Die X-Akten der Astronomie: Die Geheimnisse des Walnuss-Monds

Seite 2: Ein Mond wie eine Walnuss

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Schaut man sich Iapetus näher an, fallen neben dem Helligkeitsunterschied der Hemisphären aber noch andere Merkwürdigkeiten auf: zunächst ist der Mond deutlich sichtbar abgeplattet, der Äquatordurchmesser ist um 1/22 größer als der Durchmesser von Pol zu Pol. Auch der Saturn selbst und die Erde sind abgeflacht, und zwar um 1/10 bzw. 1/298, was sich leicht durch ihre schnelle Rotation erklären lässt (Saturn: 10h33m, Erde: 23h56m). Die Fliehkräfte ziehen die Planeten am Äquator auseinander, aber Iapetus rotiert nur einmal in 79 Tagen 7 Stunden und 43 Minuten, einmal je Umlauf. Seine Abplattung entspricht hingegen einer Rotationszeit von nur 16,5h!

Das ungewöhnlichste Merkmal des Mondes ist indes ein Gebirgskamm, der sich mit ein paar Unterbrechungen über ¾ des Umfangs schnurgerade exakt entlang des Äquators erstreckt, vor allem über der dunklen Hemisphäre (Carcassone, Toledo und Tortelosa Montes). Er ist so groß, dass er ohne weiteres auf Fotos zu sehen ist, die den gesamten Mond zeigen, und er verleiht ihm in Kombination mit der Abplattung ein walnussartiges Aussehen. An der Basis 200 Kilometer breit sind die höchsten Berge bis zu 20 Kilometer hoch und gehören damit zu den höchsten Erhebungen im Sonnensystem überhaupt. Der Querschnitt ist überwiegend trapezförmig mit abgeflachter Oberseite und ca. 15° steilen Flanken, die Spuren von Erdrutschen zeigen. Der Kamm ist stark verkratert und scheint daher sehr alt zu sein.

Iapetus’ Äquator wird von einem bis zu 20 Kilometer hohen Gebirgskamm gesäumt, der einzigartig im Sonnensystem ist.

(Bild: NASA/JPL/Space Science Institute/CICLOPS)

Eine solche Struktur ist von keinem anderen größeren Körper im Sonnensystem bekannt. Wie kann sie entstanden sein? Es gibt im Wesentlichen zwei Klassen von Erklärungsansätzen: endogene und exogene. Endogene Ursachen liegen in Iapetus selbst begründet, exogene kommen von außen.

Eine Gruppe der endogenen Hypothesen stützt sich auf die abgeplattete Form. Sie deutet darauf hin, dass der Mond ursprünglich in einer Größenordnung von 10 Stunden einmal um sich selbst wirbelte, bevor er allmählich durch die Gezeitenkräfte des Saturns auf die heutigen 79 Tage abgebremst wurde. Als die Fliehkräfte zunehmend nachließen, verursachte die am Äquator aufgetürmte, erstarrte Masse des äquatorialen Wulstes durch ihr Gewicht ein großflächiges Absinken der Oberfläche in der Äquatorgegend, was den Boden am Äquator zusammengedrückt und aufgefaltet haben soll.

Andere Experten halten aber wenig von dieser These, denn die Kräfte sollten abseits des Äquators in Ost-West-Richtung größer als in Nord-Süd-Richtung sein; das Gewicht, das den Wulst einebnen will, drückt ihn vor allem seitlich nach Norden und Süden, wo der Umfang des Mondes kleiner wird, was die Oberfläche in Ost-West-Richtung zusammenschieben würde, so als ob man auf Wasser treibende Eisschollen in eine Verengung eines Kanals fließen lässt. Dies hätte zu Falten und Furchen entlang der Längengrade führen müssen, die nicht beobachtet werden.

Der sich über ¾ des Äquatorumfangs erstreckende Gebirgskamm fällt sogar auf Gesamtansichten des Mondes sofort auf.

