Diskussion um Netzneutralität im EU-Parlament

Ein neues Regulierungsregime für den Zugang zu den so genannten Next Generation Networks könnte die Gefährdung der Netzneutralität dadurch mindern, indem Investitionen in neue Netzwerke durch mehrere Wettbewerber belohnt werden.

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Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti

Im Europaparlament wird ein neues Regulierungsregime für den Zugang zu den so genannten Next Generation Networks (einheitliche Carrier-Netzwerke für Multimedia-Broadcasts, Daten und Sprache auf IP-Basis) diskutiert. Es könnte die Gefährdung der Netzneutralität dadurch mindern, indem Investitionen in neue Netzwerke durch mehrere Wettbewerber belohnt werden.

Derzeit entwickeln Telekommunikationsunternehmen und Forschungsinstitute eine Vielzahl verschiedener Konzepte für die Netze der Zukunft. Experten befürchten, dass Unternehmen unter Umständen aufgrund des hohen Investitionsaufwands dazu übergehen könnten, den Zugang zu kostengünstigeren Angeboten des Wettbewerbs im offenen Internet zu blockieren. Der Grundsatz der Netzneutralität meint, dass der Zugang nicht beschränkt wird, sei es über die Art der Geräte, der Kommunikationsarten, der Inhalte, Adressen oder Plattformen. Auch darf die Kommunikation nicht durch andere Kommunikationsströme beeinträchtigt werden oder etwa bestimmter Datenverkehr priorisiert werden. In den USA wird bereits ein wesentlich restriktiverer Gesetzesvorschlag debattiert, der die Netzneutralität rechtlich absichern soll.

Großen US-Breitbandanbietern sowie einigen europäischen Carriern geht es darum, für den Aufbau ihrer Hochgeschwindigkeitsnetze Inhalteanbieter für die zugesicherte oder besonders rasche Übertragung von Daten zur Kasse zu bitten und mehr Kontrolle über die Nutzung ihrer Netze zu erhalten – bis hin beispielsweise zu Sperrungen oder künstlichen Verlangsamungen von P2P-Datenverkehr. Befürworter strenger gesetzlicher Netzneutralitätsregeln wie Amazon.com, Google, Microsoft oder Yahoo fürchten dagegen, dass neue Geschäftsmodelle durch ein Mehr-Klassen-Netz behindert werden. Sie fürchten, dass Telekommunikationskonzerne und TV-Kabelanbieter das Internet in teure, mit Mautstationen abgesperrte Luxusbahnen einerseits und holprige Feldwege andererseits aufteilen wollen.

Die nun im EU-Parlament diskutierte Lösung gewährt keine absolute Netzneutralität, da sie erst einmal sicher stellen will, dass die Investitionen in die Netze überhaupt in ausreichendem Umfang in einem Wettbewerbsumfeld stattfinden können. Glasfasernetze bieten vergleichsweise die höchsten Übertragungskapazitäten. Gleichwohl sind die bisherigen Regulierungsinstrumente nicht so gestaltet, dass sie "tatsächlich Investitionen fördern, Wettbewerb sichern und die Ausbreitung auch in weniger dicht besiedelten Gebieten fördern würden", meint PSE-Berichterstatterin Catherine Trautmann. Sie fordert daher, dass die Frage der Next Generation Networks bei der Ausgestaltung der Regulierung berücksichtigt werden soll. Zum einen müsse der Wettbewerb auf den neuen Märkten erhalten bleiben. Zum anderen müssten aber genügend Anreize für die Netznutzung geboten werden. Dies gehöre mit der Handhabung des Frequenzspektrums zu den wichtigsten strategischen Fragen des Telekommunikationssektors.

Trautmann bezweifelt, dass das Ziel, mehrere Hochleistungs-Glasfasernetze in Wettbewerb treten zu lassen nicht in allen Ländern und Räumen "machbar oder wirtschaftlich" ist. Sie hält daher ein Konzept der offenen Netze mit einer Aufteilung der Investitionen und einem gesetzlich vorgeschriebenen diskriminierungsfreien Zugang für notwendig. Sollte das Investitionsrisiko nicht aufgeteilt werden können, sollte der Regulierer dafür sorgen, dass alle Betreiber, die einen Zugang haben wollen, das Investitionsrisiko "angemessen" tragen. So könnten sie sich etwa an den Kosten für die Verkabelung von Gebäuden beteiligen. Der Gesetzgeber könnte aber auch den Zugang zu Leitungsrohren, Masten, Wegerechten oder Innenverkabelung anordnen. Alternativ könnte er aber auch gemeinsame Investitionen fördern, die Nachfrage bündeln und Entflechtungsanforderungen auf die neuen Netze erweitern.

Der Vorschlag des geteilten Investitionsrisikos geht zurück auf die PSE-Berichterstatterin Erika Mann. Sie erklärt: "Das Zugangsregime, das für die bestehenden Netze entwickelt wurde, würde den Anreiz für Investitionen in neue Netzwerke mindern." Ein neues Regime mit dynamischen Elementen wie einer Aufteilung der Risiken bzw. Risikobeiträgen würde dagegen neue Investitionsanreize geben. Erika Mann fordert auch die Ex-Ante-Regulierung für den Breitbandmarkt, speziell für Kabelnetzwerke und die Next Generation Networks aufzugeben, falls es im Bereich der Infrastrukturen einen Wettbewerb bereits gibt. Dieser soll nicht einmal landesweit herrschen, sondern kann auch für Regionen festgestellt werden. Eine solche Differenzierung, die eine Vorab-Regulierung (Ex ante) etwa in einem städtischen Raum mit zwei Anbietern überflüssig machen würde, könnte in Folge die Entwicklung von Breitbanddiensten im ländlichen Raum befördern.

Der nun im EU-Parlament diskutierte Vorschlag verhindert allerdings nicht, dass Wettbewerber, die sich in keiner Form an den Investitionskosten beteiligen können oder wollen, vom Zugang ausgeschlossen werden. Deshalb fordert Berichterstatter Reino Paasilinna der sozialdemokratischen Fraktion PSE für die Universaldienstrichtlinie explizit, dass die Mitgliedstaaten für einen diskriminierungsfreien Zugang zu Diensten von Netz zu Netz, also eben die Netzneutralität, sorgen sollen. Die Regulierungsbehörden sollen demnach Mindestanforderungen an die Dienstqualität festlegen können. Eine Entscheidung darüber fällt diese Woche im Ausschuss. Im Juli bereits soll das Paket in erster Lesung verabschiedet werden. (Christiane Schulzki-Haddouti) / (jk)