Edit Policy: Verschärfungen bei der Urheberrechtsreform in Deutschland

Seite 2: Verschärfung auf Druck von Unterhaltungsindustrie und großen Plattformen

Inhaltsverzeichnis

Auch für kleine Plattformen, die nicht über dieselben technischen Möglichkeiten wie Google oder Facebook verfügen, schafft der neue Vorschlag große Probleme. De facto bedeutet eine solche Verpflichtung zur Echtzeitprüfung von Uploads eine Art Vorzensur, die nur die modernsten Uploadfilter überhaupt leisten können. Gerade kleinere Plattformen setzen oft auf eine Kombination von weitaus weniger kostspieligen Maßnahmen wie Stichwortsuchen und vereinzelten menschlichen Überprüfungen von verdächtigen Inhalten, die aber keinesfalls bereits während des Uploads ausgeführt werden können. Die Verpflichtung zur Echtzeitprüfung ignoriert auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Artikel 17, wonach Plattformen nicht zum Einsatz einer bestimmten technischen Lösung gezwungen werden dürfen, wenn dieser im Vergleich zu ihren Einnahmen zu kostspielig ist.

An der Möglichkeit des Pre-Flagging hatten sowohl Rechteinhaber wie der Bundesverband Musikindustrie als auch große Online-Plattformen wie Google oder Facebook in seltener Einigkeit Kritik geübt. Sie hatten zu bedenken gegeben, das Pre-Flagging werde zur missbräuchlichen Kennzeichnung illegaler Inhalte führen und Nutzer:innen überfordern. Auf diese Kritik ist das Justizministerium nun offensichtlich eingegangen und hat das Pre-Flagging aus dem Umsetzungsvorschlag gestrichen – für die Nutzungsrechte ein großer Rückschritt. Wenn sich Musikindustrie und große Plattformen hier durchsetzen, könnte das sogar zu einer weiteren Marktkonzentration bei Online-Plattformen führen, weil die wenigen Technologiekonzerne, die über die technischen Möglichkeiten zur Echtzeitprüfung verfügen, nicht gezwungen sind, ihre proprietären Lösungen mit kleineren Wettbewerbern zu teilen. Die Uploadfilter drohen so zur Markteintrittshürde zu werden – ein Effekt von Artikel 17, vor dem Expert:innen wie der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber schon früh gewarnt haben.

Der vom SPD-geführten Justizministerium verantwortete Gesetzesentwurf befindet sich nun in der Ressortabstimmung, ehe er dem Bundeskabinett zur Absegnung vorgelegt und anschließend in den Bundestag eingebracht wird. Wie schon beim Leistungsschutzrecht scheint das CDU-geführte Wirtschaftsministerium nun auch beim Thema Uploadfilter auf Verschärfungen zu drängen, die Nutzungsrechte weiter einschränken könnten. Dort lobbyieren Zeitungsverlage gegen jegliche neue Ausnahmen vom Urheberrecht, die für die Wahrung der Meinungs- und Informationsfreiheit sowie für den Interessenausgleich zwischen den von der Urheberrechtsreform betroffenen Gruppen jedoch zwingend notwendig sind.

Um Nutzungsrechte zu wahren, schreibt bereits Artikel 17 selbst Ausnahmen für Karikaturen, Parodien und Pastiche zwingend vor, was Interessenverbände von Verlagen und Musikindustrie nicht daran gehindert hat, in der öffentlichen Konsultation über den Gesetzesentwurf gegen eben diese Ausnahmen Sturm zu laufen. In Reaktion auf diesen Druck schlägt das Justizministerium nun eine europaweit einmalige Vergütungspflicht für die Pastiche-Ausnahme vor – Plattformen müssten also für die Nutzung von Memes, Remixes usw. eine Vergütung zahlen.

Insbesondere die geplante vergütungspflichtige Ausnahme für geringfügige Nutzungen von Schnipseln aus Video-, Audio- und Textmaterial für nichtkommerzielle Zwecke ist der Unterhaltungsindustrie ein Dorn im Auge. Diese Ausnahme stellt aber gleichzeitig den einzigen echten Fortschritt des Gesetzesentwurfs für Nutzer:innen dar. Denn Karikatur, Parodie und Pastiche decken bei Weitem nicht alle Aspekte der Alltagskultur im Netz ab. Mit der neuen Ausnahme für geringfügige Nutzungen würden beispielsweise Reaction Gifs legalisiert: wenige Sekunden umfassende Ausschnitte aus Filmen oder TV-Serien, die mit Sicherheit keinen wirtschaftlichen Schaden anrichten, aber dennoch streng genommen gegen das Urheberrecht verstoßen. Bislang hat sich daran kaum jemand gestört und Reaction Gifs sind ein zentraler Bestandteil der Onlinekommunikation. Spätestens wenn eine automatisierte Durchsetzung des Urheberrechts durch Uploadfilter droht, ist es jedoch wichtig, diese Alltagskultur aus der rechtlichen Grauzone zu holen. Mit der Vergütungspflicht der geplanten Ausnahme für geringfügige Nutzungen sind außerdem auch die Interessen der Rechteinhaber geschützt.

Im Referentenentwurf hält das Justizministerium an der geplanten Ausnahme für geringfügige Nutzungen fest. Angesichts des intensiven Lobbying der Unterhaltungsindustrie könnte aber auch diese einzige Errungenschaft der Nutzer:innen in der Urheberrechtsreform ins Wanken geraten. Es wäre skandalös, wenn ausgerechnet die CDU auf die Streichung dieser Ausnahme pocht, denn die Idee für die pauschale Vergütung solcher geringfügigen Nutzungen stammt von der CDU selbst. Kurz vor der Verabschiedung der umstrittenen EU-Urheberrechtsrichtlinie im letzten Jahr hatte die CDU in einem Positionspapier versprochen, auf Uploadfilter zu verzichten und stattdessen Alltagsnutzungen im Netz pauschal zu vergüten. Vom Verzicht auf Uploadfilter ist in dem aktuellen Gesetzesentwurf nichts mehr zu merken. Nun wird sich zeigen, ob die CDU sogar so weit geht, ihren eigenen Vorschlag zur Legalisierung von Alltagskultur im Netz zu torpedieren.

Die Texte der Kolumne "Edit Policy" stehen unter der Lizenz CC BY 4.0.

(bme)