Bürgerrechtler: EU-Polizeidatenabgleich ermöglicht breite Live-Gesichtserkennung

Mit einem britischen Beitritt zum erweiterten Prüm-Vertrag würden Millionen von Fahndungsfotos und CCTV-Aufzeichnungen der Polizei in der EU verfügbar gemacht.

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Überwachungskamera und Gesichtsscan (Sybolbild)

(Bild: Scharfsinn/Shutterstock.com)

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Seit Längerem monieren Bürgerrechtler, dass mit der Initiative der EU-Kommission für eine Verordnung "über den automatisierten Datenaustausch für die polizeiliche Zusammenarbeit" im Rahmen eines erweiterten Prümer Vertrags die Unschuldsvermutung fällt. Nun schlagen sie zusätzlich Alarm, dass Großbritannien trotz Brexit auch dem ausgebauten System beitreten und dieses so mit Unmengen rechtlich fragwürdigen Daten anreichern könnte: Mit einem solchen Schritt würden den Kritikern zufolge Millionen von Fahndungsfotos und Aufnahmen aus der im Vereinigten Königreich massiv betriebenen Videoüberwachung Polizeikräften in der gesamten EU zur Verfügung stehen. Diese könnten dann sogar für automatisierte Gesichtserkennung in Echtzeit verwendet werden.

Innerhalb des Prüm-Rahmens können Strafverfolgungsbehörden in den angeschlossenen Mitgliedsstaaten schon seit 2008 DNA-, Fingerabdruck- und Fahrzeugregisterdaten elektronisch austauschen und abgleichen. Es ist auch möglich, einschlägige nationale Datenbanken zu vernetzen. Laut der Kommission sollen künftig zudem Fahndungsfotos und biometrische Lichtbilder aus Polizeiregistern eingeschlossen werden, die eine Gesichtserkennung mithilfe von Systemen mit Künstlicher Intelligenz (KI) unterstützen. Geht es nach den EU-Staaten, soll die Zahl der nutzbaren Datenkategorien noch erweitert werden, etwa um Führerscheindaten und Akten von Verdächtigen sowie von überführten Straftätern.

Großbritannien hat den ursprünglichen Prüm-Vertrag unterzeichnet und nimmt an dem damit verknüpften System auch nach dem Brexit teil, unter dem Handels- und Kooperationsabkommen mit der EU. Während deren Gesetzgebungsgremien noch über die Ausgestaltung des Erweiterungsplans verhandeln, kommt in Großbritannien eine Debatte über einen möglichen Anschluss des Aussteigers an die Neuauflage in die Gänge. 16 zivilgesellschaftliche Organisationen wie Statewatch, Access Now, Big Brother Watch, Digitalcourage und European Digital Rights (EDRi) nebst individueller Experten bemängeln in einem offenen Brief nun, dass nicht einmal "die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit" der vorgesehenen Änderungen nachgewiesen sei.

Der Prüm-II-Vorschlag ist ihnen zufolge auch bedenklich, weil er durch "die Vernetzung polizeilicher Datenbanken mit Gesichtsbildern den Grundstein für die künftige Möglichkeit, Live-Videoüberwachung in diese Datenbanken einzuspeisen". Dies würde "einer umfassenden, europaweiten biometrischen Überwachung in großem Stil" Tür und Tor öffnen. Der scheidende britische Beauftragte für Videoüberwachung, Fraser Sampson, beklagte gerade, dass die britische Polizei rund drei Millionen Gesichtsbilder rechtswidrig aufbewahre. Das EU-Parlament drängt parallel auf ein Verbot biometrischer Massenüberwachung mit der geplanten KI-Verordnung.

Auch eine zu weit gefasste Definition von Polizeiregistern kritisieren die Aktivisten. Diese könnte "große Mengen an Akten umfassen, auch über Personen, die nie wegen einer Straftat angeklagt oder verurteilt wurden". Deren Aufnahme in den Verbund dürfte dazu führen, "dass für grenzüberschreitende Durchsuchungen Unmengen potenziell falscher, ungerechtfertigter oder ungeprüfter Daten zur Verfügung stehen". So habe die britische Datenschutzbehörde etwa gerügt, dass mit der Clan-Kartei der Metropolitan Police keine Löschfrist verknüpft und die Informationsverarbeitung nicht rechtmäßig sei. Solche Probleme vergrößerten sich, wenn der Zugriff auf solche Register für Ermittler in der ganzen EU eröffnet würde. Die Unterzeichner warnen zudem: Die britische Regierung habe den Widerstand des Parlaments zu einer Prüm-Beteiligung 2015 einfach ignoriert. Dies dürfe nicht erneut passieren.

(mho)