Die X-Akten der Astronomie: Die Geheimnisse des Walnuss-Monds

Saturn ist wahrlich mit Monden gesegnet. Angesichts der eindrucksvollsten übersieht man gerne die weniger bekannten. Vor allem Iapetus lässt Astronomen rätseln.

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Die X-Akten der Astronomie: Die Geheimnisse des Walnuss-Monds
Lesezeit: 24 Min.
Von
  • Alderamin
Inhaltsverzeichnis

Dank immer besserer Technik, innovativen Ansätzen und internationaler Kooperation erlebt die Astronomie eine Blüte. Doch während viele Beobachtungen dabei helfen, Theorien zu verfeinern oder auszusortieren, gibt es auch immer wieder Entdeckungen, die einfach nicht zu passen scheinen. Mysteriöse Signale, mutmaßliche Verstöße gegen Naturgesetze und – noch – nicht zu erklärende Phänomene. In der Öffentlichkeit wird dann gerne darüber diskutiert, ob es sich um Spuren außerirdischer Intelligenz handelt, Wissenschaftler wissen, dass es am Ende fast immer eine natürliche Erklärung gibt. Aber überall wird die Fantasie angeregt.

In einer Artikelserie auf heise online stellen wir einige solcher astronomischen Anomalien aus einer jüngst vorgestellten Sammlung vor und erklären, warum alle Erklärungsversuche bislang an ihnen scheitern.

Die X-Akten der Astronomie

Was mir als Autor am gestellten Thema dieser Reihe gefällt, ist dass sie ein komplettes Bestiarium der Astronomie abdeckt, von Doppelsternen über Pulsare, Galaxien und Supernovae bis hin zu Schwarzen Löchern. Keine astronomische Übersicht wäre aber komplett ohne einen Blick auf unser Sonnensystem. Auch vor unserer Haustür gibt es ungelöste Rätsel. Begeben wir uns nun an einen Ort, den wir schon mit unseren Robotersonden besucht haben. Ins System der Saturnmonde!

Saturn mit seinen Ringen ist wohl der faszinierendste Anblick, den ein Himmelsobjekt im Teleskop bieten kann. Wer ihn einmal mit eigenen Augen gesehen hat, ist meistens mit dem Astronomie-Virus infiziert. Kaum weniger faszinierend sind die Satelliten des Riesenplaneten, von denen bisher 82 entdeckt wurden. 13 der Monde sind größer als 50 Kilometer und schon lange bekannt. Die meisten übrigen wurden beim Vorbeiflug der Voyager-Sonden in den Jahren 1980 und 1981 sowie vom Orbiter Cassini entdeckt, der das Saturnsystem von 2004 bis 2017 erkundete. Die Sonden lieferten uns phantastische Nahaufnahmen der Monde, die zum Teil völlig anders als unser Erdmond sind.

Der größte, Titan, ist mit 5149 Kilometern Durchmesser größer als der Planet Merkur (4880 Kilometer) und hat eine überwiegend aus Stickstoff bestehende Atmosphäre, die 1,6-mal dichter ist als diejenige der Erde, so dass es leicht war, die Sonde Huygens mit Hilfe von Hitzeschild und Fallschirm dort landen zu lassen, um uns Bilder von der Oberfläche zu senden. Sie enthüllten eine Welt mit Bergen aus Eis, auf die Regen aus flüssigem Erdgas (Methan) fällt, der über Bäche und Flüsse in Seen abfließt, der größte davon so groß wie das Kaspische Meer.

Huygens' Landung auf dem Titan (15 Bilder)

Das Bild, das um die Welt ging: Eine der ersten Aufnahmen von der Oberfläche des Titan.
(Bild: NASA/JPL/ESA/University of Arizona)

Der mit nur 500 Kilometer Durchmesser viel kleinere Enceladus machte Schlagzeilen, weil sich höchstwahrscheinlich ein umspannender Ozean aus flüssigem Salzwasser unter seinem Eispanzer verbirgt, das durch Risse in der Gegend des Südpols geysirartig in den Weltraum gesprüht wird. Enceladus gilt als vielversprechender Ort, an dem Leben entstanden sein könnte. Die Raumsonde Cassini durchflog die Geysirwolke und konnte ein paar Tropfen des Fontänenwassers mit ihren beschränkten und nicht für die Suche nach Leben konzipierten Instrumenten analysieren. Sie fand darin auffällig schwere Moleküle, die nur organisch sein können, denn nur Kohlenwasserstoff-Kettenmoleküle haben so hohe Massen.

Saturnmond Enceladus (10 Bilder)

Ein zusammengesetztes (Falschfarben-)Panorama von Enceladus
(Bild: NASA/JPL/Space Science Institute)

"Organisch" bedeutet zwar nicht, dass es sich um Spuren existierenden Lebens handelt, aber immerhin dass dort offenbar komplexe chemische Reaktionen ablaufen, die eine notwendige Voraussetzung für die Entstehung von Leben sind. Was gäben Biologen dafür, einen Tropfen dieses Wassers im Labor analysieren zu dürfen!

