Die EWG lässt grüßen

In der Gerüchteküche brodelt es rund um Also/Actebis. Heise-resale-Autor Wolfgang Kühn kommentiert die Megafusion und Szenarien der weiteren Entwicklung.

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Von
  • Wolfgang Kühn
Inhaltsverzeichnis

Wolfgang Kühn, freier Journalist und Branchenkenner

Ja, es gibt Gerüchte. Ja, es gibt viele Gerüchte um den neuen Distributionsmulti Also/Actebis. Und so ganz unangenehm sind den beiden Grossisten die Gerüchte nicht. Denn das, was in den diversen Küchen brodelt, darüber haben die Baumeister des Zusammenschlusses so ganz nebenbei das ein oder andere Wort bereits fallen lassen. Keine Schlüsselworte, wohl aber, wie das eben so nebenbei mal passiert, Hinweise. Andeutungen also, die mit dem Zusammenkitten der Actebis-Gruppe aus der Hansestadt im westfälischen Soest und der Also AG aus dem idyllischen Hergiswil am Vierwaldstättersee in eine ganz bestimmte Richtung weisen: Also/Actebis würden wohl nicht lange zu zweit bleiben wollen. Ein dritter Distributor könnte das Glück der beiden vervollständigen und sie noch mehr als europäischen Großdistributor festigen.

Nur, wer sollte das sein? Wer macht aus der Zweisamkeit einen flotten Dreier? Schließlich will man stark sein in Europa. Den Platzhirschen die Stirn bieten. An Ingram zumindest kann sich das Pärchen Also/Actebis bereits reiben. Gerade mal 5 Prozent beträgt die Differenz beim Umsatz. Und beim Faktor Präsenz auf der europäischen Landkarte bewegen sich Ingram und Also/Actebis künftig gleichauf. Jeder dieser Multis ist in zwölf Staaten vertreten.

Und doch, für Also/Actebis zeigt die Landkarte noch zwei große weiße Flächen: Das sind Großbritannien sowie Südeuropa. Die iberische Halbinsel und der Apenninen-Stiefel, das könnte passen. Wenn, ja wenn Esprinet mitspielt. Der italienische Distributor ist in seinem Land die Nummer eins, in Spanien die Nummer drei und europaweit mit einem Umsatz von gut 2,1 Milliarden Euro die Nummer sechs. Das wären mit Also/Actebis mehr als 8,5 Milliarden Euro. Und was ebenfalls passen würde: Man kennt sich bereits.

Nicht aus der Ferne. Ganz im Gegenteil. Man lag schon mal gemeinsam unter einer Decke. Sechs Jahre lang, von 2002 bis 2008 tummelten sich unter anderem Also und Esprinet unter dieser Decke, die das große Signet EWG trug: European Wholesale Group steht dafür. Mit genau dem gleichen Zweck, den sich das Also- und Actebis-Management mit ihren Finanziers Schindler und Droege für den künftig gemeinsamen Weg auf die Fahne geschrieben haben: Ein großes europäisches Distributionsunternehmen zu schaffen, das den beiden amerikanischen Konzernen Paroli bieten und sie überrunden kann. Und – so das hehre Ziel – zur Nummer eins in Europa wird. Nüchtern betrachtet würde dies nach derzeitigen Zahlen ein Umsatzvolumen von mehr als 9,1 Milliarden Euro bedeuten. Denn knapp darunter bewegt sich der Broadliner Tech Data, der in 19 Staaten Präsenz zeigt.

Ein EWG-Remake durch die Hintertür. Warum nicht. Denn Esprinet bringt nicht nur die Standortdominanz in Südeuropa mit, sondern auch 200 Herstellerverträge. Doch dieses Gerücht hat auch seine Haken. Also und Actebis müssen sich jetzt erst einmal sortieren, ordnen und zusammenfinden. Oder wie Damian Sicking schon so treffend feststellte: Nur wenn der Zusammenschluss nicht allein für die Shareholder, sondern auch für Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter sinnvoll ist, "besteht eine realistische Chance, dass die Fusion dauerhaft erfolgreich sein wird".

Ach ja, sollte Esprinet vielleicht doch keine Lust auf eine Fortsetzung der EWG unter anderen Bedingungen haben, die Gerüchteküche kennt noch jemanden: Westcoast. Dem Distributor aus Großbritannien wurde seinerzeit Interesse an der Übernahme von Actebis nachgesagt. Mit den Briten lag Also zwar nicht so lange unter der EWG-Decke, aber immerhin auch ein paar Jahre. Dann müsste allerdings der neue Multi vorläufig auf Südeuropa verzichten, dürfte sich dafür aber bei Fish & Chips auf der britischen Insel breitmachen. Wie auch immer: der Stallgeruch ist da, und die EWG lässt grüßen! (map)