahrheit: In Dresden entstanden zwar die Wafer, die die Chips enthielten. Zerlegt und zu CPUs verarbeitet wurden sie aber in den USA – anders als die US-Produkte reisten sie gleich zweimal über den Atlantik.

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Welche Teile des Herstellungsprozesses Intel auch in Europa stattfinden lässt, entscheidend ist dabei, wo das Know-how liegt. Das wird Intel nicht verschenken. Denn eines sind die Amerikaner nicht: naiv. Gelernt haben sie sicher auch aus den Fehlern europäischer Inhaber von Spitzentechnik, allen voran deutscher Autobauer, die ihre Produktion und ihr Know-how nach China verlagerten – unter eklatanter Unterschätzung chinesischer Aufnahmebereitschaft – und sich hinterher die Augen rieben.

Heute nutzt China seine – auch mit großzügiger europäischer Unterstützung – entstandene Wirtschaftsmacht und die daraus resultierenden Abhängigkeiten zum Erhalt seines Machtapparates und erzwingt, dass der Rest der Welt vor etlichen Menschenrechtsverletzungen die Augen verschließt – nicht zuletzt wird China im 2023 Global Slavery Index mit 5,8 Millionen Sklaven geführt. Und abseits der internationalen HPC-Community hat sich das Reich der Mitte bereits zwei, möglicherweise auch schon drei Exascaler zusammengebaut – Herkunft der Hardware teilweise unbekannt, auf jeden Fall chinesisch.

Nun ist Europa kein Einparteienstaat, der ein Wirtschaftssegment per Dekret aus dem Boden stampfen kann. Sicher ist das Zusammenführen von Spitzentechnik und -kompetenz unabdingbar. Doch bedarf es auch einer stabilen und gewachsenen Basis. Dazu zählen: die Stärkung von Forschung und Lehre, mehr Unterstützung für Open Source – ein nicht unwesentlicher Bestandteil des HPC – und ein breiterer Markt. Denn dass der Auftrag zum Bau von Jupiter nahezu zwangsläufig an Atos ging, einerseits der einzige europäische Systembauer mit Top500-Erfahrung, andererseits nicht immer berühmt für erfolgreiche Großprojekte, stimmt nachdenklich.

Doch wohin auch immer die europäischen Anstrengungen führen werden, eines ist gewiss: Systeme und Prozessoren mit rein europäischem Know-how, gefertigt ausschließlich in Europa, wird es nicht geben; dafür sind die weltweiten Wirtschaftsverflechtungen ebenso wie die modernen Entwicklungs- und Produktionsprozesse zu komplex. Aber Augenhöhe darf es schon sein.

Bei diesem Kommentar handelt es sich um das Editorial der iX 11/2023, die am 18. Oktober im heise Shop und am 20. Oktober am Kiosk erscheint.

(sun)