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Bitcoin-Programmierer müssen vielleicht die Blockchain manipulieren

Daniel AJ Sokolov
Güldene Münzue mit Bitcoin-Logo steht auf einem Holztisch

(Bild: interestingworks/Shutterstock.com)

Craig Wright behauptet, Bitcoin-Erfinder "Satoshi Nakamoto" zu sein. Jetzt verklagt er Programmierer, damit sie den Blockchain-Code ändern. Nicht aussichtslos!

Können freiwillige Open-Source-Programmierer gezwungen werden, die Blockchain zu manipulieren, um rechtmäßigen Eigentümern verlorene Bitcoins [1] zurückzubringen? Schon möglich, sagt ein Berufungsgericht in London ([2023] EWCA Civ 83, [2023] WLR(D) 62) und schickt den Fall zurück an die erste Instanz. Die Auswirkungen auf Open Source im Allgemeinen und Blockchains im Speziellen wären enorm.

Anlass für die Entscheidung des Berufungsgerichts für England und Wales ist eine Klage des australischen Computerwissenschaftlers Craig Wright. Wright lebt in England und ist vor allem für seine nicht bewiesene Behauptung bekannt, Bitcoin unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto erfunden [2] zu haben. Das spielt im aktuellen Verfahren aber keine Rolle.

Hier sagt Wright, seine Firma Tulip Trading Ltd sei rechtmäßiger Eigentümer von Bitcoins im Millionenwert (4 Millionen US-Dollar im April 2021). Diese Bitcoin seien in zwei Wallets gespeichert. Leider hätten unbekannte Hacker jene passwortgesicherten Dateien gestohlen, in denen die privaten Schlüssel der Wallets gespeichert sind. Die Datendiebe haben die Schlüssel mangels Passwörtern bislang wohl nicht auslesen können; doch er, Wright, komme ohne die Schlüssel auch nicht an seine Kryptomünzen. Sie liegen unverändert in den beiden Wallets.

Wrights Begehr: Der Sourcecode vier verschiedener Bitcoin-Blockchains sei zu ändern. Durch entsprechende Umprogrammierung könnten seine Bitcoin entweder einem neuen Wallet zugeordnet oder aber neue Schlüssel für seine Wallets erzeugt werden. Denn schlussendlich beruhe die Funktionsweise der Blockchains nur auf Software. Um diese Programmänderung zu bewirken, hat Wright fünfzehn Programmierer sowie den schweizerischen Verein Bitcoin Association for BSV verklagt.

Diese Leute haben Passwörter für jene Github-Konten, mit denen Sourcecode für die Bitcoin-Blockchains BSV, BTC, BCH (Bitcoin Cash) [3] beziehungsweise BCH ABC (Ecash) [4] verwaltet werden. Die auf dem Sourcecode fußenden Programme validieren die Transaktionen der jeweiligen Blockchain. Änderungen am Sourcecode gibt es [5] immer wieder, beispielsweise um Bugs zu beseitigen. Daran beteiligen sich viel mehr Programmierer, aber nur die Passwortinhaber der jeweiligen Github-Konten können neuen Code tatsächlich einpflegen. Damit haben sie die faktische Macht, zu entscheiden, was ein Bug ist, der korrigiert werden soll, und was nicht. Bei Updates wird nie die Zustimmung aller möglichen Betroffenen eingeholt.

Juristisch behauptet Wright, dass die Inhaber der Github-Passwörter ihm durch Treuhandschaft (fiduciary duty) und darauf aufbauend auch deliktsrechtlich (duty in tort) in der Schuld stehen. Treuhänder sind nach englischem Recht verpflichtet, ausdrücklich im Interesse des Treugebers zu agieren. Da er, Wright, der rechtmäßige Eigentümer der nämlichen Bitcoins sei, seien jene, die die Github-Passwörter kennen, rechtlich verpflichtet, ihm die Kontrolle über sein Eigentum zurückzuverschaffen.

Die Bitcoin-Blockchains sind gemeinsam genutzte, öffentliche Buchungssysteme; deren Transaktionen werden mit hohem Aufwand durch ein verteiltes Konsens-System bestätigt und dann unabänderlich gespeichert. So zumindest die verbreitete Einschätzung. Fehlt Konsens, kann es zur Spaltung einer Blockchain kommen. Im Fachjargon heißt das Fork. Bei einem Fork bleiben historische Daten unverändert, ab dem Fork entwickeln sich die Blockchains unterschiedlich weiter. Daher gibt es mehrere Bitcoin-Blockchains. Wright möchte seine Kryptomünzen in den vier genannten Blockchains zurückhaben.

