EU-Copyright-Reform: die Modernisierung des Urheberrechts ist aus dem Blickfeld geraten

Seite 3: Werden Youtube, Instagram & Co. illegal?

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heise online: Einige Gegner warnen, dass Plattformen wie Youtube, Twitter, Instagram unmöglich werden. Teilen Sie diese Einschätzung?

Hilty: Die Plattformen an sich werden nicht unmöglich, solange zumindest gewisse Lizenzen tatsächlich erteilt werden. Aber die Inhalte, die dort öffentlich zur Verfügung gestellt werden können, dürften erheblich dezimiert werden.

heise online: In der Stellungnahme des MPI vom vergangenen Jahr wird eine erleichterte Lizenzierung dringend empfohlen. Ist dies eingelöst?

Hilty: Nein, das grundsätzliche System ist unverändert. Entweder werden seitens der Rechteinhaber Lizenzen - vertraglich - erteilt, oder hochgeladene Inhalte bleiben illegal und sind zu sperren. Die Idee der erleichterten Lizenzierung geht einen anderen Weg. Sie ist inspiriert vom geltenden Recht, das für gewisse Nutzungsarten eine gesetzliche Erlaubnis kennt, d.h. der Rechteinhaber kann solche Nutzungen nicht verbieten, erhält dafür aber eine Vergütung. Diese Vergütung wiederum kann der Rechteinhaber aber nicht direkt eintreiben, sondern sie wird kollektiv eingezogen, d.h. durch Einschaltung einer Verwertungsgesellschaft. Ein Beispiel ist die Privatkopie. Sie wurde in Deutschland 1965 - als sukzessive die entsprechenden Vervielfältigungstechnologien aufkamen (etwas das Tonband) - legalisiert, aber eben gegen Vergütung.

Ein großer Vorteil dieses Ansatzes ist die Entkriminalisierung der kreativen Nutzer. Denn heute geht es nicht mehr nur darum, passive Nutzungen wie die Privatkopie zu erlauben, für die ein Verbot kaum durchsetzbar wäre. Nun geht es namentlich darum, dass das Urheberrecht solche Kreativität, die auf vorbestehenden Werken beruht, nicht behindert. Dies ist aber der Fall, wenn deren Verbreitung über soziale Netzwerke nicht erlaubt ist.

Solches Handeln ist heute eine gesellschaftliche Realität, vor der das Urheberrecht die Augen nicht verschließen darf, wenn es nicht zunehmend an Akzeptanz verlieren will. Stattdessen auf Sperrungen entsprechender Inhalte zu setzen, ist ebenso weltfremd, wie seinerzeit ein Verhindern der Privatkopie nicht realistisch gewesen wäre. Wenn gleichzeitig kaum davon auszugehen ist, dass der jeweils betroffene Rechteinhaber kreativen Nutzungen zustimmt, ist der Gesetzgeber gefordert. Er kann die Einwilligung des Rechteinhabers nämlich - wie damals bei der Privatkopie - durch eine Schranke, das heißt eine gesetzliche Erlaubnis, ersetzen. Diese Erlaubnis kann an verschiedene Bedingungen geknüpft sein, z.B. eine Verbreitung nur für nicht kommerzielle Zwecke oder die Voraussetzung, dass die Verwertung des zugrundeliegenden Werks durch den Rechteinhaber nicht unangemessen beeinträchtigt wird. Vor allem aber kann dafür eine Vergütung verlangt werden. Auch hier ginge es nicht darum, dass jeder kreative Nutzer selbständig zur Kasse gebeten würde. Vielmehr könnte der Provider die Zahlstelle sein, der ja auch nach der nun vorgesehenen Regelung zahlen muss - allerdings direkt an die Rechteinhaber zahlen müsste. Er wird also so oder anders die Kosten für die Nutzung geschützter Inhalte auf die Nutzer umlegen müssen.

(Bild: metamorworks / shutterstock.com)

heise online: Sie sind schon kurz darauf eingegangen, dass ein generelles Monitoring wegen der Vorgaben des Artikels 15 E-Commerce-Richtlinie vermieden werden soll. Laut dem Text sollen Take-Downs durch einen Menschen überprüft werden. Wie kann man sich das vorstellen?

Hilty: Tatsächlich wird nicht formell eine Pflicht zum generellen Monitoring statuiert, sondern es werden den betroffenen Providern nur Verhaltenspflichten auferlegt. Insbesondere müssen sie dann aktiv werden, wenn ihnen Rechtsverletzungen angezeigt werden. Eine andere Frage ist, ob sie es darauf ankommen lassen, oder ob sie sicherheitshalber eben doch - wenn auch ohne entsprechende Pflicht - ein automatisiertes Filtersystem einbauen. Gerade die Vorgabe, dass im Falle des Widerspruchs durch den Nutzer, der etwas hochgeladen hat, eine Überprüfung durch einen Menschen erfolgen muss, weist letztlich darauf hin, dass jene, die sich diesen Mechanismus ausgedacht haben, eben doch davon ausgehen, dass automatische Systeme - letztlich wohl auf der Basis von künstlicher Intelligenz - im Zweifel aussieben sollen, was an Inhalten nicht lizenziert wurde.

heise online: Ist das generelle Grundrechtsproblem gelöst?

Hilty: Der Wille scheint da zu sein, aber ob es ist, bin ich nicht so sicher. Denn Absatz 5, der nur gewisse gesetzliche Nutzungserlaubnisse (aber diese scheinbar abschließend) aufzählt, sagt nicht allgemein, dass z.B. die freie Meinungsäußerung sichergestellt werden müsse. Diese Absicht ergibt sich nun zwar aus dem neu eingefügten Erwägungsgrund 39a. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass Gerichte Grundrechte kaum freihändig gegeneinander abwägen. Sie stellen vielmehr darauf ab, ob eine bestimmte Nutzungshandlung durch eine Schranke gedeckt sein könnte, und legen dann deren Reichweite im Lichte der Grundrechte aus.

In diesem Zusammenhang bestehen aber zwei Probleme. Zum einen hat es der europäische Gesetzgeber bis heute nicht geschafft, den Mitgliedstaaten die wichtigsten Schranken, die die freie Meinungsäußerung absichern, zwingend vorzuschreiben. Entsprechend finden kreative Nutzer, die sich auf dieses Grundrecht berufen möchten, in der EU keinen einheitlichen Rechtsrahmen vor. Zum andern ist der Irrglaube, Schranken seien eng auszulegen, nach wie vor nicht ausgerottet - selbst beim EuGH nicht. Wenn jener sich dereinst mit der Reichweite von Artikel 13 befassen muss, besteht also die Gefahr, dass er sich in erster Linie vom zentralen Anliegen jener Norm leiten lässt: Urheberrechte sollen auch im digitalen Kontext durchgesetzt werden können. Auch wenn vordergründig jeweils gesagt wird, Grundrechte seien gleichrangig, könnte das im Ergebnis auf eine Art Vorrang des Eigentumsrechts hinauslaufen.