Kommentar: Ende der Debatte, Balkonkraftwerke sind der Standard

Bundesregierung und VDE kommen bei überfälligen Reformen für Balkonkraftwerke nur langsam voran und weiterhin wollen Lobbyisten sie verhindern. Das ist unnötig.

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Von
  • Jan Mahn
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Guerilla-PV, so hießen Balkonkraftwerke in technisch interessierten Kreisen früher. Und es hatte ja auch etwas subversives, statt große PV-Anlagen auf Dächern zu bauen, einfach Komponenten im Internet oder bei Großhändlern zu beschaffen und ein oder zwei Module am Balkon der Mietwohnung zu installieren. Der Wechselrichter wird als negativer Verbraucher per Stecker angestöpselt und vermeidet fortan Strombezug. Das war anfangs ganz klar was für Technikfans, die nach und nach Verwandte und Freunde infizierten und Sammelbestellungen organisierten.

Ein Kommentar von Jan Mahn

Jan Mahn ist seit 2017 bei der c't. Er beschäftigt sich mit den Tücken von Windows- und Linux-Servern, Docker und dem vernetztem Zuhause.

Im Jahr 2023 schien es dann endlich und endgültig vorbei mit dem Guerilllatum, Balkonkraftwerke hatte mittlerweile jeder Discounter schon mal im Sortiment. Massenmarkt statt Nische, im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur haben sich Stand heute über 369.000 Guerillakämpfer mit einer installierten Leistung von 240 Megawatt verewigt. Und selbst die Bundesregierung beschäftigte sich plötzlich mit den Kleinstkraftwerken, kam damit sogar einer überaus erfolgreichen Petition zuvor, und kündigte im Rahmen des Solarpakets I diverse Erleichterungen für Inbetriebnahme und Betrieb an. Bei uns in der Redaktion keimte zarte Hoffnung auf, Kommentare wie diesen nie wieder schreiben zu müssen. Vorbei schienen die zähen Diskussionen über Steckerformen, über Vorbehalte und Unverständnis in Politik und bei anderen Akteuren.

Doch die Nachrichten, die uns in der zurückliegenden Woche erreichten, fordern eine Einordung und manches Argument eine Erwiderung. Zunächst war da die Meldung, dass "der VDE" Entscheidungen im Änderungsprozess bei einschlägigen Normen getroffen habe. Der Verband plant ebenfalls seit 2023, die maximale Wechselrichterleistung von 600 auf 800 zu erhöhen. Dagegen gibt es wenig schlagkräftige Argumente, vor allem da auch andere europäische Länder die Grenze bei 800 Watt ansetzen. Mikrowechselrichter mit 600 Watt waren bisher für den deutschen Markt angefertigte Extrabratwürste und später per Software begrenzte 800-Watt-Geräte.

Bei dieser Anpassung bleibt dem Normungsgremium auch keine Wahl mehr, denn die 800 Watt sind spätestens seit Ankündigung der Änderungen durch die Bundesregierung Stand der Technik – die deutschen Kunden haben im vorauseilenden Gehorsam bereits fleißig die 800-Watt-Modelle gekauft. Laut den diese Woche durchgesickerten internen Dokumenten plane das Normungsgremium jedoch eine Begrenzung der maximalen Modulleistung auf 960 Watt, später erklärte eine Sprecherin des Verbands gegenüber heise online, dass das keinesfalls beschlossene Sache sei. Wichtig für das Verständnis ist zunächst, dass der VDE als Verband und seine Normungsgremien nicht automatisch einer Meinung sein müssen. Allzu bedeutend ist die konkrete Leistungsgrenze für Module ohnehin nicht, und auch die ursprünglich von der Regierung vorgeschlagene Grenze von 2000 Watt ist gar nicht nötig: Es kann sich einerseits durchaus lohnen, mehr als zwei 400-Watt-Module an einen 800-Watt-Wechselrichter anzuklemmen, damit er häufiger die vollen 800 Watt erreicht. Mehr als 960 Watt dürfen es in der Praxis schon sein, mehrere Kilowatt sind mit den elektrischen Parametern der Wechselrichter aber gar nicht möglich und auch nicht wirtschaftlich. Wer das Maximum rausholen will, wird das unabhängig von einer Obergrenze in der Norm tun.

