Abgeordnete fordern Konsequenzen aus Spitzelaffären

Im Hinblick auf Vorgänge bei der Telekom haben die Grünen die Aufarbeitung des "größten deutschen Datenschutzskandals in der Privatwirtschaft" gefordert und dabei Zustimmung aus anderen Fraktionen erhalten.

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Die Bespitzelungsaffären bei der Deutschen Telekom und anderen Unternehmen wie dem Discounter Lidl beschäftigen auch den Bundestag. Abgeordnete zeigten sich am gestrigen Donnerstagabend entsetzt über die Ausmaße der Überwachung von Mitarbeitern und Kunden bei Unternehmen: "Ich habe es bis heute nicht für möglich gehalten, dass wir in der Privatwirtschaft so einen Super-GAU erleben, wie ihn die derzeit noch laufende Telekom-Affäre offenbart", erklärte die Innenexpertin der Grünen, Silke Stokar. Es sei unglaublich, dass ein deutsches Unternehmen Grundrechte wie das Recht auf Pressefreiheit, Betätigung von Gewerkschaften und informationelle Selbstbestimmung dermaßen mit den Füßen trete.

Stokar forderte am Rand einer Debatte über zwei Anträge der Grünen über die Verbesserung der Rechte von Beschäftigten bei Discountern (PDF-Datei) sowie zur Stärkung des Datenschutzes am Arbeitsplatz (PDF-Datei) eine rasche Aufarbeitung des größten deutschen Datenschutzskandals in der Privatwirtschaft, der politische und gesetzliche Folgen sowie Konsequenzen für die Verantwortlichen haben müsse. Das Datenschutzaudit-Gesetz müsse jetzt genauso schnell kommen wie klare gesetzliche Regelungen für einen verbesserten Arbeitnehmerdatenschutz. Gegen ein verlässliches staatlich kontrolliertes Gütesiegel dürfe es keine Widerstände mehr geben.

Noch einmal deutlich machte Stokar zudem, welche Gefahren die Grünen in der verdachtsunabhängigen Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten sehen: Der Telekom-Skandal habe deutlich gemacht, dass die Frage, wer, wann, wie lange, von welchem Ort und mit wem telefoniere, von einer hohen politischen Brisanz sein kann. "Ich möchte nicht, dass ehemalige Geheimdienstler, die eine Wirtschaftsdetektei gründen und heute in der Sicherheitszentrale der Telekom sitzen, meine Daten auf einem schwarzen Datenmarkt verkaufen und in der Lage sind, zu analysieren, welcher Politiker Kontakt mit welchem Journalisten hat und welcher Gewerkschafter Kontakt mit Wirtschaftsverbänden oder auch mit Journalisten hat." Die Vorratsdatenspeicherung sei der "Beginn von Korruption, Missbrauch und politischer Erpressung".

Paul Lehrieder von der CSU bezeichnete es ebenfalls als unerträglich, wenn sich Privatunternehmen das Recht herausnähmen, "die Daten von Mitarbeitern auf brauchbare Hinweise auf womöglich missliebiges Verhalten zu durchforsten". Überwachungsmethoden dieser Art "sind unwürdig und mit unserem Rechtsstaat nicht vereinbar". Die Anregungen der Grünen für enge Grenzen für die Datenerhebung und eine Stärkung der Persönlichkeitsrechte abhängig Beschäftigter wollte er aber nicht aufgreifen, da sie über das Ziel hinausschössen. Beim Schutz gegen unrechtmäßige Überwachung würden die Grundsätze des allgemeinen Datenschutzes und des Arbeitnehmerdatenschutzes bereits greifen. Zudem werde erst die Aufklärung der Vorkommnisse zeigen, ob die bestehenden Regelungen "in den Datenschutzgesetzen und im Strafgesetzbuch ausreichen".

Bei Heinrich Kolb (FDP) erweckten die in letzter Zeit aufgedeckten Fälle den Eindruck, "dass Datenschutz ein Bürgerrecht zweiter Klasse ist" und Missbräuche oft nicht mehr als solche definiert würden. Hier gelte es, Abstumpfungstendenzen entgegenzutreten. "Wir brauchen dringend eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über den Stellenwert des Datenschutzes." Die Liberalen würden zudem bei ihrer strikten Ablehnung der von der großen Koalition eingeführten Vorratsdatenspeicherung bleiben. Das Bundesdatenschutzgesetz müsse novelliert werden, "auch was die informationelle Selbstbestimmung in Arbeitsverhältnissen angeht". Für Kolbs Fraktionschef Guido Westerwelle sind die Bespitzelungen bei der Telekom schlicht "kriminell" und müssen bestraft werden. Es zeige sich, wie wichtig Datenschutz sei und dass er unbedingt aufgewertet werden müsse, sagte der FDP-Parteichef.

An die Gedankenpolizei aus George Orwells Big-Brother-Klassiker "1984" fühlte sich Anette Kramme von der SPD-Fraktion angesichts der jüngsten Überwachungstendenzen bei Firmen erinnert. Was in Discountern stattgefunden habe, sei eine Leistungs- und Verhaltenskontrolle. Den Grünen warf sie aber vor, sich mit ihren Anträgen zu sehr auf den Lebensmittelhandel zu konzentrieren. "Was wir brauchen, ist eine weitergehende Regelung", forderte Kramme unter Verweis auf andere Bespitzelungsfälle etwa bei IKEA oder Burger King.

Nicht mehr überrascht zeigte sich die Sozialdemokratin von den Enthüllungen bei der Telekom. Die Politik könne nur erwarten, dass solche Konzerne "wieder zurück zu Seriosität und Ehrenhaftigkeit finden". Überlegenswert seien die Anstöße der Grünen zur einfacheren Gründung von Betriebsräten, während eine Verschärfung der Strafvorschriften fehl am Platz sei. Generell liege das Grundproblem in der Gesetzesanwendung, nicht im Erlass neuer Vorschriften. Sabine Zimmermann betonte als Gewerkschaftlerin im Namen der Linken: "Wir brauchen Gesetze, die die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärken."

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(Stefan Krempl) / (vbr)