(Bild: NASA/JPL/Space Science Institute/CICLOPS)

Andere endogene Hypothesen gehen von konvektiven Strömungen im Eismantel des Mondes aus, die beidseitig gegenläufig am Äquator aufstiegen und so den Kamm hochgeschoben haben sollen. Abgesehen davon, dass es schwierig ist, eine Konvektion zu erklären die im Norden und Süden des Äquators perfekt symmetrisch ist, um eine so symmetrische Struktur wie Iapetus’ Äquatorialkamm hervorzubringen, erfordern solche Modelle eine sehr dünne, verformbare Kruste. Diese hätte das aufgetürmte Gewicht später allerdings nicht mehr tragen können, als die stützende Kraft der Konvektion mit zunehmender Abkühlung des Mondinneren wegfiel. Bekanntlich fließt Wasser auch in gefrorenem Zustand unter seinem Gewicht (Gletscher!) und mit dem Wegfall des Auftriebs beim Abkühlen des Eises wäre der Kamm schneller im Eis versunken, als dieses im gut isolierten Inneren des Mondes hätte erstarren können.

Der schnell rotierende Asteroid 66391 Moshup brachte die Astronomen Mikhail Kreslavsky und Francis Nimmo 2010 auf eine andere Idee: dieser Asteroid rotiert einmal in nur 2 ¾ Stunden. Die Rotation ist so schnell, dass ein am Äquator einen Meter in die Höhe gehobener Stein im Orbit um den Asteroiden verbleiben würde! Daher hat die Fliehkraft Geröll zum Äquator rutschen und rollen lassen, wo es sich zu einem Grat aufgetürmt hat. Wenn sich Iapetus gemäß seiner Abplattung früher einmal viel schneller gedreht hätte, hätte er so sein Kammgebirge bilden können?

Großaufnahme des Äquatorialkamms von Iapetus durch die Cassini-Sonde aus 3870 Kilometern Entfernung. Die Bildauflösung beträgt ca. 23 Meter pro Pixel. Über der Bildmitte sieht man eine kleine helle Stelle, wo ein Meteoriteneinschlag das unter dem Staub liegende Eis freigelegt hat. Die starke Verkraterung deutet auf ein hohes Alter hin.

(Bild: NASA/JPL/Space Science Institute/CICLOPS)

Anders als der durch und durch erstarrte Asteroid wäre Iapetus mit seinem aufgeschmolzenen Inneren bei der nötigen Rotationsgeschwindigkeit, die den Äquator in die Nähe der Orbitalgeschwindigkeit von 400 m/s gebracht hätte, noch wesentlich stärker abgeplattet gewesen, als er es heute ist – die Rückverformung auf die heutige Abplattung hätte während der nachfolgenden Verlangsamung der Rotation seine Oberfläche sichtbar zerfurchen müssen. Außerdem verliert ein so schnell rotierender verformbarer Körper seine Achsensymmetrie: er würde sich entlang einer Achse in der Äquatorebene auseinander ziehen und die Form eines dreiachsigen Ellipsoids annehmen, mit verschiedenen Durchmessern in allen drei Raumrichtungen, etwa wie ein abgeflachter American Football mit abgerundeten Spitzen. Der Zwergplanet Haumea hat bei 3h55m Rotationszeit eine solche Form angenommen.

Eine andere exogene Theorie von Wing-Huen Ip besagt, dass sich bei seiner Entstehung in jenem Wirbel in der protoplanetaren Staubscheibe, der Saturn und seine Monde hervorbrachte, ein Ring aus Geröll um Iapetus gebildet haben soll. Durch Kollisionen im Inneren des Rings verloren die Trümmer Energie bis sie schließlich im flachen Winkel auf den Äquator herunter regneten und so den Kamm auftürmten. Die Einschläge wären mit moderater Geschwindigkeit in der Größenordnung der Orbitalgeschwindigkeit von 400 m/s erfolgt. Dies hätte nicht zu explosionsartigen Einschlagsereignissen mit tiefen Kratern geführt, wie es bei mit kosmischen Geschwindigkeiten einschlagenden Asteroiden der Fall ist, so dass ein allmähliches Auftürmen im Bereich des Möglichen läge.

