Encrochat-Hack: Strafverteidiger haben massive rechtsstaatliche Bedenken

Das Vorgehen der Strafverfolger nach dem Knacken des verschlüsselten Kommunikationsdiensts Encrochat hebele das Recht auf faires Verfahren aus, so die Kritik.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 56 Kommentare lesen
Ein Polizeibeamter der Metropolitan Police London hält ein sichergestelltes Encrochat-Handy in der Hand.

Ein von britischen Ermittlern sichergestelltes Encrophone.

(Bild: Metropolitan Police London)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Strafverteidiger aus sieben europäischen Ländern haben "massive rechtsstaatliche Bedenken" angesichts der Verwertung von Informationen aus dem verschlüsselten Kommunikationsdienst Encrochat in strafrechtlichen Verfahren. In einem gemeinsam mit der Organisation Fair Trial am Freitag veröffentlichten offenen Brief warnen die Juristen vor "ernsthaften Risiken für die Grundrechte und den Rechtsstaat".

In den vergangenen Monaten hatten europäische Behörden auf Grundlage der nach dem Hack von Encrochat gewonnenen Informationen mehrere hundert Verdächtige ermittelt und festgenommen. Laut dem Bundeskriminalamt (BKA) laufen in Deutschland mehr als 2700 Ermittlungsverfahren gegen Nutzer von Encrochat-Handys. Dabei gehe vor allem um den organisierten illegalen Handel mit Drogen und Waffen.

Federführend waren zunächst französische Polizeibehörden, die aus dem Kommunikationsdienst große Datenmengen absaugten und an Europol übermittelten, das die Daten an Strafverfolgungsbehörden in anderen EU-Ländern vermittelte. Einzelheiten darüber, wie das Netzwerk infiltriert wurde und welche Informationen die Ermittler erlangt haben, geben die französischen Behörden aber nicht heraus. Sie berufen sich dabei auf Geheimhaltungsrechte und die innere Sicherheit.

Dem Betroffenen werde so das Recht auf ein faires Verfahren verwehrt, kritisieren die Strafverteidiger in ihrem offenen Brief. Der Deckmantel der nationalen Sicherheit mache es unmöglich, "die Richtigkeit, Authentizität, Zuverlässigkeit und sogar die Rechtmäßigkeit der gegen sie verwendeten Beweise zu überprüfen".

Dazu komme ein Mangel an Transparenz, beklagen die Verteidiger. Verschiedene Strafverfolgungsbehörden stellten den Verfahrensbeteiligten teils "völlig widersprüchliche Informationen" über die Datenerhebung und die internationale Zusammenarbeit zur Verfügung. Sie erzeugten damit "verfälschte Sachverhalte, die offensichtlich an die jeweiligen nationalen strafprozessualen Gegebenheiten angepasst sind". Wo es kritisch werde, zieht man sich auf Geheimhaltungsvorschriften und fehlende Aussagegenehmigungen zurück.

"Es ist davon auszugehen, dass die französische Gendarmerie mit dem Hack eine extraterritoriale Zuständigkeit ausübte, die die Souveränität der einzelnen Mitgliedstaaten verletzte", kritisieren die Unterzeichner. Es sei wahrscheinlich, dass das Aushebeln der Verschlüsselung die Grundrechte tausender Bürger der Mitgliedstaaten inklusive von Kontaktpersonen und anderen Unverdächtigen verletzt habe. Eine angemessene Überprüfung durch eine unabhängige Justizbehörde fehle in dieser Hinsicht völlig.

Vor deutschen Gerichten spiele sich in diesem Zusammenhang derzeit ein "Katz-und-Maus-Spiel zwischen Verteidigern und Ermittlern des BKA"" ab, erklären die Rechtsanwälte Christian Lödden und Maximilian Rakow, die das Schreiben mit verfasst haben. Dabei gehe es vor allem um die Frage, wann und wie weit BKA und Generalstaatsanwaltschaft in die Auswertung der Daten von über 4600 Encrochat-Handys in Deutschland durch die französischen Behörden involviert gewesen seien.

Vor dem Landgericht Bonn habe zuletzt ein BKA-Ermittler erklärt, dass die deutschen Behörden zwar im März 2020 von dem bevorstehenden Zugriff der Franzosen erfahren, dann aber bis zur Datenbereitstellung Anfang April nichts mehr davon gehört hätten. Doch hätten niederländische Behörden Ende März alle beteiligten Länder um schriftliche Zustimmung zur Datenerhebung gebeten, hielten die deutschen Anwälte dem entgegen. Der Beamte habe dann eingeräumt, dass auch das BKA eine solche Nachricht erhalten und zustimmend beantwortet habe.

Damit wird für Lödden und Rakow deutlich, dass 14 Entscheidungen von Oberlandesgerichten und "unzählige erstinstanzliche Landgerichtsurteile" in den letzten anderthalb Jahren auf Basis "eines falschen Sachverhaltes ergangen sind". Dabei seien jeweils langjährige Haftstrafen verhängt worden. Die mit den Vorgängen befassten Gerichte seien aber offensichtlich bewusst im Unklaren gelassen worden. So ein Vorgehen "ist mit nichts zu rechtfertigen". Die dafür Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden.

(vbr)