Reform der Netzverwaltung: "Könnte Krieg ums Internet geben"
ICANN-Vorstand Wolfgang Kleinwächter hat mit drastischen Worten vor einem Scheitern der geplanten Übergabe der US-Aufsicht über zentrale Teile der Internetverwaltung an die internationale Gemeinschaft gewarnt.
Sollte es dieses Jahr nichts werden mit dem angekündigten Rückzug der US-Regierung aus der Verantwortung über zentrale Teile der Internet-Infrastruktur, "könnten wir einen neuen Krieg kriegen um das Internet" bekommen. Mit diesen Worte plädierte ICANN-Vorstand Wolfgang Kleinwächter auf der Konferenz Domain Pulse am Freitag in Berlin dafür, die geplante Übergabe der Aufsicht über die Internet Assigned Numbers Authority (IANA) in neue Hände bald zu vollziehen.
USA ziehen sich zurĂĽck
Derzeit segnet die US-Behörde NTIA Entscheidungen der IANA rund um die Rootzonen des Internets noch ab. Auf internationalen Druck hin will Washington aber nur noch bis September 2015 als formelle Prüfinstanz fungieren. Bedingung ist, dass die künftige Kontrolle nicht durch eine andere Regierung ausgeübt wird und alle Interessensvertreter gemäß dem Multi-Stakeholder-Modell beteiligt werden.
Die IANA-Funktion sei zwar eine rein technische und notarielle, aber "mit hoher Symbolkraft" aufgeladen, erklärte Kleinwächter. Wenn die Übergabe der Aufsicht nicht bis spätestens Ende des Jahres gelinge, munitioniere dies Regierungen, die dem Multi-Stakeholder-Ansatz skeptisch gegenüberstehen. Diese würden dann behaupten, dass "zehn Jahre Diskussion" nichts gebracht hätten und einen Regierungsrat bei der Uno für die Netzverwaltung fordern. Ein solcher werde die Auseinandersetzungen nur verschärfen und allen Beteiligten "nur Schaden" zufügen.
NetMundial
Parallel warb der Netzpolitik-Professor an der Universität Aarhus für die "NetMundial-Initiative" (NMI), die den Prozess der gleichnamigen Konferenz in Brasilien im vorigen Jahr fortsetzen und erweitern soll. Eine UN-Arbeitsgruppe sei bei 500 Themen gelandet, "die irgendwie mit der Internetregulierung zusammenhängen", erläuterte Kleinwächter. Diese reichten von den Bereichen Sicherheit und Wirtschaft über Menschenrechte einschließlich Meinungsfreiheit und Datenschutz bis hin zu technologischen Innovationen und Herausforderungen wie Big Data oder biometrischen Anwendungen.
Für all diese Probleme kann nach Ansicht des Experten nicht das "an der langen Leine der Vereinten Nationen hängende" Internet Governance Forum (IGF) zuständig sein. Überdies beschränke das UN-Mandat das IGF auf eine reine Debattenplattform ohne Entscheidungsmacht. Es fehle so eine Verteilstation, die "wie Root-Server im Domain Name System funktionieren" und die Lösung einzelner Herausforderungen an spezielle, ergebnisorientierte Multi-Stakeholder-Gruppen verweise. Auf diese Lücke ziele die NMI, die im Wesentlichen weiter von der ICANN und Brasilien vorangetrieben werde.
Positives Signal
Die Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann erinnerte daran, dass die Zivilgesellschaft mit dem Resultat der eigentlichen NetMundial-Konferenz nicht einverstanden gewesen sei, da sie eine klare Linie gegen anlasslose Massenüberwachung nicht in den Text bekommen habe. Thomas Rickert, Leiter einer ICANN-Community-Arbeitsgruppe, werte das in Brasilien verabschiedete Schlussdokument dagegen als Signal, dass nach den Snowden-Enthüllungen alle Regierungen an einen Tisch zurückgekommen seien und sich zum Multi-Stakeholder-Modell bekannt hätten.
Der Grundstein für den Dialog bleibe das IGF, mit der NetMundial-Initiative könne man aber an der Umsetzung dortiger Diskussionen arbeiten, meinte Thomas Schneider, der für die Schweiz im ICANN-Regierungsbeirat sitzt. Zum IANA-Übergang betonte der Eidgenosse: "Wenn wir das Laufgitter wegnehmen, muss sichergestellt sein, dass ICANN als ganzes im öffentlichen Interesse fungiert." Dass die Dacheinrichtung weiter eine private US-Organisation mit Sitz in Kalifornien bleiben solle, stelle für andere Länder eine "gewisse Herausforderung" dar.
Unverständlich schien Jörg Schweiger von der Registrierungsstelle Denic die Diskussion über das Koppeln des IANA-Transfers an eine umfassende ICANN-Reform. Damit wollten sich höchstens Interessensvertreter eine Bühne verschaffen, die für sich selbst mehr Gewicht bei der Netzregulierung wünschten. Das Internet sei groß geworden, "weil wir Probleme mit 'rough consensus' gelöst haben". Wenn man mit dieser Form der Entscheidungsfindung nicht mehr weiterkomme, müsse das IGF weiterentwickelt werden. Sonst träten unweigerlich Vorschläge wie die NMI dazu. (vbr)