Betriebssystem VSE: Der große Unbekannte im Mainframe

Seite 2: Die Vorteile von VSE

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Wenn ich das richtig verstehe, ist VSE entstanden, weil IBM mehr Mainframes verkaufen wollte und kleinere, günstigere Einstiegsmodelle herausbrachte, deren Kapazität aber für den damaligen z/OS-Vorläufer nicht ausreichte. Ist diese Ressourcen-Sparsamkeit auch heute noch ein Argument für VSE?

Heinz Peter Maaßen: Die ersten Rechner der Serie /360 waren für mit OS erst mit einem Speicher von 64 KByte nutzbar. Da Speicher zu dieser Zeit sehr teuer war, und ein DOS schon mit 16 KByte Speicher diese Rechner nutzen konnte, war das damals ein echtes Verkaufsargument für DOS.

Aber auch heute noch ist z/VSE Ressourcen-freundlicher als z/OS. Obwohl die Rechner längst für beide Welten gebaut werden – es kann sogar z/VSE und z/OS auf dem gleichen Rechner eingesetzt werden – gibt es im z/OS viel mehr Möglichkeiten, Daten zu schützen (Stichwort: RACF) oder mit verschiedenen Zeitzonen umzugehen als im z/VSE. Mehr Möglichkeiten bedingen aber auch mehr potentielle Fehlerquellen und benötigen mehr Personal, um das System lauffähig zu halten.

Welche weiteren Vor- und Nachteile gegenüber z/OS weist VSE Ihrer Meinung nach auf?

Heinz Peter Maaßen: Sind im z/OS mittlerweile Region-Größen von mehr als 2000 MByte möglich, so sind im z/VSE immer noch Grenzen in der Nutzbarkeit des Hauptspeichers vorhanden. Lupenreine z/VSE-Umgebungen gibt es jedoch kaum noch. Die meisten Unternehmen benutzen zusätzlich z/VM und können so mehrere z/VSE-Umgebungen auf virtuellen Maschinen betreiben. Hauptvorteil für z/OS ist, dass SAP-Systeme, Java-Anwendungen und andere Anwendungen auf Unix- oder Linux-Basis hierunter ablaufen können.

Eine Beschränkung des VSE auf kleinere Maschinen gibt es aber nicht: Es gibt heute auch z/VSE-Kunden, die mehrere Tausend Benutzer mit Online-Daten per Internet, Intranet oder klassischer Bildschirm-Anwendung bedienen. Hauptvorteile des z/VSE sind die günstigeren Softwarekosten und der geringere Personalbedarf für Wartung und Betrieb.

Wenn heute von Mainframe-Betriebssystemen die Rede ist, dann von z/OS oder BS2000, aber kaum von VSE. Woran liegt das?

Hans-Dieter Lattwein: Setzen wir einmal die Verbreitung der Betriebssysteme in den Zusammenhang mit dem Trend des Einsatzes von IBM-Großrechnern.

VSE war bis in die 1990er Jahre das Betriebssystem für die kleineren Installationen, MVS (heute z/OS) das für die größeren. Wegen der viel diskutierten „Deadlines“ Jahrtausendwechsel („dann laufen viele alte Programme nicht mehr“) und Euro-Einführung 2002 („dann muss man die alte Software mehrwährungsfähig machen“) gab es in den 90ern den klaren Trend zur Standardsoftware und zur (vermeintlich) kostengünstigeren Hardware – entweder zur IBM AS/400 oder zu einer Client/Server-Architektur.

Ein solcher Plattformwechsel war natürlich in kleineren Unternehmen einfacher als in größeren. Der ERP-Marktführer SAP empfahl den VSE-Anwendern für seine Software seinerzeit z/OS – oder gleich eine völlig andere Rechnerarchitektur! In den späten 1990ern war der Punkt erreicht, an dem VSE endgültig totgesagt wurde.

VSE wurde ja schon wiederholt totgesagt – und wird auch heute noch aktiv genutzt. Woran liegt es, dass VSE sich so zäh am Markt behaupten kann?

Hans-Dieter Lattwein: Daran, dass betriebssystemseitig der Rechner – überspitzt ausgedrückt – von einer Person oder einem kleinen Team betrieben werden kann. Weil die Anzahl der Nutzer dabei aber keine Rolle spielt, hat die VSE-Installation einen unschlagbaren Kostenvorteil. Dazu kommt – im Vergleich zu anderen Mainframe-Betriebssystemen – der Vorteil bei den Softwarekosten selbst.

Der weitere Vorteil ist die Investitionssicherung: Dazu können wir nur für unsere Kunden sprechen, die ja sehr einfach mit ihren VSE-Anwendungen auch auf Daten anderer Plattformen zugreifen können. Bei unseren Kunden laufen bis zu 50 Jahre alte Anwendungen unverändert unter allen Betriebssystemversionen – und deren Ausführung kann zusätzlich auch in Online-Anwendungen anderer Plattformen eingebunden werden.