Interview: "Apollo hat unseren Blick auf das Sonnensystem massiv verändert"

Seite 2: Kartierung des Mondes teilweise besser als die der Erde

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Sind nun neue Mondmissionen nötig?

(RJ): Die Apollo-Proben stammen ausschließlich von der Vorderseite aus einem Streifen um den Äquator. Wir hätten daher gerne Proben von der Rückseite und am besten noch aus dem Mondinneren, speziell dem Mantel. Allerdings können wir nicht einfach zum Mond fliegen und dort ein Loch bohren. Die Mondkruste ist auf der Vorderseite etwa 40 bis 60 Kilometer dick, auf der Rückseite sogar 100 Kilometer. In der Nähe des Südpols befindet sich aber ein riesiges Einschlagsbecken mit rund 2000 Kilometer Durchmesser. Dort ist der Mond von einem großen Objekt so tief getroffen worden, dass Material aus dem Mantel aufgestiegen sein könnte. Daher würde man von dort gerne Proben holen. Die Schwierigkeit besteht allerdings darin, dass sich das Südpol-Aitken genannte Becken auf der Mondrückseite befindet.

Wie könnte das gelingen?

(RJ): Die chinesische Mission Chang‘e-4 ist immerhin schon dort gelandet und hat einen Rover abgesetzt. Die Robotik ist mittlerweile so weit, dass sie dort auch Proben nehmen und zur Erde schicken kann. Ich bin sicher, dass China das versuchen wird.

Was hat sich in den letzten zehn Jahren bei der Erkundung des Mondes getan?

(RJ): Die NASA-Mission Lunar Reconnaissance-Orbiter hat seit 2009 fast den ganzen Mond dreidimensional kartiert, wobei die Topographie in unserem Institut in Kooperation mit den amerikanischen Kollegen gerechnet wurde. Die Kartierung des Mondes ist mittlerweile besser als die des Mars, manchmal sogar besser als für einige Gebiete auf der Erde. Zusammen mit dem Lunar Reconnaissance-Orbiter wurde außerdem die Sonde LCROSS gestartet, um ihre Raketenstufe in einen permanenten Schattenbereich am Südpol abzuwerfen.

Wozu?

(RJ): Ziel war es, die Auswurfwolke zu analysieren. Dabei ist es gelungen, Wasser und volatile Gase wie Ammoniak, CO2 und sogar einfache organische Verbindungen nachzuweisen. Diese liegen in tiefen Einschlagskratern am Südpol, wo permanenter Schatten ist, in gefrorener Form vor. Das Wasser stammt vermutlich hauptsächlich von Kometeneinschlägen. Die indische Mondsonde Chandrayaan 1 hat aber auch Wasser außerhalb der Pole gefunden. Es hat sich gezeigt, dass auf dem Mond spontan Wasser entstehen kann, und zwar über Protonen aus dem Sonnenwind und dem Sauerstoff in Mondgesteinen. Ein Teil dieser Wassermoleküle könnte zu den Polen migrieren und sich in den Schattenregionen sammeln.

Falls es zu einer bemannten Mission käme, wie wichtig wäre der wissenschaftliche Aspekt?

(RJ): Sehr wichtig. Man darf nicht vergessen, dass auch das Apollo-Programm eine sehr große wissenschaftliche Bedeutung bekommen hat. Zuerst mag es um das Wettrennen mit der Sowjetunion gegangen sein, aber die USA haben das wissenschaftliche Potenzial sofort erkannt. Auch wenn die Apollo-Astronauten fast ausschließlich Testpiloten waren, mussten sie geologische Kurse besuchen und lernen, wie man Feldarbeit betreibt, insbesondere in Einschlagskratern auf der Erde. Zukünftige Mondexpeditionen werden sicherlich maßgeblich von Wissenschaftlern durchgeführt.

Heutige Astronauten sind da ganz anders aufgestellt.

(RJ): Alexander Gerst ist Geophysiker und Matthias Maurer Materialwissenschaftler. Eine bemannte Mission auf der Rückseite wäre allerdings beliebig schwierig. Ein Problem dabei ist, dass auf dem Mond zwei Wochen Tag herrscht und dann zwei Wochen Nacht. Astronauten können dort also nur maximal 14 Tage arbeiten. Roboter lassen sich für die extrem kalte Mondnacht in Hibernation versetzen und später wieder aufwecken.

Ist der Mond eigentlich heute noch aktiv?

(RJ): Es gibt immer noch Mondbeben. Das ließ sich mit den Seismometern feststellen, welche die Apollo-Astronauten auf dem Mond installiert haben. Die Beben sind teilweise durch Meteoriteneinschläge verursacht, stammen aber auch aus der Mantel-Kern-Grenze. Über diesen Bereich wissen wir allerdings noch viel zu wenig, da es bislang seismische Messungen nur auf der Vorderseite gab. Wenn man aber etwas über den Kern erfahren möchte, muss man von beiden Seiten messen. Daher ist für die Geophysiker eines der vorrangigen Ziele, seismische Stationen auf der Vorder- und der Rückseite des Mondes aufzubauen.

Gibt es neue Erkenntnisse über die Wechselwirkungen zwischen Erde und Mond?

(RJ): In den letzten Jahren ist die Frage, welche Bedeutung der Mond für die Erde hat, immer mehr in den Fokus gerückt. Entscheidend ist, dass die Erde ohne den Mond viel schneller rotieren würde. Dies hätte immense Auswirkungen auf das Leben bzw. seine Entwicklung, weil auch die Atmosphäre viel dynamischer wäre. Manche Forscher gehen davon aus, dass selbst die Plattentektonik durch den Mond getriggert sein könnte. Dieser hebt ja nicht nur Wasser, sondern bewegt auch die Erdkruste um etwa zehn Meter auf und ab. Ohne Plattentektonik würden die Wärmeverteilung und Dynamik im Erdinneren anders aussehen. Eventuell gäbe es dann gar kein Erdmagnetfeld, das für das Leben absolut notwendig ist, weil es die Partikelstrahlung von der Sonne abhält. Ohne die CO2-Freisetzung durch die Plattentektonik wäre die Erde deutlich kälter geblieben, und die globale Jahresdurchschnittstemperatur läge unter null Grad.

Der Mond ist also lebenswichtig?

(RJ): Auch für die Entstehung des Lebens. In ihrer Frühzeit rotierte die Erde schneller, und daher war der Mond näher bei der Erde und die Gezeiten fielen stärker aus. Heute schwappt das Wasser in den Gezeiten etwa zehn bis zwanzig Kilometer hin und her, früher müssen das hunderte von Kilometern gewesen sein. Das könnte das Gestein viel stärker verwittern und das Wasser effektiver mit Nährstoffen anreichern und so Idealvoraussetzungen für die Entstehung von Leben schaffen. Der Mond stabilisiert auch die Rotationsachse der Erde, die ansonsten zwischen Sonne und Jupiter hin und hergezogen würde und wie beim Mars umkippen könnte. Dann würden abwechselnd die Pole oder der Äquator ausfrieren. Das komplexe Zusammenwirken von Erde und Mond sorgt sehr wahrscheinlich dafür, dass die Erde so ein perfektes Raumschiff geworden ist.

Alexander Pawlak. "Apollo hat unseren Blick auf das Sonnensystem massiv verändert.“ Physik Journal. 2019. 7. 26 ff. Copyright Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reproduced with permission.
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(mho)