Dann stellt sich jedoch die Frage, warum dieser Mechanismus nur bei Iapetus aufgetreten sein soll und sonst bei keinem anderen Mond im Sonnensystem. Die Zone, in der ein Körper, der eine große Zentralmasse umkreist, eigene Objekte im Orbit halten kann, wird "Hill-Sphäre" genannt und sie hängt von der Zentralmasse, der Masse des Körpers und ihrem Abstand voneinander ab. Eine große Zentralmasse und eine kleine Mondmasse sorgen bei geringem Abstand für eine kleine Hillsphäre des Mondes. Iapetus ist verhältnismäßig massereich und weit weg vom Saturn. Die Hill-Sphäre von Iapetus ist mit 35640 Kilometer somit groß und im Verhältnis zu seinem Radius sogar die größte aller großen Monde im Sonnensystem, was erklärt, warum gerade er einen Ring hätte halten können. Aber auch die 4820 Kilometer durchmessende Kallisto, Jupiters zweitgrößter Mond, hat eine mit über 50.000 Kilometer sehr große Hill-Sphäre – warum sollte sie dann nicht auch einen Trümmerring entwickelt haben? Man hat berechnet, dass er einen Kamm von über 6 Kilometer Höhe hätte bilden sollen.

Plausibler erscheint die Hypothese von Harold Levison, K.J. Walsh, A.C. Barr und L. Dones aus dem Jahre 2011. Sie schlagen einen großen Einschlag auf Iapetus vor. Kollisionen kamen in der Frühzeit des Sonnensystems oft vor; unser Mond soll beispielsweise bei einer solchen Kollision der Erde mit einem marsgroßen Planeten, Theia genannt, entstanden sein.

Der Einschlag eines großen Asteroiden im flachen Winkel auf Iapetus’ Oberfläche soll nach Levison et al. ein gutes Prozent seiner Masse herausgeschlagen und in eine Umlaufbahn geschleudert haben. Ein Teil davon wurde jenseits Iapetus’ Roche-Grenze katapultiert und fand sich zu einem Satelliten zusammen, ein anderer Teil verblieb innerhalb seiner Roche-Grenze. Unterhalb der Roche-Grenze sind die Gezeitenkräfte (also die Scherkräfte, die durch verschiedene Umlaufzeiten in verschiedenen Höhen auf einen ausgedehnten Körper wirken) so stark, dass Objekte mit geringem Zusammenhalt zerbrechen müssen und ein Ring aus Trümmern sich nicht zu einem Satelliten vereinigen kann.

Der Satellit im Orbit hätte nach der Hypothese von Levison et al. mit seiner Schwerkraft die Ringtrümmer abgebremst und rasch zum Absturz gebracht. Darüber hinaus hätte er die Rotation von Iapetus verlangsamt, so wie der Erdmond die Rotation der Erde abbremst: durch seine Gezeitenkraft bewegt unser Mond nicht nur Wasser in den Ozeanen, sondern verformt den gesamten Erdkörper zu einem Ellipsoid. Unter dieser Verformung muss die Erde hindurch rotieren. Die inneren Reibungskräfte zehren Rotationsenergie auf und verlangsamen auf diese Weise die Erddrehung, während der Mond gleichzeitig Drehimpuls aufnimmt und sich von der Erde entfernt. Da sich die Erde schneller dreht als der Mond sie umkreist, wird die lange Achse des Ellipsoids von der Erdrotation mitgezogen und eilt dem Mond voraus, so dass sie einen Hebel bildet, der mit seiner Schwerkraft den Mond mitzieht und beschleunigt, was seine Bahn anhebt, zur Zeit um 3,8 cm/Jahr.

Ähnliches soll Iapetus durch seinen kleinen Sub-Mond widerfahren sein, was seine Rotation wesentlich effizienter bremste als der ferne Saturn es vermocht hätte. Der Submond wanderte derweil nach außen und ging schließlich verloren, als er die Hill-Sphäre verließ (oder er näherte sich wieder und stürzte auf Iapetus, siehe nächster Abschnitt).

Die Erklärung, warum nur Iapetus einen solchen Ring bilden konnte, wäre dann, dass ein passender Einschlag hinreichend selten vorgekommen sei. Was nicht völlig überzeugend ist, weil auch andere Monde am Ende ihrer Entstehung unzählige Male von großen Asteroiden getroffen worden sein müssen.