Missing Link: Predictive Policing – die Kunst, Verbrechen vorherzusagen

Seite 2: Voraussetzungen für Predictive Policing

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Perseveranz: Täter halten an einem bestimmten Deliktbereich und Modus Operandi fest. Aus dem 15. Jahrhundert datieren die frühesten Aufzeichnungen über Delinquenten, die ihre Tat nach stets dem gleichen Muster wiederholen. Im Jahr 1912 schrieb der Kriminalbeamte Robert Heindl das Buch "Der Berufsverbrecher" und verwendete hier diese Beobachtung zum ersten Mal in einem kriminalistischen/kriminologischen Kontext und bezeichnete sie als Perseveranz. Aus dieser Perseveranzhypothese schloss schon Heindl, und andere nach ihm, dass ein polizeiliches Meldesystem bei der Aufklärung von Straftaten helfen könnte. Empirisch allerdings, so kritische Kriminologen, zeigt sich keine durchgehende Perseveranz, sondern eher ein temporäres Festhalten an bestimmten Delikten und Arbeitsweisen.

Near Repeat: Bei einer Straftat in einem Gebiet steigt die Wahrscheinlichkeit für Folgetaten. Diese Beobachtung passt vor allem auf Wohnungseinbrüche. Dem liegt die These zugrunde, dass bestimmte Tätertypen überdurchschnittlich häufig nach spezifischen Wiederholungsmustern vorgehen, die sich aus der (statistisch erhobenen) Vergangenheit in die Zukunft fortschreiben lassen. Auch sie setzt voraus, dass Einbrecher rational handeln.

Hot Spots oder Kriminalitätsbrennpunkte sind Orte, an denen dauerhaft besonders viele oder ähnliche Delikte verübt werden. Die Methode der Kriminalitätsbekämpfung durch eine Konzentration auf Hot Spots geht auf den israelisch-amerikanischen Soziologen David Weisburd zurück. Auch sie setzt voraus, dass Kriminelle rational handeln. Mit Präventionskonzepten wie technischer Videoüberwachung, formeller und informeller Überwachung, sowie städtebaulichen Maßnahmen wird eine gewisse Verdrängung von Kriminalität angenommen, aber teilweise zerstreut sie sich auch bloß.

Risk Terrain Modeling: Hierbei handelt es sich um eine Methode, um mithilfe von Techniken aus Geoinformationssystemen die Beziehung von Verbrechen und Umgebungsfaktoren zu untersuchen. Man geht also davon aus, dass es eine Beziehung zwischen Umgebung und Verbrechen gibt. Und man nutzt Informationen, die nichts mit Verbrechen zu tun haben, Stichwort Big Data.

Das ist typisch sozialwissenschaftlich: Anders als in Bereichen wie Mathematik kann man hier normalerweise keine Beweise führen und die Voraussetzungen beruhen auf Erfahrungen, für die man sich Begründungen überlegt hat. Man muss aber bereit sein, sie immer wieder in Frage zu stellen und überprüfen zu lassen.

In der kleinen Anfrage der Linken an die Bundesregierung ging es um die Definition von Predictive Policing, die es 2015 noch nicht so wirklich gab. Das traf auch auf das Wissen über die Wirksamkeit zu: "Eine zielgerichtete Auswertung einschlägiger kriminologischer Ansätze und Theorien im Kontext Predictive Policing habe bislang noch nicht stattgefunden […] Das Bundeskriminalamt plane entsprechende Auswertungen durchzuführen. Schlussfolgerungen auf Basis der aktuellen Erkenntnisse wären verfrüht." Seitdem war wenig Zeit für die Auswertung dieser neuen Arbeitsweise.

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Zwischen Computer-Forensik und "Minority Report" bewegt sich die Polizei mit den Versuchen, Verbrechen vorherzusagen. Erfahrungen aus Praxis und Wissenschaft.