Viel relevanter ist, dass es im politischen Berlin noch immer nennenswerte Aktivitäten gibt, um die geplanten Änderungen im Solarpaket vielleicht doch noch auf den letzten Metern zu torpedieren. Konkret geht es beim letzten verbliebenen Streitpunkt um § 20 Abs. 2 des Wohneigentumsgesetzes (WEG). Der regelt aktuell schon privilegierte bauliche Veränderungen an Mehrfamilienhäusern, bei denen die Wohnungsteigentümer nicht widersprechen können. Wallboxen und Rampen für Rollstuhlfahrer gehören schon dazu, Balkonkraftwerke sollen nach Willen der Regierung ebenfalls in die Liste aufgenommen werden. Dann müsste der Mieter nicht mehr auf einen Mehrheitsbeschluss auf der nächsten Wohneigentümerversammlung warten.

Dieser Vorstoß passt den organisierten Vermietern keineswegs. Und das machten sie auch in der Sitzung des Rechtsausschusses im Bundestag am 19. Februar deutlich. In der Stellungnahme heben die Vertreter des Vermietervereinigung Haus & Grund wenig überraschend das "äußere Erscheinungsbild" der Immobilien hervor, fallen in ihrer Vorrede gleichzeitig durch eine fragwürdige Einschätzung der Wirtschaftlichkeit von Balkonkraftwerken auf: "Haus & Grund Deutschland bezweifelt, dass Steckersolargeräte eine wirtschaftlich sinnvolle Investition für einzelne Eigentümer darstellen. Bislang ist der Ertrag der Geräte gering, sodass eine große finanzielle Einsparung vor dem Hintergrund der hohen Anschaffungskosten nicht zu erwarten ist." Allein steht Haus & Grund damit nicht, die Einschätzung wirkt wie eine Kopie aus einem Dokument von 2023.

Auch der Deutsche Anwaltverein, genauer sein Ausschuss für Miet- und Wohnrecht, hat eine starke Meinung und diese schon im Juli 2023 zu Papier gebracht – und die ist von keinerlei Faktenkenntnis getrübt. Balkonkraftwerke als privilegierte Maßnahme im WEG aufzunehmen, das lehnt man dort ab. In der Stellungnahme wird diffus eine Brandgefahr ins Spiel gebracht, ohne weitere sachdienliche Hinweise zur Ergreifung einer diese Behauptung unterstützenden Datenquelle zu liefern. Dann erwähnen die ausgewiesenen Bauphysikexperten ominöse Probleme mit Styropordichtsystemen ohne unnötig ins Detail zu gehen, bevor es wörtlich heißt: "Letztlich sind die Kostenersparnisse und die Produktion von Energie bei den handelsüblichen Geräten minimal. Im Regelfall lässt sich mit einer solchen Anlage gerade einmal ein Kühlschrank betreiben. Dies rechtfertigt es kaum, solche gravierenden Änderungen vorzunehmen."

Auch dieser Aspekt der Debatte ist nicht überraschend, die Stellungnahme wohl aber entlarvend: Ein Gremium aus Spitzenverdienern hält 600 bis 800 selbsterzeugte Kilowattstunden im Jahr, von denen problemlos die Hälfte selbst verbraucht wird und somit eingesparte Stromkosten von rund 150 Euro also für minimale Kostenersparnisse. Alles eine Frage der Relation. Das sagt weniger über Balkonkraftwerke aus und viel über den Bezug dieser Personengruppe zur Lebenswirklichkeit von Durchschnittsverdienern in Mietwohnungen aus. Haus & Grund schließt sich dieser Sichtweise an, statt selbst einen Taschenrechner zu zücken. Immerhin: Ganz widersetzen wolle man sich der Privilegisierung nicht, so heißt es in der Stellungnahme. Stattdessen befürworte man die Einschränkung, die CDU und CSU in ihrem Gegenvorschlag machen: Demnach solle das Privileg nur an selbstgenutzten Balkonen und Terrassen gelten – ein Schelm, wer in diesem Vorschlag offensichtliche Hintertüren für lange Diskussionen mit dem Vermieter erahnt.

Weder Haus & Grund, noch die CDU/CSU oder der Deutsche Anwaltverein dürften Chancen haben, die Änderungen noch zu verhindern. Diese Macht hat nur eine Kleinpartei mit Regierungsbeteiligung: Die Verzögerungen beim Solarpaket, so heißt es von Parlamentariern von SPD und Grünen, seien – und das wird jetzt niemanden überraschen – zur Abwechslung der FDP zu verdanken. Der geht es gar nicht um die Änderungen am WEG, sondern an Fördergeld für die deutsche Photovoltaikindustrie. Weil die Teil des Solarpakets werden sollen, verzögert sie jetzt das gesamte Paket, frühestens Mitte März ist mit einem Beschluss im Bundestag zu rechnen.

