Bundesgerichtshof: EncroChat-Daten dürfen verwertet werden

Chatprotokolle aus dem verschlüsselten EncroChat-Dienst sind als Beweise vor deutschen Gerichten zulässig, wenn es um die Aufklärung schwerer Straftaten geht.

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Ein Beamter der britischen Polizei hält ein abgeschaltetes "Encrophone".

Ein von der britischen Polizei sichergestelltes "Encrophone".

(Bild: Metropolitan Police London)

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Die von der französischen Polizei abgeschöpften Daten aus dem verschlüsselten EncroChat-Netzwerk dürfen zur Aufklärung schwerer Straftaten als Beweise verwertet werden. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) am Freitag in Leipzig entschieden und damit die Revision eines wegen Drogenhandels zu einer Haftstrafe verurteilten Angeklagten verworfen (Az. 5 StR 457/21).

Der Mann war vom Landgericht Hamburg wegen mehrfachem Drogenhandel zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt fünf Jahren verurteilt worden und muss Einnahmen aus der illegalen Tätigkeit von mehr als 70.000 Euro abführen (Az. 632 KLs 8/21). In der Revision beim BGH hatten seine Anwälte unter anderem eingewandt, dass die von den französischen Behörden 2020 erlangten Chat-Daten nicht als Beweismittel hätten verwertet werden dürfen.

Der BGH weist darauf hin, dass es im deutschen Recht keine ausdrückliche Regel hinsichtlich der eingeschränkten Verwertbarkeit von Beweisen gibt, die durch Rechtshilfe anderer Staaten erlangt wurden. Der Verwertung der Chats könne aber einen Eingriff in das vom Grundgesetz geschützte Fernmeldegeheimnis bedeuten. Deshalb dürften solche Daten nur zur Überführung besonders schwerer Straftaten verwendet werden, deren Aufklärung schwere Grundrechtseingriffe rechtfertige. Das sei bei Drogenhandel regelmäßig der Fall.

Die französischen Behörden waren bei Ermittlungen gegen den organisierten Drogenhandel seit etwa 2017 auf Hinweise gestoßen, dass Tatverdächtige zur Kommunikation ein Chat-Netzwerk auf besonders konfiguriertem und verschlüsselten Mobiltelefonen namens EncroChat nutzen. Als die Ermittler entdeckten, dass die Kommunikation von EncroChat über einen Server in einem französischen Rechenzentrum lief, griffen sie mit Genehmigung eines Gerichts die Daten dort direkt ab.

Laut BGH waren über 66.000 SIM-Karten in dem System registriert. Die erste Auswertung der direkt auf dem Server gespeicherten "Notizen" der Nutzer habe auf illegale Aktivitäten hingewiesen, insbesondere sei es dabei um Drogenhandel in erheblichen Mengen (bis zu 60 Kilogramm Kokain) gegangen. Daraufhin hatte ein französisches Gericht grünes Licht gegeben, die über den Server laufende Kommunikation mitzuschneiden.

Die französischen Behörden hatten die damit seit April 2020 gewonnenen Erkenntnisse mit Behörden anderen Ländern geteilt. Nachdem der Betreiber des EncroChat-Netzwerks im Juni bemerkt hatte, dass das System kompromittiert war, warnte der die Nutzer. Doch die Behörden, die über zwei Monate "direkt am Konferenztisch der Kriminellen" saßen, schlugen europaweit zu. Die Auswertung der Daten führte auch in Deutschland zu zahlreichen Ermittlungsverfahren.

Für deutsche Gerichte darf es laut BGH keine Rolle spielen, ob die von den französischen Behörden ergriffenen Maßnahmen auch nach deutschem Recht hätten angeordnet werden können oder nicht. Auch haben deutsche Gerichte nicht zu bewerten, ob die Maßnahmen nach französischem Recht überhaupt hätten angeordnet werden können. Die Frage nach der Verwertbarkeit der Beweise sei "ausschließlich nach deutschem Recht" zu beantworten.

Strafverteidiger und Menschenrechtler hatten Bedenken gegen die Verwertung der so gewonnenen Beweise vorgebracht. Weil die französischen Behörden keine Einzelheiten über den Datenzugriff mitteilten, hätten Anwälte eingeschränkte Möglichkeiten. Den Beschuldigten werde so ein ihr Recht auf ein faires Verfahren verwehrt. Zudem machten die Juristen verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Maßnahmen geltend, weil möglicherweise Grundrechte von Unschuldigen berührt werden.

Dieser Kritik entgegnet der BGH, dass die Ermittler nicht "gegen menschen- oder europarechtliche Grundwerte" verstoßen hätten. Es sei schon bei der ersten Auswertung der Server-Daten deutlich geworden, dass "nicht um eine anlasslose Massenüberwachung einer Vielzahl auch unverdächtiger Handy-Nutzer" ging. Vielmehr habe sich EncroChat als ein von auf die Unterstützung krimineller Aktivitäten ausgerichtetes Netzwerk erwiesen. Aufgrund der nahezu ausschließlich kriminellen Verwendung des Dienstes seien dessen Nutzer von vornherein verdächtig.

Auch der Einwand, französische Behörden hätten deutsche Kollegen nicht rechtzeitig über Abhörmaßnahmen gegen Nutzer in Deutschland informiert, könne "schon angesichts der späteren allseitigen Genehmigung der Datenverwendung" kein Beweisverwertungsverbot bewirken, führt der BGH aus. Bei Abwägung der unterschiedlichen Interessen überwöge zudem das staatliche Strafverfolgungsinteresse.

Zuvor hatten verschiedene Gerichte die Verwertung der Daten aus EncroChat meist zugelassen. Unter anderem hatte das Kammergericht Berlin die Verwertung der Chats als "Zufallsfund" für rechtmäßig erklärt. Zuvor hatte eine Kammer des Landgerichts die Beweise nicht zugelassen. Unterdessen erwartet die Justiz, dass auch die Daten aus dem von europäischen Ermittlern geknackten Netzwerk Sky ECC vor Gericht landen werden.

(vbr)