Weniger im Rampenlicht steht der drittgrößte Mond des Saturn, der den Riesenplaneten in 3,56 Millionen Kilometern Entfernung umkreist, 9-mal weiter entfernt als unser Mond die Erde. Iapetus wurde im Oktober 1671 von Giovanni Cassini entdeckt, der auch seine Umlaufzeit von 79,3 Tagen bestimmte. Cassini wunderte sich allerdings, warum er den Mond immer nur auf der Westseite des Planeten finden konnte und nie im Osten. Er vermutete, dass eine Hälfte des Mondes viel dunkler als die andere sei, so dass der Mond auf der Ostseite des Planeten nicht zu erkennen war.

Das erwies sich später mit größeren Teleskopen, die ihn auch im Osten aufspürten, als korrekt – die helle Seite von Iapetus ist fast fünfmal heller als die dunkle. Iapetus wendet dem Saturn stets die gleiche Seite zu, so dass wir von der Erde aus östlich des Saturns immer auf die in Umlaufrichtung vorauseilende, dunkle Seite schauen und westlich des Saturns stets auf die dem Umlauf nachfolgende, helle Seite.

Die beiden Hemisphären von Iapetus sind vollkommen unterschiedlich von Eis bedeckt, so dass der Mond bei seinem gebundenen Umlauf um Saturn von der Erde aus gesehen auf der Westseite des Gasriesen fünfmal heller erscheint als auf der Ostseite.

(Bild: NASA/JPL/Space Science Institute/CICLOPS)

Erst die Nahaufnahmen der Voyager-Sonden und später die Mission Cassini-Huygens halfen das Rätsel um den janusköpfigen Mond zu lösen. Iapetus ist mit 1492 Kilometern Äquatordurchmesser weniger als halb so groß wie der Erdmond. Er hat dabei nur 1/3 der Dichte des Erdmondes, da er zu einem großen Teil aus gefrorenem Wasser besteht, das im äußeren Sonnensystem bei seiner Entstehung reichlich vorhanden war. Die helle Seite ist schneeweiß, sie sieht aus, als ob es auf dem Mond geschneit hätte. Die dunkle Seite ist hingegen dunkelbraun.

Die am meisten akzeptierte Theorie zur Entstehung der beiden so verschiedenen Hemisphären besagt, dass ein Temperaturgefälle zwischen der dunklen Seite, die mehr Sonnenlicht absorbiert, und der hellen Seite besteht, die mehr Licht reflektiert. Tatsächlich wird die dunkle Seite in Äquatornähe mit -144°C rund 15 K wärmer als die eisbedeckte Seite mit -160°C. Auf der wärmeren Seite sublimieren Eis und gefrorenes Kohlendioxid zu Gas, das um den Mond herum auf die kühlere Seite wandert, wo es sich in der Kälte niederschlägt. Allerdings brauchte es für diesen Mechanismus einen Anstoß, denn beide Seiten erhalten gleich viel Sonnenlicht. Ein kleiner anfänglicher Unterschied muss durch den Mechanismus verstärkt worden sein.

Die helle Rückseite von Iapetus ist fast vollständig mit Eis aus Wasser und Kohlendioxid bedeckt, das von der wärmeren Vorderseite durch Sublimation weitgehend verschwunden ist und sich auf der kühleren Rückseite niedergeschlagen hat.

(Bild: NASA/JPL/Space Science Institute/CICLOPS)

Und dieser Anstoß liegt in seinem äußeren Nachbarmond Phoebe begründet. Die nur 213 Kilometer durchmessende Phoebe umkreist den Saturn gegenläufig (retrograd), also entgegen dem Sinn der Rotation des Planeten und dem Umlauf der übrigen Monde, wie auch Iapetus. Bei Phoebe handelt es sich vermutlich um ein eingefangenes Objekt aus dem Kuiper-Gürtel, einer Region von großen Asteroiden im äußeren Sonnensystem. Sie enthalten große Mengen von gefrorenen Gasen, darunter Kohlendioxid, Methan und Wasser, die sich im UV-Licht der Sonne zu Kohlenwasserstoffketten und –ringen verbinden, organischen Molekülen, die sehr gut Wärme absorbieren.

Das ständige Bombardement von Mikrometeoriten wie auch die Sublimation der Gase im Sonnenlicht sorgen dafür, dass Phoebe diese Stoffe entlang ihrer Umlaufbahn verteilt. Der Sonnenwind verweht das Material zu einem breiten Ring, der 2009 vom Spitzer-Weltraumteleskop im Infrarotlicht nachgewiesen werden konnte. Iapetus kreist im inneren Teil des Phoebe-Rings und seine stets in Richtung der Orbitalbewegung vorauseilende Seite sammelt das ihm entgegen kommende Material auf und wird dadurch dunkler. So kam es dazu, dass die vorauseilende Seite mehr Wärme aufnahm und die flüchtigen Stoffe auf die kühlere Rückseite wanderten.

Der kleine äußere Mond Phoebe umkreist Saturn gegenläufig (retrograd) und verliert durch Mikrometeoritenbombardement ständig dunklen organischen Staub, der vom weiter innen rechtläufig (prograd) umlaufenden Iapetus auf seiner Vorderseite angesammelt wird und dafür sorgte, dass diese dunkler und wärmer wurde. Daher zog sich das Eis auf seine Rückseite zurück.

(Bild: NASA/JPL/Space Science Institute/CICLOPS)