Wie zur Bestätigung, dass dieser Kommentar nötig ist, erreichte uns diese Woche noch ein Brief, den die Firma Vonovia an einen Mieter verschickt hatte. Der war auf die irrwitzige Idee gekommen, bei Vonovia, dem Endgegner der deutschen Wohnungswirtschaft, ein Balkonkraftwerk zu beantragen. Als Antwort bekam er eine Checkliste und einen technischen Leitfaden, bei dessen Lektüre wir den Eindruck nicht loswerden konnten, dass man bei Vonovia versehentlich die Unterlagen zur Errichtung eines Blockheizkraftwerks oder einer 150-Kilowatt-PV-Anlage auf dem Dach verschickt hatte. Jedoch, es war von Anlagen mit maximal 600 Watt die Rede. Grundsätzlich, so der Tenor des Schriftstücks, unterstütze Vonovia natürlich erneuerbare Energie, allzu leicht wolle man es den Mietern aber auch nicht machen. Allein schon wegen der (elektrischen) Sicherheit. Zunächst sollte der Mieter eine "Vorprüfung eines Elektrofachbetriebs" nachweisen. Auch installieren dürfe die gesamte Anlage nur ein nicht näher spezifizierter "Fachbetrieb", der bei der Gelegenheit auch einen schriftlichen Nachweis über die Berechnung von Windlasten beilegen müsse. Währenddessen könnte der Elektriker schon mal die Wieland-Steckdose montieren, wohlgemerkt ohne dabei Kabel zu verlegen oder Bohrlöcher in der Wandfarbe der Fassade zu hinterlassen.

Noch Fragen? Deutlicher und umständlicher kann man die generelle Ablehnung von Balkonkraftwerken nicht ausformulieren, die in der sogenannten Wohnungswirtschaft vorherrscht.

Gleichzeitig muss dieselbe Wohnungswirtschaft aufpassen, dass niemand ihre Argumente, die auf den vermeintlichen Sicherheitsrisiken und Gefahren begründen, gegen sie einsetzt. Diese Unternehmen profitieren aktuell von einer ungeheuer vermieterfreundlichen und sachlich nicht mehr zu erklärenden Gesetzeslage und Rechtsprechung, die 2008 in einem Urteil des BGH ihren Höhepunkt fand. Damals klagte ein Mieter gegen seinen Vermieter, weil mutmaßlich ein Kurzschluss in einer veralteten elektrischen Anlage einen Brand verursacht hatte. Der BGH entschied am Ende (Aktenzeichen VIII ZR 321/07): "Der Vermieter ist nicht verpflichtet, ohne besonderen Anlass eine regelmäßige Generalinspektion der Elektroleitungen und Elektrogeräte in den Wohnungen seiner Mieter vorzunehmen." Im konkreten Fall ging es nur um knapp 2000 Euro, aber die höchstrichterliche Signalwirkung dieses Urteils hält bis heute an: Wohnungen sind vermutlich die einzige Sache, die man in einem elektrotechnisch desaströsen Zustand vermieten kann, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen. Alte Elektrik hat in Deutschland erstmal Bestandsschutz. Anfang 2023 schätzte ein Berliner Elektriker gegenüber dem RBB, dass 25 Prozent aller Anlagen in der Stadt dringend sanierungsbedürftig seien.

Ich hätte da einen konstruktiven Gegenvorschlag für die Politik, damit jene Immobilienbranche, die sich – wie das große Interesse für Balkonkraftwerke ja zeigt – schwer für die elektrische Betriebssicherheit in Mietwohnungen interessiert, mal zum Handeln animiert wird: Ab 2025 müssen, so die Forderung, elektrische Anlagen bei Neuvermietungen immer auf dem aktuellen technischen Stand sein und aktuelle Normen einhalten. Vermieter müssen dann vorm Vermieten nicht nur einen Energieausweis vorlegen, sondern auch ein Dokument vom Elektrofachbetrieb, das genau das bescheinigt. Vorher kann ebenjener Fachbetrieb sich im Mietobjekt austoben, unterdimensionierte Leitungen austauschen, die dringend gebotenen RCDs (ugs. FI-Schutzschalter) einbauen und Zähler- und Sicherungsschränke auf den aktuellen Stand bringen. Das wird teuer, aber ist eine dringend nötige Investition. Schluss mit dem unsäglichen Zustand, dass schrottreife und potenziell lebensgefährliche Uraltanlagen bis heute Bestandsschutz haben. Schluss mit Aluleitungen, zwei Schraubsicherungen für eine ganze Wohnung und stoffummantelten Leitern aus der Vorkriegszeit. Der VDE könnte dann zusätzlich seinen Beitrag leisten und eine separat abgesicherte Einspeisesteckdose auf Balkonen zur Installation eines Balkonkraftwerks schlicht zur Norm erklären. Das würde so manche Diskussion mit Vermietern ungemein abkürzen.

(jam)