Pro & Contra: Ist eine Aufspaltung der Deutschen Bahn sinnvoll?

Die Ampel-Koalition diskutiert über eine endgültige Aufspaltung der Bahn. Ist die Trennung von Schienennetz und Bahnbetrieb wirklich eine gute Idee?

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(Bild: fotogru/Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
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Aus den Koalitionsverhandlungen drang nach draußen, dass Grüne und FDP das Schienennetz und den Betrieb der Eisenbahnen voneinander trennen wollen. Derzeit gehören Gleise und Weichen zwar einem eigenständigen Unternehmen, der DB Netz AG, aber das ist eine hundertprozentige Tochter der deutschen Bahn. Die Technology Review-Redakteure Gregor Honsel und Wolfgang Stieler diskutieren, ob eine Herauslösung der Netze eine gute Idee wäre.

Es wird oft so getan, als bedeute eine Trennung von Schienennetz und Betrieb das große Gottseibeiuns: Ausverkauf des Tafelsilbers! Profitgier! Neoliberalismus!

Dabei bedeutet eine Herauslösung des Schienennetzes aus dem Bahn-Konzern keineswegs eine hemmungslose Privatisierung mit all ihren möglichen Kollateralschäden. Im Gegenteil: Das Netz ließe sich dadurch in staatliche Obhut überführen. Die wäre das genaue Gegenteil einer Profitmaximierung auf Kosten der Substanz, wie sie derzeit betrieben wird. Im Moment fährt die Bahn nämlich "auf Verschleiß", wie der Bundesrechnungshof moniert. Die Ursache dafür sind falsche Anreize: Die Unterhaltung der Schienen, Brücken und Weichen muss die Deutsche Bahn selber bezahlen, den Neubau eines maroden Bauwerks finanziert der Bund. Volkswirtschaftlich gesehen ist das Unfug, betriebswirtschaftlich rechnet es sich offenbar. Entsprechend heruntergeritten ist die Substanz, trotz hoher Kosten für die Steuerzahler. Das muss sich ändern.

Ein Kommentar von Gregor Honsel

Gregor Honsel ist seit 2006 TR-Redakteur. Er glaubt, dass viele komplexe Probleme einfache, leichtverständliche, aber falsche Lösungen haben.

Die Konsequenz daraus sollte aber nicht lauten, die gesamte Privatisierung der Bahn wieder zurückzudrehen – hin zu einem monolithischen Staatskonzern, der alles unter seiner Kontrolle hat. Auf Ebene der Infrastruktur macht Wettbewerb keinen Sinn, auf Ebene des Bahnbetriebs aber durchaus. Also gilt es, beides zu trennen. Über eine eigene Netzgesellschaft könnte der Staat seiner Aufgabe der Daseinsvorsorge gerecht werden und dafür sorgen, dass das System vernünftig gepflegt wird. Beim Straßennetz funktioniert das ja auch – für neue Umgehungsstraßen scheint jedenfalls immer genug Geld da zu sein. Bei dieser Gelegenheit könnte der Staat auch gleich Straßenmaut und Trassenpreise aneinander angleichen und so für mehr Fairness zwischen den Verkehrsträgern sorgen.

Ähnliches gilt auch für Ausbau des Netzes. Im derzeitigen Modell bestimme der Kosten-Nutzen-Faktor, ob eine Strecke gebaut werde oder nicht, schreibt die Verkehrsrundschau. "Das ist der entscheidende Grund, warum es Sinn macht, das zu trennen", zitiert sie Karl-Peter Naumann, den Ehrenvorsitzenden des Fahrgastverbands "Pro Bahn".

Eine gemeinnützige Netzgesellschaft würde auch die Grundlage legen für einen diskriminierungsfreien Wettbewerb beim Fernverkehr, wie es ihm im Regionalverkehr schon längst gibt. Ich persönliche konnte dadurch noch keinen Qualitätsverlust feststellen, eher im Gegenteil. Warum das Prinzip nicht auch auf den Fernverkehr übertragen, wo die Deutsche Bahn noch ein Beinahe-Monopol hält?

Dass dies automatisch zu Lohndumping, einer zersplitterten Tarifstruktur und was nicht noch alles führen würde, halte ich für einen Mythos. Schließlich kann man Betreibern zur Auflage machen, Tariflohn zu zahlen und ihre Tickets über ein einheitliches Portal anzubieten, wenn sie das deutsche Netz nutzen möchten. Vorbild könnten die Niederlande sein: Dort gibt es mehrere private Betreibergesellschaften, aber trotzdem kann man überall mit der gleichen Chipkarte zahlen.

"Gerade die [Länder], in denen der Verkehr sehr erfolgreich ist, haben eine getrennte Struktur, und von Privatisierung ist da also nicht die Rede. Das heißt, man kann diese Gesellschaften durchaus beide im Staatsbesitz belassen, aber trotzdem als getrennte Organisationen führen und eine getrennte Finanzierung haben“, sagte der Verkehrsökonom Christian Böttger gegenüber dem Deutschlandfunk. So mache etwa Italien "im Fernverkehr einiges richtig, da gibt es richtigen Wettbewerb, was dazu geführt hat, dass die Qualität besser geworden ist und die Preise auch gesunken sind."

Auch die neoliberaler Umtriebe sicherlich unverdächtige Frankfurter Rundschau schreibt über Italien: "Wie ist dem zweithöchst verschuldeten Land der Eurozone gelungen, was in Deutschland – trotz einer ganz ähnlichen Ausgangslage im Schienenverkehr – weiterhin in ferner Zukunft zu liegen scheint? Die Antwort lässt sich denkbar kurz fassen: Wettbewerb."

Es ist befremdlich, im Jahr 2021 noch darauf zu beharren, dass ein riesiger Staatsmonopolist die Lösung für irgendetwas sein sollte. Sehnt sich noch irgendjemand nach der Zeit zurück, als man nur die Wahl hatte zwischen Deutscher Bundespost und Deutscher Bundespost, wenn man einen Telefonanschluss haben wollte? Oder als der Strom zwangsweise von einem bestimmten Stadtwerk oder Energiekonzern bezogen werden musste? Sowohl die freie Wahl des Providers als auch die des Stromversorgers sind Errungenschaften, die ich nur ungern missen möchte. Beides wurde nur möglich durch die Trennung von Infrastruktur und Dienstleistung. Warum sollte es beim Schienennetz anders sein?

(Gregor Honsel)