Wrights Klage legt offen, dass Bitcoin-Transaktionen und damit Bitcoin-Guthaben nur bedingt von diesem Konsens-System abhängen. Vielmehr beruht das Konsens-System auf bestimmten Software-Architekturen; wer diese manipuliert, kann auch Transaktionsergebnisse und Guthaben manipulieren.

14 der 16 Beklagten wehren sich gegen Wrights Klage: Sie streiten ab, Wright zu irgendetwas verpflichtet zu sein; sie seien bloß freiwillige Open-Source-Programmierer und damit Teil einer undefinierbaren Gruppe. Die begehrten Änderungen liefen nicht nur der Idee unveränderlicher Blockchains zuwider, sondern könnten auch unwirksam sein. Schließlich liege es an den Bitcoin-Schürfern ("Miner"), zu entscheiden, ob sie das Software-Update einspielen oder die Version ohne Update weiterlaufen lassen. Entscheiden sich ausreichend viele Miner unterschiedlich, komme es zu weiteren Forks. Einige Beklagte bringen außerdem drohenden Imageschaden ins Spiel, sollten sie der Forderung nachkommen.

Wie groß das Risiko weiterer Forks ist, hat das in erster Instanz befasste Gericht nicht erhoben. Denn unabhängig davon gäbe es hier nichts zu urteilen: Wright habe keine realistische Aussicht darauf, im Beweisverfahren zu zeigen, dass die Programmierer rechtlich verpflichtet seien, die Blockchains "richtigzustellen" (Urteil [2022] EWHC 667 (Ch) vom 25 März 2022 [6]). Überhaupt könnten freiwillige Programmierer nicht gezwungen werden, sich auch in Zukunft als solche zu betätigen.

Bestimmte Verpflichtungen hätten die Programmierer schon, beispielsweise dürften sie sich durch Softwareupdates nicht selbst zulasten anderer Bitcoin-Nutzer bereichern. Das sei aber noch keine Treuhandschaft. Die Verpflichtungen bestünden gegenüber allen Bitcoin-Nutzern, nicht darin, einem Einzelnen zu helfen. Wrights Argument, die Verpflichtung gelte nur gegenüber rechtmäßigen Eigentümern und nicht gegenüber Dieben, überzeugte die Erstrichterin nicht. Sie stellte das Verfahren als juristisch aussichtslos ein.

Dagegen hat Wright berufen – mit Erfolg. Das Berufungsgericht setzt sich in 90 Absätzen mit der Materie auseinander, und widmet sich schließlich der Frage, ob argumentierbar sei, dass nach englischem Recht eine Treuhandbeziehung zwischen Wright und den Programmierern entstanden ist, und dass diese Treuhandschaft die Treuhänder zu aktiver Hilfe verpflichtet.

Die juristischen Fragen seien neu, unterstreicht das Berufungsgericht, und es liege in der Natur des in England herrschenden Common Law, dass es durch Gerichtsentscheidungen fortgebildet wird. Damit Wright gewinnt, müsste er das Gericht schon zu signifikanter Weiterentwicklung des Common Law bringen, aber das sei hier nicht aussichtslos, weshalb Wright diese Chance erhalten müsse. Also dürfe das Erstgericht das Verfahren nicht wegen Aussichtslosigkeit einstellen.

Absatz 86 aus dem Berufungsurteil

Absatz 86 aus der Entscheidung des England and Wales Court of Appeal im Verfahren Tulip Trading v. Wladimir Jasper van der Laan et al

(Bild: Screenshot)

In ihrer Entscheidung skizzieren die Berufungsrichter die notwendigen argumentativen Schritte, die Wright überzeugend untermauern müsse, beziehungsweise die die Beklagten zu widerlegen hätten: Die Programmierer einer bestimmten Blockchain-Software seien eine ausreichend bestimmbare Gruppe, um als Treuhänder infrage zu kommen. Sie hätten eine Rolle angenommen, in der sie Entscheidungen für und im Namen anderer fällen, und diese Entscheidungen wirkten sich auf das Eigentum der Betroffenen aus. (Beispielsweise müssen die Inhaber der Github-Passwörter entscheiden, ob etwas ein Bug ist oder nicht, und wie er gegebenenfalls zu korrigieren ist.)