Eine Erfolgskontrolle von Predictive Policing ist ohnehin schwierig, und das liegt nicht nur an der Eigenart sozialwissenschaftlichen Arbeitens, sondern auch in der Natur des Predictive Policing selber. Wenn wahrscheinlich ist, dass irgendwo ein Einbruch stattfindet, dann geht die Polizei dort Streife. Wenn dann nichts passiert – was heißt das? Dass der Einbrecher sowieso nicht einbrechen wollte? Dass er von der Polizei vertrieben wurde? Und wenn er einbricht und ertappt wird, hatte die Software recht? Oder einfach so? Wie will man zwischen Kausalzusammenhang und zufälligem Zusammentreffen unterscheiden?

Die in Deutschland bislang umfassendste wissenschaftliche Evaluation kommt vom Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht. Dort hat Dominik Gerstner im Auftrag des Stuttgarter LKA das Predictive-Policing-Projekt in Baden-Württemberg evaluiert. Er tat dies unter erschwerten Umständen, denn der Evaluationszeitraum dauerte bloß sechs Monate, es gab nur zwei Pilotgebiete, nämlich die Polizeipräsidien Stuttgart und Karlsruhe, und auf ein experimentelles Design wurde verzichtet. Vorerst ist er skeptisch. "Der wichtigste Schluss ist, dass kriminalitätsmindernde Effekte von Predictive Policing im Pilotprojekt P4 wahrscheinlich nur in einem moderaten Bereich liegen und allein durch dieses Instrument die Fallzahlen nicht deutlich reduziert werden können." Der Autor fasste die Ergebnisse bei einem Vortrag zugespitzt zusammen: Bestimmte Arten von Kriminalität können "zu einem gewissen Grad vorhergesagt werden", aber das sei "nicht so einfach, wie oft dargestellt". Das Programm PRECOBS könne als "praxistauglich" eingestuft werden, vor allem bei hoher Fallbelastung, aber im "ländlichen Raum mit wenigen Fällen sei da ein nur sehr geringer Nutzen". Und ist Predictive Policing eine wirksame Bekämpfung der Kriminalität? Vielleicht ein bisschen…

Ähnlich in Nordrhein-Westfalen, wo von Februar 2015 bis Dezember 2017 das Projekt SKALA durchgeführt wurde. Dort ging es nicht nur um Wohnungseinbruchdiebstahl, sondern auch um Einbruchdiebstähle aus Gewerbeobjekten und um Kraftfahrzeugdelikte. Zunächst hatten die Projektteilnehmer unabhängig vom eigenen Einsatz allgemein über Predictive Policing recherchiert. Es heißt in der Kurzfassung des Evaluationsberichtes: "Zu Beginn der Evaluation wurde eine Recherche in der einschlägigen deutschen und internationalen Literatur zum Stichwort Predictive Policing durchgeführt. Ziel war es, Hinweise zur Durchführung der Evaluation zu gewinnen und zu eruieren, welche Befunde zu diesem Thema vorliegen. […] zusammenfassend kann konstatiert werden, dass verlässliche Ergebnisse im quantitativen Bereich nicht zu erwarten waren. Alle Versuche, Effekte von Maßnahmen in Gebieten zu ermitteln, für die eine Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer bestimmten Art von Kriminalität vorhergesagt worden war, zeigten, dass es – wenn überhaupt – lediglich vorsichtige Hinweise auf Wirkungen gab. Zusammenhänge zwischen den Befunden und den Prognosen ließen sich grundsätzlich nur in einem interpretatorischen Rahmen feststellen, empirisch war eine solche Kausalbeziehung nicht herstellbar." Und so sah es auch im eigenen Versuch in Nordrhein-Westfalen aus: "Es liegen keine belastbaren statistischen Ergebnisse vor, die auf eine Wirkung von SKALA – im Sinne eines Zusammenhangs von Maßnahmen und den darauf folgenden Ereignissen (z. B. Festnahmen, Verhinderung von WED) – hindeuten." Allerdings muss man berücksichtigen: Die Zeit war kurz, und SKALA ist ein präventives Projekt, das gerade nicht auf wahrnehmbare Effekte ausgerichtet ist.

Ähnlich äußern sich die Wissenschaftler in einer Auswertung des Einsatzes von Predictive Policing in Österreich: "Die Erfahrungen des Projekts zeigten jedoch auch, dass die Erwartungen an Softwaresysteme zur Kriminalitätsprognose nicht zu hoch geschraubt werden dürfen."