Damit hätten Bitcoin-Nutzer ihr Eigentum diesen Programmierern anvertraut, was diese zu Treuhändern mache. Als Treuhänder seien sie verpflichtet, im Interesse der Nutzer der Bitcoin-Software zu handeln. Und diese Verpflichtung könnte umfassen, neuen Code einzupflegen, um die Bitcoin eines Einzelnen in Sicherheit zu bringen. Wrights Anwälte werden es nicht leicht haben, das Erstgericht in allen diesen Punkten zu überzeugen, aber versuchen dürfen sie es jetzt.

Nikolaus Forgo steht in dunkelgrauem Anzug im Hof des Hauptgebäudes der Universität Wien

Univ-Prof. Dr. Nikolaus Forgo, Vorstand des Instituts für Innovation- und Digitalisierung der Universität Wien

(Bild: Alma mater Rudolphina)

"Eine stilistisch beeindruckende Entscheidung", lobt Nikolaus Forgó, Professor für Technologie- und Immaterialgüterrecht an der Universität Wien, die Ausführungen des Berufungsgerichts für England und Wales. Die Entscheidung gäbe Anlass, sich einerseits mit dem bis ins Römische Recht zurückreichenden Rechtsinstitut der Treuhandschaft zu befassen.

Andererseits "hinterfragt das Gericht kritisch zwei laufend wiederholte Scheingewissheiten der Distributed-Ledger-Technology, zu der Blockchains zählen: Erstens die weltweite Verteilung, indem es darauf hinweist, dass die Software-Architektur von einigen Wenigen abhängt, und zweitens die von der technisch bedingten Unabänderlichkeit dieser Architektur", sagte der Jurist zu heise online, "Es wird deutlich, dass Code kein Naturgesetz ist, sondern umgeschrieben werden kann. Ob er auch umgeschrieben werden muss, bleibt vorläufig offen." Dieser Frage muss sich das untergeordnete Gericht nun doch widmen.

Das Berufungsgericht trifft noch weitere Feststellungen: Dem Vorbringen, Wright solle nicht die Programmierer, sondern die Hacker oder die Betreiber der Wallets verklagen, können die Richter nichts abgewinnen. Weil der Mann die Täter nicht kenne, habe er solche Rechtsbehelfe in der Realität nicht.

Was, wenn das Londoner Gericht auf eine Weise, ein Gericht in einem anderen Land aber anders entscheidet? Auch diesem Problem widmen sich die Richter: Die Befürchtung sei keine bloße Fantasie, gestehen sie zu. Aber diese Befürchtung sei kein Grund, den Fall überhaupt nicht zu entscheiden. Andernfalls könnten vergleichbare Fälle nie zu einem Urteil kommen: "Das passt nicht. Das Internet ist kein Platz, wo Recht nicht anwendbar ist." Zudem habe niemand bestritten, dass sich Wrights Bitcoins im Zuständigkeitsbereich des Gerichts befinden.

Bleibt die Frage, ob die vom Kläger angestrebten Codeänderungen überhaupt Aussicht auf Erfolg im Sinne eines Zugriffs auf Bitcoins mit Marktwert haben. Das muss gegebenenfalls im Beweisverfahren vor dem Erstgericht geklärt werden. Die Berufungsentscheidung öffnet dem Kläger die Chance, in das Beweisverfahren einzutreten.

(ds [8])


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[1] https://www.heise.de/thema/Bitcoin
[2] https://www.heise.de/news/Angeblicher-Bitcoin-Erfinder-will-doch-keinen-neuen-Beweis-vorlegen-3197647.html
[3] https://www.heise.de/news/Bitcoin-Abspaltung-Bitcoin-Cash-spaltet-sich-erneut-4961213.html
[4] https://www.heise.de/news/Bitcoin-Cash-Duell-ABC-liegt-vorn-4224082.html
[5] https://www.heise.de/hintergrund/Taproot-kommt-Erstes-grosses-Bitcoin-Update-seit-2017-6251737.html
[6] https://www.bailii.org/ew/cases/EWHC/Ch/2022/667.html
[7] https://www.bailii.org/ew/cases/EWCA/Civ/2023/83.html
[8] mailto:ds@heise.de